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fotorunde ::: antike tragik, libellenverrettung
… habe noch eine hoffentlich zu keiner Metaphorik hinreissende Geschichte die ich Dir erzählen mag weil wir am Schladitzer See doch so große Libellen gesehen haben. Ich habe an einem meiner Tümpelabendspaziergänge im Rosental mit einigen Minuten Mühe eine in feinen Pflanzengewirr verzwirrlte Libelle aus dem Flachwasser gerettet (ein viel zu biegsamer ein Meter langer Pflanzenstengel war notwendig um sie überhaupt zu erreichen) und sie dann auf einen sonnenbeschienen Ast zum Trocknen gelagert.
Sie hat auch fleißig mit ihren lädierten Flügeln rotiert und ich weiß natürlich dass Insekten nicht wirklich so etwas wie eine Mimik haben, doch ist ihr Blick nicht ganz und gar einer von drolliger Dankbarkeit wie ich es hineinprojiziere? Nun jedenfalls als sie so nett lange gebraucht hat um in Trockenflügelschlagübungen wieder flugtauglich zu werden (was mir viel Gelegenheit zu Fotos gab, auf der anderen Seite schwankte der Wind sie mir auch immer wieder aus dem Fokusbereich), und ich schon fürchtete sie kann nicht mehr fliegen, da hob sie mit einem Mal ab, und flog hoch und höher in den blauen Abendhimmel hinein, und ich konnte ihr bestimmt 30 Meter hinterherblicken, und es war so ein leichtes Gefühl. Sehe noch ganz versonnen zu der Stelle weit über mir wo ich sie gerade noch sah bevor sie ein Punkt wurde und dann ganz zu weit weg war …
… da kommt eine Krähe von links angeflogen und genau über dem Punkt an dem sie sich jetzt wohl befinden musste, sackt … die Krähe … so eigentümlich … nach unten … im … Flug … weg … wie … nunja, wie um etwas aus dem Flug zu schnappen. Meine Libelle! Ich stand da, starrte ins Blau und konnte es sehr lange nicht fassen. Ich hatte sie doch gerade gerettet, und sie schwob so glücklich und frei ins Blaue hinein!
Neinnein, nichts soll uns diese kleine Episode über das Leben sagen.
sich selbst ::: überlagern
Das Ich als Überlagerung der »immateriellen« Outputs der verschiedenen Stufen stammesgeschichtlicher Evolution des Gehirns. Das Ich als Überlagerungszustand.
montaigne ::: in uns selber doppelt
Notiz zu den Anmerkungen »… gewissermaßen in uns selber doppelt …«
(Sarah Bakewell, Wie soll ich leben? – oder das Leben Montaignes
in einer Frage und zwanzig Antworten)
… bspw. Körper & Bewusstsein, das Sein & das auf das Sein (aufmerksam) gewordene Sein.
lost on diy ::: eine Unzufriedenheitserklärung
Auszüge aus e-Kommunikation 2009, kommentiert
ich bin so stolz ein Ingenieur zu sein
einfache Montage einer Fassung mittels Lüsterklemme an Stecker
Habe mir heute eine Glühbirnenfassung und ein dazu passendes Stromkabel im Baumarkt besorgt, weil ich für ein Geburtstagsgeschenk in diese Richtung »nicht mehr existenter Link zu Zauperlampe« experimentiere. Die Richtung stimmt, doch bisher würde ich es trotzdem ein Scheitern nennen.
Wie auch immer, ich habe Glühbirnen mit dickerer Fassung, die nicht in die Stehlampen passen, und will ja immer ausprobieren, wies jetzt in unmittelbarer Wandnähe so wirkt, nachdem ich die Tupfen dicker und größer gemacht habe. Ab einer Entfernung von 1 Meter verpufft die Wirkung sowieso. Bisher musste ich dazu immer auf einen Stuhl, die Glühbirne aus der Deckenlampe schrauben, auswechseln, vom Stuhl runter, Licht an, gucken, enttäuscht sein, weißes Blatt in die Nähe halten um Wand zu simulieren, wieder auf den Stuhl, hach mist, vergessen Licht auszumachen, vom Stuhl runter, Licht aus, auf Stuhl hoch …
Neben dem sportlichem Problem ist die Deckenlampe einfach zu weit von der Wand weg so das man den Effekt nicht abschätzen kann.
