Eine zweite Band schlendert auf die Bühne. In einem Rückblinzeln auf das erste Konzerterleben von Portugal. The Man sehe ich die Sängerfigur mit eingezogenen Schultern, dicht unter sich eingeklemmter Gitarre und unter dunklem Kapuzzenpulli versteckt, maskiert. Kapriziös. Nerdig. Knuffig. Die Band die nun die nebulöse Bühne betritt kann es also nicht sein schlussfolgert das Gehirn dem eine Schmelze unmittelbar bevorsteht, und dann setzt dichtester Gitarrenlärm ein — die Welt flackert — aus dem sich erst nach und nach erkennbar die Sängerstimme und geliebte Melodien herausschälen. Die sonnigen Jungs in hellen hawaiiösen Hemden sind es, sind Portugal. The Man. Metamorphose. Der Sänger mit klarem Blick und offenem Umgang mit dem Publikum. Was ist ihm nur geschehen?
Da sie nach den ersten beiden wildwuchernden Alben mehrere aus-chillernde Alben herausgegeben haben, ist es eine Offenbarung — eventuell eine Wiedererkennende grübelt die Erinnerung und fragt das Alter, doch dieses zuckt nur ohne Interesse die Schulter und blickt sturr nach vorne — diese Chillouts nun mit Gitarren brausend unterspült zu hören, die immer mal wieder eine kurze Öffnung für den Gesang lassen. Die damals leider kaum hörbare Stimme ist heute perfekt mit allem anderen austariert.
Der gemütlich fabriziös verbacksteinte Gang geradeaus zur sorgenvoll zu groß fürs live Erleben empfundenen Halle des Werk II wird durch den Anblick von dort unerwartet wartender Bekannter gebremst, und von ihr sogleich in die bisher unbekannte Halle D seitwärts abgelenkt, deren räumliche Ausbreitung perfekter gar nicht sein könnte für ein Konzert von Portugal. The Man. Günstigste Vorzeichen für den Abend stellen sich ein. So wie man es mit Fug vom Schicksal erwarten kann, wenn es sich anschickt einem eine herausragende Vorband in den Weg zu schleusen.
Sie formiert sich zahlreich auf der Bühne und der Blick wird von den beiden in gleich schmaler Statur nebeneinandersitzenden Schlagzeugern hypnotisch eingefangen, die im taktvoll um sich Schlagen teils synchron, dann wieder spiegelverkehrt und versetzt eine verzwickt wirbelnde Schlagzeugchoreographie aufführen. Schon allein mit diesem Kniff der Besetzung hätten The Builders and the Butchers mich bekommen.
Sie waren wieder da. VI, III, II. Es klingt etwas Neu darin.
Das Wiedersehen. Mit Jeniferever durch Leipzigs Konzertvenues pilgern. Sie waren im UT, im Panam, in der Mule und nun in der Nato. Und irgendwann in fernen Jahren werden sie hoffentlich jeden angemessenen Ort Leipzigs mit ihrer Musik beehrt haben; sie werden hoffentlich nie von diesen regelmäßigen Besuchen absehen.
Der heutige Bühnenanblick ist ungewohnt. Es ist Platz. Auf der Bühne. Ist es der Blick sonst gewohnt Equipment und Band in kleine Ausschartungen, wenn nötig übereinander, gestopft zu sehen, so ist diesmal um jeden Instrumentenschauplatz eine freie Fläche. Wie lauter kleine Inseln. Der Eindruck wird perspektivisch illusorisch verstärkt, da beispielsweise das Schlagzeug von einer komprimiert gedrungenen Bauweise ist, die auf der relativen Weite der Bühne ihres ursprünglichen Pferchsinns entbehrt.
In der Nato ist es nach der Vorband ruhig wie gebannt. Erwartung. Es ist, besucherseitig, ein kribbeliges Gefühl des Wiedersehens, wenn sie erst einzeln über die Bühne laufen um nochmal vor dem Auftritt ihre Instrumente zu begutachten, um schließlich gesammelt zu erscheinen und unprätenziös loszulegen. Es fühlt sich gut an, vor der Bühne zu sein, während Jeniferever dort oben stehen wie eh, und doch gewachsen. Und wie bei alten Freunden die man nur selten sieht, bemerkt man Veränderungen. Nichts Wesentliches erst. Kleinigkeiten.
So wirken sie, vor allem im Vergleich zum konzertabgekämpften Erscheinen am letzten Tag der vorhergehenden Europatour, dieses Mal aufgeräumt und leicht, frisch und erholt. Keine Spur der ebenso schon lang währenden Tour ist ihnen anzusehen. Doch bei all der Nonchalence des Auftretens, gibt es kein Nachlassen in ihrem Spiel.
