Keine Postkarten! Keine Bilder.
Vorbemerkungen & Nebenbedingungen
Höchsterfreut und mit hochgeehrtem Gefühl, wenn auch nicht vollkommen ohne Nebengedanken – wie sie in einem freizt.-wissenschaftl. ausgerichtetem Team bei der Aussicht sich in einen fernen Landstrich zu begeben nicht ausbleiben können — folgten die Mitglieder des PGI der Einladung des Don Martín und seiner Miss Pili um auf ihrem eigens zu diesem Zweck gemietetem Anwesen Finca Almantigua im nördlich von Madrid gelegenen Mataelpino ein berauschendes Fest de la boda zu begehen.
Die anschließende Expedition al Norte ist abschließend betrachtet als ausnehmend erfolgreich zu bezeichnen. Nicht nur der Verlauf der Expedition war voll aufregender Entdeckungen. Jeder der Teilnehmer hat weiterhin vielfältige Anregungen für weitere Forschungsthemen zurück in das Institut genommen.
Die Spannung gipfelte für die Berichterstattende persönlich in einem Ereignis nach der Rückkehr in das traute PGI Wald, das für die gesamte Expedition rückwirkende, dokumentarische aber auch psychoemotionale Konsequenzen von noch nicht ganz erfassbarem Ausmaß hat. Dem Datenverlust sämtlichen Bild- und Filmmaterials durch einen Hardwarefehler der externen Festplatte.
Die Untersuchung des Umgangs mit diesem — für jemanden der sich in substanzloser Abhängigkeit zum Medium Photographie befindet — katastrophalen Ereignis an eigener Person erfüllt mich mit aussichtsreicher Vorfreude. Gibt es schon seit langem in meinem Kopf die Galerie der verpassten Bilder, derjenigen, bei denen man nicht im rechten Moment bereit war, auf den Auslöser zu drücken, so ist diese nun zigtausendfach durch die verlorenen Bilder bereichert, die zwar mit nie erlahmendem Eifer festgehalten wurden, nun aber so unwiederbringlich verschwunden sind, wie alles was auf der Leinwand des Sandes durch den Wechsel von Flut und Ebbe hinweggewischt wird. Nur in der eigenen Erinnerung leuchten sie noch in strahlendem Pixelglanz.*
Als weitere zu berücksichtigende Variable für den Forschungsaufenthalt an der spanischen Nordküste ist zu nennen, dass das Langzeitexperiment T.H.E.O.prac (Theoretical investigations in Homo sapiens Evolutionary processes based on an Own child Practical background) beträchtliche Ressourcen, vor allem bei den als Papá?! und Mamá! bezeichneten PGI-Mitarbeitern, erforderte. Doch dies liegt schließlich in der Natur von Langzeitexperimenten und war von vornherein eingeplant. Zudem ergaben sich interessante Querverbindungen des Langzeitexperiments mit den Begebenheiten vor Ort.
Der Aufenthalt stand weiterhin unter dem die Ortswahrnehmung und Neugier beflügelnden Einfluss des eigens für die Reise erworbenen Buches »Die seltsamsten Orte der Welt« von Alastair Bonnet, in dem der Autor sich aus einem psychosozial-geographischen, oft auch philosophischen Blickwinkel den kuriosesten Orten unseres Planeten widmet. Schon das erste Kapitel »Verlorengegangene Orte« scheint wie ein tröstender Spiegel zu den verlorengegangenen Bildern. Fängt der Autor den Zauber der wundersamsten Orte der Erde wie durch ein Vergrößerungsglas durch seine Sichtweise auf sie und seine Beschreibungen ein, so will auch eine jede Photographie den Zauber eines Ortes und eines Moments einfangen, um sie aus dem vergehendem Fluss der Zeit zu bewahren. Diesem Vorgang liegt etwas Magisches inne.
* man beachte hierzu die Wortherleitung in der Wikipedia: aus altgriechisch φῶς phōs, im Genitiv: φωτός photós, »Licht« und γράφειν graphein »schreiben, malen«, also »malen mit Licht«