Also jetzt: Stromkabel mit Stecker und hey Luxus, ich habe mich sogar für die Variante mit An-Aus-Knipsschalter entschieden + Lüsterklemme + Glühbirnenfassung. Stecke die Drähte in die Lüsterklemme, frage mich wie weit ich sie stecken muss, und ob es so stimmen kann dass um die Drähte am Glühbirnenfassungsteil nochmal so Extrametall drumrumgeknibbelt ist, suche einen Schraubenzieher mit dem ich in die dünnen Lüsterklemmenschraubenröhrchen (→ Achtung Fachbegriff) komme, zerlege dazu Patricks Taschenmesser, schraube und zurre das ganze fest. Schraube die Glühbirne ein, stecke den Stecker in die Steckdose und wappne mich gleichzeitig des hereinbrechenden Flutlichts (25 Watt): nichts passiert.
Schraube alles wieder auseinander, lasse von Patrick diese zusätzliche Metallummantelung wegknibbeln (mit Patricks Taschenzange die er beim Weihnachtswichteln bekommen hat), schraube alles wieder zusammen, hilfreicher Weise findet Patrick an der Taschenzange auch einen Taschenschraubenzieher der passt, stecke wieder den Stecker in die Steckdose, kneife die Augen zusammen: wieder nichts. Frage mich ob es richtiger wäre die Klemmschrauben über der Kunststoffummantelung festzuklemmen damit sich die Drähte innerhalb noch mehr berühren. oder ob eines der Teile schlichtweg defekt ist.
Denke mir dass es so schwer nicht sein kann, eine blöde Lüsterklemme und zwei Kabelenden zu verbinden. Nehme nochmal alles auseinander. Fordere Patrick auf in google zu recherchieren wie eine Lüsterklemme genau zu verwenden ist (→ J.K. Jerome, Onkel Podger!). Schraube Drahtenden, Lüsterklemmen und Glühbirne noch fester zusammen. Stecke wieder den Stecker in die Steckdose. Bemerke meinen unterbewussten Ingenieur wie er mir schon seit verzweifelten Minuten etwas zu Bewusstsein schreien möchte. Die Glühbirne bleibt dunkel. In meinen Kopf hallt es wieder: der Schalter! Knipse den verd… Schalter an!
Fiat lux!
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Ausblick ::: sich selbst verheddern
Ausblick: in rekursiven Schlaufen des Selbst verheddern
Pilgergrüße aus Bamberg
Ihr eifrigen PilgerInnen, seht und höret!
da ist man einen Tag in Bamberg um eine ebenfalls dort zu Besuch weilende Freundin zu sehen, schweift danach durch die Stadt, und wo führen einen Kismet und steil gepflasterte Gassen hin? Jakobsstadt Bamberg!
Und sieht er nicht wie ein richtiger Pilger aus, wie er da so in der Kirchaußenwand hängt? Beschwingt, ich vermeine sogar leicht tänzelnde Schritte zu erkennen, ist das ein Samba? Ein Detail das ihr mir noch gar nicht offenbart habt, sondern hinter Geschichten von schwielend vernarbt und suppenden Füßen geschickt zu tarnen wusstet. War der ganze Jakobsweg eine einzige Love Party? Eine langgezogene mittelalterliche Rave-Parade von Ausmaßen die man sich heutzutage gar nicht mehr ausmalen kann? So also geht es wirklich auf dem Jakobsweg zu, jeder schwingt und zwirbelt seine wallenden Gewänder, wie Derwische segelt und zirkuliert die Pereginatio gen Spanien, um es da am Ziel angelangt vermutlich nochmal so richtig krachen zu lassen. Ich ahnte ja nicht …!
Grüße im hohen Zeichen der Muschel! M.
thoreauvian ::: wieder thorough | sich selbst beantworten | literanatur
»Jedes Werk von großer Autorität und Genialität schiene in unserer Vorstellungskraft den gesamten Raum zu durchdringen und zu durchfluten.«
Im Verstehen was das Lesesehnen nach Thoreau entstehen lässt, beantwortet Hr. Thoreau sich selbst. Es geschieht in Werken, die das Selbst durchfluten; sie füllen es an, und aus. Verbinden sich mit dem Selbst, und sind danach nicht mehr zweifelsfrei davon zu unterscheiden, und schon gar nicht mehr daraus zu lösen.
