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Altin Gün | 30.5.19 | UT Connewitz

Jetzt, gerade damals spielt eine psychodelic Rock Band in den 70ern, die alle Klänge des immer ferneren Ostens gierend aufnimmt bis sie in der Sonne Kaliforniens verweilt, und hier, gerade hier, hören wir diese Musik durch all die Jahrzehnte hindurch, sie kommt auf uns zu und klingt durch akustische Verschiebungen über diese lange zeitliche Distanz verzerrt und gekrümmt an uns heran. Das Publikum ist weitaus bunter als gewöhnlich, und vielleicht auch als damals. Lockerer. Wilder. Entspannter. Lebendiger. Diese besonders tief quietschigen Klänge aus den Tasten sind schiefer und verzückender. Ein aufgeräumter Rasselständer neben dem zweiten Trommler ordentlicher. Der Lauf der Melodie auf der Saz komplizierter und verschränkter. Und das erste Lied der Zugabe wie ein zusätzlicher Fehler im Raumzeitkontinuum, erinnert an sphärisch verklärte Musik aus dem Norden. Und dann tänzelt die Musik wieder in Richtung Mittelmeer und schrammenden Postrock, nur ein wenig, beschleunigt, verzerrt sich dadurch noch ein Stückchen mehr, und das Herz ist genau darin. Genau darin ist das Herz.*
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thoreauvian ::: sich selbst hüten

»Heutzutage hüten sich die Schafe meistenteils selbst.«

(Henry D. Thoreau, Tagebuch II)

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thoreauvian ::: wiederholtes schielen unter die lider der zeit

»Obwohl ich alt genug bin, um herausgefunden zu haben, dass die Jugendträume in diesem Stadium des Daseins nicht zu verwirklichen sind, denke ich doch, dass es das nächstgroße Glück wäre, unter die Lider der Zeit zu schauen und das Vollkommene unverwandt zu betrachten, und zwar mit der klaren Einsicht, dass ich es nicht erlange.«

(Henry D. Thoreau, Tagebuch II)

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thoreauvian ::: na–unna, türlich

»Wir hören oft den Ausdruck natürliches Leben des Menschen – wir sollten eher das unnatürliche Leben des Menschen sagen.«

(Henry D. Thoreau, Tagebuch II)

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thoreauvian ::: jedes Hören seine eigene Würde

»Unser Glaube, dass die Zeit vorangeschritten ist, rührt daher, dass wir zurückgefallen sind. …

… Aus der fernsten Vorzeit entdecken wir in der Literatur aller Nationen ab und zu Worte von höherem Ton und Ziel, als zur Durchführung des täglichen Lebens erforderlich wäre. Laut Scott schwimmen diese auf dem Meer der Zeit wie Wrackteile, Klänge, die eher zwischen den Sternen widerhallen als durch die Täler der Erde …

… Vielleicht kann ich sagen, dass ich das Leben – seine große Gelassenheit – nie tiefer und unvergesslicher erfuhr, als ich nach einem Schauer inmitten der Heidelbeerbüsche dem Triller einer Baumammer lauschte. Dies ist eine Mitteilung auf die ein Mensch in Einsamkeit und Stille hören muss, und die er seinem Mitmenschen nie wird vermitteln können. … Wir hören bisweilen – und dieser Sinn behauptet seine Würde.«

(Henry D. Thoreau, Tagebuch II)

… dass jedes Hören seine eigene Würde hat. Vgl. auch andere Würdenwege, andere Schauer

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rousseauvian ::: Botanik im Kopf

»ich bin ganz vernarrt in die Botanik, und das wird alle Tage schlimmer; ich habe bereits nichts weiter als Heu im Kopfe und werde eines schönen Tages selber als Pflanze erwachen: ich fasse schon Wurzeln in Motiers.«

»Die Botanik ist das richtige Studium für einen müßigen und faulen Einzelgänger … er spaziert, irrt ungebunden von einem Gegenstand zum anderen, widmet sich dem Anblick jeder einzelnen Blume voller Anteilnahme und Neubegier, und sobald er die Gesetze ihrer Struktur langsam zu ahnen beginnt, bereitet ihm die mühelose Beobachtung so lebhafte Freude, wie wenn sie mit viel Aufwand verbunden gewesen wäre. Diesem faulen Tun eignet ein Zauber, den man nur im Ruhen aller Leidenschaften fühlen kann; doch es genügt um das Leben süß und selig zu machen.«

(Rousseau nach: Stefano Mancuso, Aus Liebe zu den Pflanzen)

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thoreauvian ::: klar bis kryptisch, Ausgangspunkt, Weg und Ziel

»Damit eine Handlung als intelligent gelten kann, müssen laut Delpino drei Phasen stattfinden: ›Ausgangspunkt, Weg und Ziel (…) sie sind Teil des Pfeils, der in Jupiters Auge seinen Anfang nimmt, den Raum durchquert und das Ziel trifft.‹ «

(Stefano Mancuso, Aus Liebe zu den Pflanzen)

… Thoreau hätte nicht schöner vom Klaren ins Kryptische abgleiten können.