Das UT lockt wieder hinterhältig mit Bestuhlung in engen und scheingepolsterten Reihen. Doch dies tut dem UT nie Abbruch. Beginn Kapelsky. Klezmerhochgestimmte Geige verzückt. Kontrabass wird hin und wieder als Perkussionsinstrument verwendet. In der Besetzung Geige, Gitarre und Kontrabass scheint nur auf die Sicht von mehreren Liedern eine Lücke zu wirken. Digger Barnes. Die sanfte und einfache Stimme, die sehr klar erzählt und artikuliert, und innerhalb der künstlichen Existenz von Digger Barnes vollkommen authentisch und ungekünstelt wirkt. Man lehnt sich zurück und hört zu. Und viel mehr muss in den Liedern nicht geschehen, als hie und da ein pedales Pochen an die große luzide Trommel. Seine ruhige Ausstrahlung trägt die Lieder allein. Auch wenn sie es diesmal nicht muss. Pencil Quincy wirft mit eigenwilliger Illuminationstechnik, die diverse Schirme, auf einem Plattenspieler aufgepflanzte plötzlich aufflackernde Schattenrisse von Charakterköpfen und von innen erleuchtete Lampenschirme beinhaltet, ganz und gar stimmig faszinierende SchattenLichtspiele an die Leinwand. Eine hypnotische Tiefe und ein plastisches Wabern, das in den diversen YouTube-Beispielen nur ahnungsweise erfahrbar ist.
KapeskyPlus. Die östlich folkloristisch Stimmgewalt der zierlich kleinen Marina Frenk schließt die Lücke des Ensembles zu Auftritt eins auf das Mitreißendste. Wie zum Leben erwacht.
Haus Auensee. Wände in Taubenblaugrau. Dunkles Holzgebälk. Und olivgrün verbleichte Vorhänge. Gegen diese Scheußlichkeit kann auch stukkativer Bordürenbogen über der Bühne nichts ausrichten. Schuljunges und wohles Gefühl.
Die Bühne ist dafür geschmackvoll mit USA-Artefakten geschmückt. Knallrote Boxhandschuhe, ein rot-weiß-blaues Glücksrad in Standuhrform. No parking-Schild. Und ein blau leuchtendes American Jesus-Kreuz. Ich kann es aus meiner Perspektive nicht erkennen, bin mir aber sicher dass der ganze Boden mit Stroh ausgelegt ist, um den Bildeindruck zu vervollkommnen.
Nur wenige wartende Weilchen vergehen, in denen die überschaubare Diversität vorhandener Schuharten aus der Sitzperspektive klassifiziert wird. Chucks vs. Adidas mit weißen Streifen vs. Vans. Ballerinas und diverse unter ferner liefen. Weitere Analyseansätze der Publikumshomogenität liefern Tätowiertheitsgrad und Rockabillystil. Doch die visuellen Ausschweifungen werden schon bald durch Unerhörtes unterbrochen. Nie dagewesenes. Revolution!
Wir haben gelernt später zu kommen und müssen daraus lernen dass die besten Sitz- und Warteplätze denjenigen gehören die noch nicht gelernt haben. Vor der linksseitigen Verstärkerwand ist noch Platz, und ich freue mich auf die Gelegenheit stehend auf dem Bühnenbauteil gleichauf in Höhe mit anderen zu sein, deren Füße Bodenkontakt haben.
Mono betrippeln die Bühne. Schlagzeuger strahlt in seiner Statur und Bärtigkeit Samuraiweisheit aus. Die Gitarristen kauern sich zwillingshaft auf zwei Stühle die zu beiden Seiten des Schlagzeugs und der Bassistenfee stehen. Den Hintergrund verziert ein prunkvoller Gong. Sie alle sind auf anfangs unmerklich stumme Weise still als sie ihre Plätze vor dem gebannt wartenden Publikum einnehmen. Mono ist ohne Gesang. Auch Ansagen an das Publikum wird es nicht geben. Keine Absprachen untereinander. Unbestimmt und diffus dämmert mit jedem neuen Einsetzen ihres einen Stücks die Gewissheit, dass sie nie sprechen, wie wir Menschen vor der Bühne es auf selbstverständliche Weise tun. Als wäre die Musik die einzige Möglichkeit zur Kommunikation die sie haben. Oder die Kommunikation die sie der Sprache als überlegen erkannt haben, und daher vorziehen.*