»Sein Geist, gleichsam ein feinerer Äther, zöge zusammen mit den vorherrschenden Winden eines Landes dahin – und verliehe den Wiesen und den Tiefen des Walds einen neuen Glanz und umspülte die Heidelbeeren auf den Hügeln, wie manchmal ein zarter Einfluss am Himmel in Wellen über die Felder strömt und an einem unsichtbaren Strand in der Luft zu branden scheint. Er würde die Morgen- und die Abendstunden zubringen – und alle Dinge würden ihn bestärken. Als ich mich in die Wälder aufmache, überlege ich, ein Buch mitzunehmen, dessen Verfasser sich dort auskennt – dessen Sätze meinen Gedanken in nichts nachstehen und sie weiterführen werden – oder mir menschliches Leben zeigen, das selbst dann noch am Horizont glänzt, wenn die Hügel die Stadt schon verdecken. Doch ich kann niemanden finden, keiner will so weit voransegeln, in die Bucht der Natur wie mein Denken – sie bleiben zu Hause – Als ich die Wälder erreiche, rascheln ihre dünnen Blätter in meinen Fingern. Sie sind klar und deutlich und nicht von einem Lichtschein oder Dunst umgeben. Die Natur liegt weit und heiter hinter ihnen allen.
Ich würde gerne auf den großen und gelassenen Satz stoßen, der sich nur darin offenbart, dass er groß ist, den ich selbst mit meinem größten Scharfsinn nie durchdringen kann und hinter den ich nicht gelange – weiter als der Himmel selbst – den kein Verstand erfassen kann. Ihm sollte eine Art Leben und Zucken gegeben sein; unter seiner Rinde sollte auf immer eine Art Blut kreisen, das seinem Aussehen Frische verleiht.«
(Henry D. Thoreau, Abschriften 1840–1842, in: Tagebuch II)
… und findet das eine als gegenseitige Metapher in dem anderen. Naturaes Bruder. Literaturs Schwester. Das Denken hüpft begeistert um das eine wie es um das andere kreist und aus beiden hervorgeht.
Neuvel ::: sich selbst anordnen
»Sie sind eine sehr komplexe, Ehrfurcht gebietende Anordnung von Materie, die bei Zimmertemperatur stabil ist.«
(Sylvain Neuvel, Giants)
pratchett ::: Tastaturgefallen
fünf Weisheitsanschläge aus der Tastenwelt
i »ich räume lieber gleich ein, dass ich mit Magie genausowenig am Hut habe wie mit Astrologie. Ich bin nämlich von Sternzeichen Stier, und wir Stiere halten nichts von Okkultismus.« ii ein Tagblick durch ein Teleskop — »Das Universum leuchtete, es wurde auch am Tag nicht ausgeknipst! Das wusste ich zwar schon ewig, aber es war trotzdem eine Offenbarung – keine Ahnung von was oder wem oder wozu, aber egal, zu einer Offenbarung sagt man nicht nein.« iii zur Theaterumsetzung von eine Insel. »… kam ich mit vielen Zuschauern ins Gespräch und hörte nur Gutes. Selbst das ältere Ehepaar, das zugab einiges nicht ganz mitgekriegt zu haben, zeigte sich zufrieden damit, dass es eine Idee gab, die man hätte mitkriegen können, selbst wenn es ihnen persönlich nicht geglückt war.« vi »Die Unwissenheit steht bei den Menschen generell nicht hoch im Kurs, obwohl wir auf Erden das einzige Lebewesen sind, das sich wirklich damit auskennt. … Unwissenheit ist etwas wunderbares – sie ist der Zustand in dem man sich befinden muss, ehe man wirklich etwas lernen kann.« v »… wir halten die Zukunft für eine riesige Welle die uns davonträgt. Wir glauben, dass wir sie kommen sehen. Stattdessen bildet sie erst kleine Pfützen um unsere Füße und steigt uns dann ganz langsam über den Kopf, während wir mit anderen Sachen beschäftigt sind. Wir leben in einer Science Fiction Welt und merken es nicht einmal.«
(Terry Pratchett, Aus der Tastatur gefallen)
aphoristische Begegnung ::: Buddhismus/bedrohlich
… Kontemplation gehört zum Gefährlichsten was abendländischen Gesellschaften geschehen kann.
