Proust. Der verlorenen Zeit. Durchhaltevermögen. Dem Grundstoff des Selbst. Wer weiß das schon. Hauptsache Suchen.
Es gibt Werke die berühren einen schon bevor man sie gelesen hat. Dadurch dass sie im kollektiven Bewußtsein einen so großen Wiederhall erzeugt haben, dass das Echo aus den unterschiedlichsten und fernsten Winkeln auf einen trifft. Mit jedem Aufprall nimmt die schallende Informationsdichte ab, und nachdem es wieder und wieder von den Grenzen der menschlichen Sphäre zurückgeworfen wurde, ist es oft nur noch der Name. Proust. Doch durch das echoenhafte, überdauernde, hat er eine Gewalt eingenommen, als würde alle Bedeutung seiner Werke in dieses eine Wort komprimiert worden sein. Wohlmöglich steht er für mehr als seine einzelnen Werke.
Er hallt wieder aus Büchern aller Genres, man vermeint fast mit Vorliebe aus Fantasy- und Science Fiction-Werken, aus Filmen und aus Alltagsgesprächen denen ein mondäner Anstrich verliehen werden soll, bis er einem schließlich wie ein guter Bekannter scheint, ohne ihn jemals kennengelernt zu haben.
Ein zeitlicher Ausläufer aus der eigenen schon bekannten Lesezukunft erreichte mein eigenes Leben aus dem Film Jeg reiser alene, basierend auf einem Roman von Tore Renberg, in dem der Name Proust für die exaltierte Wirklichkeitsferne des geisteswissenschaftlichen und ehrgeizigen Menschen steht, und des öfteren in dem manisch fixiertem Ausschrei: Proust! Mein Leben ist wichtig. Es geht darin um Proust! ausbricht. Eine künstliche Bedeutungsüberhöhung die das Leben so bedeutsam glücklich macht.
Und dann gibt es da noch persönlichere Echos. Ein Werk aus der literarischen Zeit, der man ohnehin verfallen ist, ein Geschenk, und ein Gespräch mit einem lieben Freund in dem beiläufig bemerkt wird, »es wird Dir gefallen«. Und die Besonderheit liegt nicht in dem doch recht einfachen Satz. Sondern in der wissenden Wärme die darin liegt.
Und auf einen Schlag war es Sommer. Von einem Tag auf den anderen. Der Park prangend voll mit Menschen, die Luft klebt sich wieder an den Körper, die Vögel zwitschern überall als wären sie rauschendes Meer. Auf der Festwiese ist gerade ein Hubschrauber gelandet. Noch mehr Geräuschbrandung. Eine Rettungsübung. Er hebt wieder ab, und das Gras flimmert aus der leicht erhöhten Perspektive des oberen Rundgangs wie ein in der Sonne glitzernder See, biegt sich zirkular kreisend nach außen.
Im semiabgetrennten Öko- und Luftsystem des Hinterhofareals entfaltet, konserviert, schichtet sich der Geruch der verschiedenen Blüten immer wieder aus neue aufeinander, bis er von einer Intensität ist, die einen sensational irritiert, ungewöhnlich, inne halten läßt. Wie das teuerste Parfüm der Welt.
Den perfekten Wald gibt es in Mitteleuropa an unzähligen Stellen. Eine ist im Muldental in der Nähe von Grimma. Noch sind die Kronen licht, und der Boden ist übersäht mir Gras und Blumen die später im Jahr zurückweichen werden, oder auch nicht.
Sie stehen in ernster Anschauung symmetrischer Prinzipien auf der Bühne wie eine Zusammenrottung von Elementarteilchen und tragen ihr Konzeptalbum The Death Defying Unicorn vor, das einem schon auf Album wie ein Jahrtausendwerk im Bewußtsein klingt.
Innen die zwei langhaarigen Nuclei in schwarz. Solide, felsenfest, rockend. Auf der äußeren Schale der Schlagzeuger mit seinem kunststoffleuchtenden weißen Trommeln, ihm gegenüber, leicht erhöht schwebend, der solide, schwere Masse ausstrahlende, Holzorgelkörper, der wie aus einem Zeitriß aus der Vergangenheit gefallen zu sein scheint. Hinter der Holzorgelmasse flimmert dem Verständnis entzogen ein Oszillatorgerät. Um die Symmetrie zum Schlagzeug aufrechtzuerhalten trägt der elfenschmale Ståle einen transparent schimmernden weißen Umhang, die Kapuze zurückgeschlagen.
Beide, Ståle und der Schlagzeuger flirren in ihrem Spiel in photonenschneller Aufenthaltsunbestimmtheit. Ståle, sitzend, stehend, verschiedene Niveauebenen der verschiedenen Tasteninstrumente bespielend, die der Holzkörper birgt, wilden Jazz auf die Tasten schlagend und sich dabei wie ein alter Elf der sich einmal wieder richtig austoben darf, freuend, dann wieder Tasten lange drückend, der Klang der Orgel verliert sich und findet sich in den Gitarren wieder.
Es gibt Musik die wie ein Abbild der Natur ist. Der ersten – der biologischen Natur. Dankbares Staunen über die Lebendigkeit jedes einzelnen Winkels, vom Wasser umspielte Felsen, vom Wind umflogene Baumwipfel, zwischen allem schwirrende Insekten, Knistern, Farben, Gerüche, Weite findet sich in Klängen die wie eine Ode an das was uns hervorbrachte sind.
Es gibt Musik die ist wie die Natur, die der Mensch erschaffen hat. Der Teil des Ökosystems Stadt der sich gut, geborgen, und hin und wieder magisch anfühlt. Der Teil der nachts in den Straßenschluchten von Straßenlichtern ausgeleuchtet wird, in denen sich nur wenige einsame Wanderer befinden. Die Enge der Tage ist verschwunden. Licht, das sich verlassen im Asphalt, im dunklen Fluß und in Fensterscheiben spiegelt. Die Fülle und Helligkeit des Tages ist nur eine Erinnerung wenn nicht gar ganz vergessen. Es ist eine Reise in eine andere Welt. Die Wirklichkeit der Tagwelt hat eine Patina des Unwirklichen bekommen. Das Spiel der Natur greift in die Welt hinein. Blecherne Regentropfen etwa, die auf Regenrinnen, Mülltonnen und auf den geteerten Flächen anklingen. Pfützen bilden. Doch die meisten Geräusche sind von uns geschaffen. Quietschen, Motorenrauschen. Elektrisches Summen aus jeder Leuchtreklame, hinter jeder Hausmauer, die in jeder modernen Stadt eingebettete Zweitwelt der Computer, die in der zur Stadt gehörenden Musik Bestandteile der instrumentellen Entfaltung sind. Bedeutungen und Gedanken verschwimmen. Man bewegt sich nur noch hindurch. In jedem Moment ein neuer Blick, ein neuer Eindruck, der kurze Blick in eine Querstraße an der man vorbeiläuft. Gedanken. Sie prallen an, und fliegen wieder weg. Gelöst.