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Pessoa–de Campos ::: selbst sein und andere(s) sein

»Keine Epoche vermittelt ihre Empfindsamkeit einer anderen … nur ihre Einsicht in diese Empfindsamkeit. Mittels unserer Empfindsamkeit sind wir wir selbst. Mittels unserer Einsicht sind wir andere. Diese Einsicht fächert uns auf; und durch das was uns auffächert, überleben wir. Jede Epoche liefert den nachfolgenden nur das, was sie nicht war … Ein Gott im heidnischen Sinne, mit anderen Worten, ein wahrer Gott, ist nicht mehr als die Einsicht die ein Lebewesen in sich selbst hat …

… sich verstellen heißt sich kennen.«

(Fernando Pessoa/Àlvaro de Campos, Ambiente, in: Poesie und Prosa)

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Pessoa–de Campos ::: sich selbst synthesieren

»… dass ein jeder von uns eine Ansammlung subsidiärer Psychismen ist, eine verfehlte Synthese von Zell-Seelen.«

(Fernando Pessoa/Àlvaro de Campos, Ultimatum, in: Poesie und Prosa)

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thoreauvian ::: sich selbst überblicken

»Wir … haben kein vorausblickendes Gedächtnis – sondern wir leben, als sei es unmöglich, uns jemals selbst zu überblicken.«

(Henry D. Thoreau, Abschriften 1840–1842, in: Tagebuch II)

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thoreauvian ::: wieder thorough | sich selbst beantworten | literanatur

»Jedes Werk von großer Autorität und Genialität schiene in unserer Vorstellungskraft den gesamten Raum zu durchdringen und zu durchfluten.«

Im Verstehen was das Lesesehnen nach Thoreau entstehen lässt, beantwortet Hr. Thoreau sich selbst. Es geschieht in Werken, die das Selbst durchfluten; sie füllen es an, und aus. Verbinden sich mit dem Selbst, und sind danach nicht mehr zweifelsfrei davon zu unterscheiden, und schon gar nicht mehr daraus zu lösen.

»Sein Geist, gleichsam ein feinerer Äther, zöge zusammen mit den vorherrschenden Winden eines Landes dahin – und verliehe den Wiesen und den Tiefen des Walds einen neuen Glanz und umspülte die Heidelbeeren auf den Hügeln, wie manchmal ein zarter Einfluss am Himmel in Wellen über die Felder strömt und an einem unsichtbaren Strand in der Luft zu branden scheint. Er würde die Morgen- und die Abendstunden zubringen – und alle Dinge würden ihn bestärken. Als ich mich in die Wälder aufmache, überlege ich, ein Buch mitzunehmen, dessen Verfasser sich dort auskennt – dessen Sätze meinen Gedanken in nichts nachstehen und sie weiterführen werden – oder mir menschliches Leben zeigen, das selbst dann noch am Horizont glänzt, wenn die Hügel die Stadt schon verdecken. Doch ich kann niemanden finden, keiner will so weit voransegeln, in die Bucht der Natur wie mein Denken – sie bleiben zu Hause – Als ich die Wälder erreiche, rascheln ihre dünnen Blätter in meinen Fingern. Sie sind klar und deutlich und nicht von einem Lichtschein oder Dunst umgeben. Die Natur liegt weit und heiter hinter ihnen allen.

Ich würde gerne auf den großen und gelassenen Satz stoßen, der sich nur darin offenbart, dass er groß ist, den ich selbst mit meinem größten Scharfsinn nie durchdringen kann und hinter den ich nicht gelange – weiter als der Himmel selbst – den kein Verstand erfassen kann. Ihm sollte eine Art Leben und Zucken gegeben sein; unter seiner Rinde sollte auf immer eine Art Blut kreisen, das seinem Aussehen Frische verleiht.«

(Henry D. Thoreau, Abschriften 1840–1842, in: Tagebuch II)

… und findet das eine als gegenseitige Metapher in dem anderen. Naturaes Bruder. Literaturs Schwester. Das Denken hüpft begeistert um das eine wie es um das andere kreist und aus beiden hervorgeht.

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southern reach ::: die schönheit all dessen verstehen

… windzerzauste Bäume. Salzmarschen. Anblick friedvoller Landschaft. Expeditionszusammenstellung Teil eines komplexen Musters. »Die Wirkung versteht man nur, wenn man dort gewesen ist. Auch die Schönheit all dessen versteht man nicht, und wenn man die Trostlosigkeit schließlich als schön empfindet, dann hat sich etwas in einem verändert. Dann ist die Trostlosigkeit dabei, sich im Inneren auszubreiten.«

(Jeff VanderMeer, Southern Reach)

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Pessoa–de Campos ::: sich selbst auskippen

»… Zufallsgedanken, wie aus einem umgekippten Eimer …«

(Fernando Pessoa/Àlvaro de Campos, … wie an Tagen, in: Poesie und Prosa)

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Neuvel ::: sich selbst anordnen

»Sie sind eine sehr komplexe, Ehrfurcht gebietende Anordnung von Materie, die bei Zimmertemperatur stabil ist.«

(Sylvain Neuvel, Giants)

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Pessoa–de Campos ::: sich selbst vergessen

Lissabon, mit seinen Häusern, und seiner Farbenvielfalt. »Monoton in seiner Buntheit, so wie mein vieles Fühlen nur Denken provoziert … [nachts im Bett] … in der unnützen Geistesklarheit des Nicht-schlafen-Könnens … [möchte sich etwas vorstellen, doch es scheint immer wieder etwas anderes auf, weil er von Müdigkeit übermannt wird] … und mit der Müdigkeit auch ein wenig Traum … [möchte mit seiner Phantasie zu ausgedehnten Palmenhainen] … doch sehe ich, auf einer Art Innenseite meiner Lider, nur Lissabon mit seinen Häusern, ihrer Farbenvielfalt [*] … [doch, lächeln, wenn er so liegt, wirkt es in seiner Monotonie bunt]

… und da ich bin, schlafe ich ein und vergesse, dass ich existiere …« während Lissabon mit seinen farbenvielen Häusern bleibt.

(Fernando Pessoa/Àlvaro de Campos, Lissabon, in: Poesie und Prosa)

* was einem auch in Porto ohne weiteres geschehen kann

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