»Die ruhige von aller Reflexion und Begierde losgelöste Betrachtung der Dinge in ihrer Gesamtheit: das ist die so simple wie ganz und gar eigenständige Ästhetik Schopenhauers, die von der Klassik letztlich ebenso weit entfernt ist, wie von der Romantik. Eine solche Konzeption ist kein genuiner Teil der abendländischen Kultur, und man kann sie als ein erstes Anzeichen dafür werten, dass Schopenhauer sich dem ›tiefsten Gedanken‹ annähert, der in Nietzsches Worten dazu führte, dass ›Europa von einem neuen Buddhismus bedroht scheint.‹«
(Michel Houellebecq, in Schopenhauers Gegenwart)
PGI Expeditionsbericht ::: mondsichtig
Acht Wochen Trockenheit, am Abend der Mondfinsternis Wolkenbruch um 19:00. Hoffnung und Zuversicht hochhalten, es war ohnehin viel zu warm. Ha, es klart auf!
Vorabend, auf Mondsuche, ein anderes interessantes Himmelsphänomen lenkt ab, am Gegenhorizont ist eine Spiegelung der Sonne zu sehen, habe ich davon nicht schon einmal gelesen, wie hieß das doch gleich, … huch, ahahaaa, das ist Er ja, der Mond! Ja, das sieht nach hervorragenden Bedingungen aus! Glasklar steht er am Himmel. Wie durchsichtig. Wie … Wie … Wie gerade noch erahnbar! Das lässt Großes für Morgen hoffen!
Der Weg zum Beobachtungsplatz. Die gegenüberliegende Flussseite, malerisch in Dunst und Abendfarben getaucht, immerhin hierfür wird sich das Verlassen der Wohnung gelohnt haben.
PGI am Palmengarten in der Mondnacht. Mücken. Wehrlosigkeit beim Halten von Langzeitbelichtungen. Flusskrokodile. Der Fluss wie Morast, ein Sumpf, Geruch wie am Meer, modrig, Seemonster werden heraufbeschworen. Musikmarodierende Jugendliche ziehen durch die nächtliche Parklandschaft. Wie gestern zeigt sich der Mond wiederum so klar konturiert und umrissen, überdeutlich klar prangt er am Himmel, so …, so …, so transparent! Nur keine Enttäuschung anmerken lassen. Ereignissen von astronomischer Größe kann mit ausreichend Phantasiewillen immer angemessene würde- wie weihevolle Aufmerksamkeit gezollt werden. Mag er auch so gut wie vollkommen verborgen in nicht direkt als Masse erkennbaren, sondern nur indirekt dadurch dass sie den Mond diffus verschleiern, Wolken sein, nur leicht rosa getönt, ein Schimmern, aber die ganze Szenerie, überhaupt nach einem Regenschauer abends hier im Park, wenige Mitmondsichtige die sich auch den Palmengarten oder oben die Brücke als Beobachtungsplatz ausgesucht haben, das ist doch schon etwas aus dem Alltag Enthebendes! So witzeln wir nur kurz, dann hätten wir ihn ja nun gesehen, und können wieder gehen, und schlagen unser Beobachtungscamp auf den Stufen auf.
Es wird dunkler, der verfinsterte Schattenmond sichtbarer. Und unter dem marsscheinendem Mond der eigentliche, von Sandstürmen noch lichter angefachte Mars, wie an einem Pendel unter ihm schwingend.
Es wird dunkler, und der Mond kontrastreicher, irgendwann stippt er mehr und mehr aus den niedriger liegenden Wolken heraus, und zeigt sein marsrot verdunkeltes Selbst, der Kollege weist darauf hin, es wäre beinahe als wäre nun der Mars unser erdnaher Trabant, der inzwischen auch als leuchtend rot strahlender Punkt wie an einem ausschwingenden Pendel unter dem Mond hängend zu sehen ist. Der Kollege referiert weiter über die dort gerade tobenden Sandstürme. Die ISS quert den Himmel. Vor dem Marsaufgang noch ist weiter rechts Jupiter als buttrig leuchtende Kugel am Himmel zu sehen. Wirkungen auf frühere Menschen, ohne den Schutz der erklärenden Wissenschaft werden nachempfunden, und so relativ schnell zeigt sich nun doch das Verlassen des Mondes aus dem Erdkernschatten, dass auch klar ist, wie wirkungsvoll und zwingend logisch die entsprechenden Opfergaben erschienen sein müssen.
Verzweiflungserfahrungen mit den Kameras, nicht anspringender manueller Fokus, oder wenn er beim einen anspringt, findet man aufgrund mangelnder Lichtstärke des zu dunklen Mondes keinen Ansatzpunkt, als mein manueller Fokus endlich aktiviert, ist der Bildschirm so bunt rot schwarz blau kriselnd, und der Mond erscheint, so man ihn findet, als einzige Pixelkugel — in Wahnsinn getauchtes Auflachen — dass eine Scharfstellung vollkommen unmöglich ist. Dafür Freude an zufällig zu interessanten Bildern geglückten Verwacklungen.
Und dann der großartige und weitere Albernheiten und Witzeleien, überreizten Wahnsinn generierende Moment, als die Sonne einen sichelförmigen Teil des Mondes wieder direkt berührt …
… unglaublich wie hell, strahlend, dieses Licht, und so ist er normalerweise immer? Schon während der Kernschatten wohl nicht mehr auf ihn fiel, die Nuancen in denen sich die Mondfarbe wandelt, seine kontrastgebenden Strukturen wieder klarer werden, er nicht mehr wie eine verschwommene Nuss, Keks, oder Mikrobe am Himmel aussieht, durchaus zauberhaft. Eine Weile schimmert er wie cremiges Perlmutt. …
… und nun die Sichel, und der Kollege ruft, er sieht aus wie ein am Himmel hängender Augapfel! Wir ticken kurz vollkommen aus aufgrund dieser so großartig plastischen und vor allem das zu Sehende exakt und treffend beschreibenden Eingebung. Da hängt ein riesiger Augapfel am Himmel und glotzt! Mit blutversorgender Äderung und allem.
Und was nun aber auch immer klarer wird, man sieht es wirklich, die Dimension dessen was man eigentlich sieht, wie der Schatten der Erde nicht mehr vollkommen auf den Mond trifft, wie sich der Mond langsam daraus heraus schiebt, man sieht und begreift wirklich: es ist der Erdschatten. Wann wirft man schonmal so einen großen Schatten auf irgendwas? Wir, die Erde. Und später als nur noch ein kleines Stückchen vom Schatten herausgenagt ist, die Überlegung, wer ist denn das jetzt noch? Asien? China? Versuchen wieder Erde, Konstellation, Sonne und Mond in unserem Gehirn als Modell entstehen zu lassen, und es ist beinahe unmöglich, nur verschwommen möglich, die Dimensionen sind zu groß, als dass das Modell im Gehirn aufgebaut und gehalten werden könnte.
Begleitend die Freude dass man aufgrund der Witterungsverhältnisse nicht mehr geglaubt hätte das Spektakel so berauschend sehen zu können. Acht Wochen Trockenheit und in dieser Nacht Wolkenbruch! Doch dadurch auch so viel stimmungsvoller, mythischer, mystischer, zumal das Wehr draculesk unter Mond und Mars illuminiert ist.
Und dann sieht Hr. Görlt die wieder leuchtende Sichel mit Strahleneffekt, und ich gebe meiner Beobachtung Raum dass ich mit Brille zwar nicht randscharf sehe, aber die Sichel als Form doch nur leicht versetzt durch all die h2o-Moleküle über sich selbst hinaus zu strahlen scheint, doch ohne Brille, wie ein Star Trek Emblem, die Sichel ist mehrmals versetzt übereinander gepatcht, mindestens fünf- bis sechsmal, schade dass die Kamera nicht so sehen kann, wie man selbst. Dafür fotografiere ich derweil Zini-Monde, und vollkommen verworrene Blupse.
Unser Mond wird wieder heller und heller, so hell wie sonst, aber im Vergleich zu den vergangene Stunden wirkt er so hell leuchtend wie nie, und seine Farbe nicht silbrig wie sonst, sondern sonnengelblich, man sieht und staunt, ganz rechts noch ein winziger Hauch von Schatten, nicht einmal mehr scharf umrissen, es ist, als hätte man den Mond noch nie gesehen. Erde und Luft nachtkühl und voll tauer Feuchtigkeit, die Nacht zwar nicht wirklich dunkel, aber doch nachtblau, und über den beiden Bäumen so malerisch, übernatürlich der wieder erleuchtete Mond und sein »kleiner« Kompagnon der Mars, wie eine Erinnerung an die Mondfarbe der vergangenen Stunden.
Durchaus, so etwas sieht man nicht alle Nächte, mehr als gelohnt dafür die vertraute Freitagabendroutine aufgegeben zu haben, raus, all die Stimmungswechsel von übersteigerter Erwartung, transparenter Ernüchterung (das Gefühl vor diesem beinahe nicht zu sehenden Mond, es bringt das Erleben der letzten Sonnenfinsternis wieder), und zunehmender Spektakularität bis hin zu kirrem Wahnsinn und Ehrfurcht, raus, in den von partysierenden Jugendlichen dominierten Park, wo doch die Erinnerung im Vorfeld, auf das was man sehen und wie es sein wird, immer eine so wissenschaftlich feierliche Atmosphäre aufweist. Und der faszinierte Zauber für das was man sieht, dass man etwas im galaktischen Maßstab des Sonnensystems tatsächlich beobachten und erleben kann, teilhaben kann, natürlich kann man ja immer, aber dadurch dass eine Veränderung in der Zeitspanne weniger Stunden in der Nacht mit verfolgt werden kann, wird es so viel deutlicher, wie diese Felsen in der Weite des Alls hängen, und sich umeinander drehen.
Noch vollkommen von dem was ich gesehen habe erfüllt und bezaubert, (aufgedreht, überdreht, überreizt), dieses Ereignis, außerhalb des Erdalltags, außerhalb des menschlichen Alltags. Es wurde wie zu Anfang nicht gedacht, doch viel zufriedenstellender als die letzte Sonnenfinsternis.
Das Gefühl zu dem was in dieser Nacht auf der Leinwand des Himmels sehen konnte, ist vielleicht am besten zu beschreiben, wie der wieder erleuchtete Mond selbst, genauso fühlt es sich an, wie eine in schimmrigen Wasserdunst cremeweiß strahlende Lichtscheibe, und durch das Fernglas macht man in dieser Farbe Nuancen aus, sieht die Mare, und die Berge, vermeint verschiedene Steinfarben auszumachen, und ein bisschen fühlt es sich auch an, wie eine kleine Kindermurmel, eine wunderschöne Murmel die am Himmel hängt und einen auf einfache Weise glücklich macht, ein glitzerndes Juwel für die Erinnerung.
Noch vollkommen durchzogen, durchschliert und angefüllt, mondsichtig. Der Hr. Kollege erwähnte übrigens dass dieses Wort ihm wie ein Virus scheint, dass seitdem er es hörte durch sein ganzes Gehirn geht, und jedes Vorkommen des Wortes mondsüchtig durch mondsichtig ersetzt.
… viele weitere Umdrehungen könnten hier niedergeschrieben werden, nie endend, besser bekomme ich dieses beglückte Gefühl wohl doch nicht zu fassen, dieses unmittelbare Wahrnehmen unseres Sonnensystems auf nächtlicher Erde. Diese Besonderheit des Augenblicks. Diese Magie … [fade out]
Googlebildsuche liefert auf sehr zufriedenstellende Weise durchaus viele Bilder, die die Färbungen und verschiedenen Phasen der Finsternis wirklich so zeigen, wie man es im Fernglas gesehen hat. Vor allem die Farben, hach, oh nein, es geht schon wieder los … [fade fade out] … und für Leipzig sieht man zwei ähnlich dilettantisch ernüchternde Versuche diesen in der Luftfeuchtigkeit verschwommenen Blobs abzulichten. [out]
thorouvian | m.o.n.d. ::: lunares theater
… mit einem Fernglas gen Mond, zum Klang von Fröschen und Akkordeon aus einem nahen Saal …
»Ich bin sicher, dass der Mond in einer menschlichen Atmosphäre schwebt. Es ist nur ein ferner Schauplatz des Dramas der Welt; ein weiträumiges Theater, das die Götter uns geschenkt haben, und unsere Handlungen müssen es ausstatten. Mehr Meer ist hier, und Land, Berg und Tal – ein fernerer Westen, eine Frische und Wildheit auf Vorrat, wenn alles Land geläutert sein wird. Ich sehe drei kleine Seen zwischen den Hügeln nahe ihrem Rand, und sie spiegeln die Strahlen der Sonne … ich meine die Rippen der Geschöpfe zu sehen. … so viel ist zwischen mir und ihnen. Es ist dort vielleicht Mittag und Schiffe liegen im Himmel vor Anker oder segeln auf den Meeren, und dort ist Lärm auf den Straßen, und in diesem Licht oder in jenem Schatten sinnt eine ruhige Seele.
Aber jetzt fliegen Käfer über seine Scheibe und bringen mich zurück zu Erde und Nacht.«
(Henry D. Thoreau, Tagebuch I)
auf alten Wegen ::: auf sich selbst zurückfallen
Ein spanisches Palindrom das es in sich hat »la ruta nos aportó otro paso natural – der Pfad führt uns zum natürlichen nächsten Schritt.«
Und noch mehr hat es in sich, was Hr. Macfarlane dazu zu sagen hat »Die chiasmische Struktur verdeutlicht auf kluge Weise die Transformation, die der Pilger durchläuft, wenn er zu seinem Ursprung zurückkehrt und sein Geist wieder auf sich selbst zurückfällt. Er bleibt scheinbar unverändert und vollzieht zugleich einen tiefgreifenden Wandel.«
(Robert Macfarlane, Alte Wege)
Jaye Jayle ::: Emma Ruth Rundle | 3.12.17 | UT Connewitz
»wir durchfuhren geräumige Dunkelheit, wie der Philosoph William James es einmal nannte«*
(Robert Macfarlane, Alte Wege)
Der Weg führt durch ins Gesicht wehenden und wirbelnden Neuschnee mit einem kleinen Umweg ins UT. Zestglücklich sitzen wir schließlich an den seitlichen Sitzen, umfangen vom gemütlich wartenden Dunkel im sich zunehmend mit Menschen füllenden Saal, dessen Schönheit auch an diesem Abend ausgiebig und mehrmals gewürdigt werden wird. Umfangen von diesem heimeligen prä-Konzert-Gefühl, und der Frage, wie sehr vielleicht nicht nur Landschaften das eigene Leben und Selbstsein prägen, wie Robert Macfarlane es in Alte Wege beschreibt, sondern auch dieses gemeinschaftliche Gathering, Menschen die sich abends entspannt versammeln, um live Musik zu hören.
Jaye Jayle beginnen mit einzelnen, alles durchdringenden, schlagenden Tönen, die – beide mit Schlagzeug ausgestatteten Musiker zeigen sich im suchenden Blick mit dem Aufeinanderklacken von Holzstäben beschäftigt – von keinem der beiden Schlagzeuge kommen. Es ist der Bassist, der diese satten Schläge setzt, um die sogleich ein dicht durchdrängtes Klima aus an Nick Cave erinnernden Gesang, urgewaltigem Rhythmus, Schüttelklängen, triefendem Blues, und einem durch Musik und Mensch hindurchgehenden tief vibrierenden sirenenaufjaulendem Spezialgeräusch geschaffen wird, der Gesang zwischen nahezu geflüsterten Beschwörungen und daraus emporsteigenden Schreien wechselnd, die schwer auf allem lastende Spannung durchbrochen von kurzen Atempausen, in denen einzelne Instrumente etwas zurückweichen, und darin sanft eingestreuten weichen backing Vokals und meditativ anplingenden Klängen und Weisen Raum geben.