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Rolling Ostsee | 16.11 bis 18.11.12
Auf dem Weg zum Rolling Stone Weekender. Das flache Land zwischen Berlin und Hamburg liegt unterm Nebel. Baumextremitäten sind vom Rauhreif kristallisiert. Hie und da, Gelb. Tupfer. Ocker, Orange. Dann tauchen ganze Areale des Herbstes unter dem Nebel auf, Weiden in hellem grasgrün und gelb. Laubbuntbedeckter Waldboden, nadelgrüne Dunkelheit darüber, und auf allem schon der Hauch des Winters. Eine Farbe fehlt. Das Meer.
Zwischengedanke beim Anblick von kleinen weißen Säugetieren auf zugefrorenen Weiden die ich nicht erkennen konnte. Wie wäre es mit einem Bild von einer Hundeweide. Wir würde es auf einen wirken? Hunderte Hunde eingezäunt auf einer Weide. Ein Bild dafür, dass wir Hunde nicht als Futtertiere halten, und zum darüber Nachdenken warum eigentlich. Was Säugetiere und Vögel betrifft ist es in unserer Gesellschaft nicht üblich Raubtiere zu essen. Wir essen Hühner, Kühe, Schweine, Rotwild, doch wer würde einen Wolf verzehren, oder einen Hund, eine Katze, einen Geier? Als ob sie uns in ihrer Art näher wären, und daher tabu sind.
Das Feriendorf Weissenhäuser Strand. Altabgelebter Charme renoviert. Die Galerie eine üblich künstliche Einkaufspassagenlandschaft, die echtes Ambiente mit falschem Stein mimen soll. Wir sind begeistert. In der Passage tummeln sich Vinyl- und CD-Verkäufer, alle dem Durchschnittsalter und -typ der Festivalgänger angepaßt. Wir hingegen sind wieder vergleichsweise jung. Die Plattenbauunterkünfte sind von außen und in den Gängen noch staubig verfilzt, doch die Apartments innen neu hergerichtet in dunklem Laminat, und sehr geräumig. Unsere Aussicht geht über den sacht ansteigenden Deich gen Meer, doch in der ersten Etage sehen wir nur die Heerscharen an Festivalvolk die unermüdlich über den Deich pilgern. Der Nebel wird durch gelbbelaubte Birken aufgemuntert.
Nach Erkundung des Supermarkts und Erwählung des Brombeerlikörs als Getränk dieses Aufenthalts begeben wir uns in bereits frühdunkler Nacht auch kurz Richtung Meer. Aus dem Festivalzelt dringt der rockige Schlager der Tindersticks. Eine einzelne Möwe fliegt über den erleuchteten Weekenderschriftzug. Der Weg ist von Dünengras gesäumt, und der Sand fühlt sich unter den Schuhen weißpudrig an. Wir stehen in Sichtweite. Doch sehen nichts. Die Nacht und das mutmaßlich vor uns liegende Meer sind gleich schwarz. Die See liegt still unter der Seebrücke. Ich höre nichts. Ein ungewohntes Willkommen. Noch fünf Meter weiter und da hört man es endlich leise branden.
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Spät-so-herbst, Abend und petit Prince auf dem Scherbelberg
Eines späten Abends Sommer im herbstlichen Oktober sammelt sich das kleine Volk Leipzigs auf dem Scherbelberg wie exupéryianische Prinzen …
Crippled Black Phoenix | 23.10.12 | UT Connewitz
In einer Nacht die nie schwärzer war
reichen die Schwingen des Phoenix weiter als sie ihn je zuvor getragen haben.
Der Anfang gleicht einer Messe. Wie Jünger sind wir gekommen um die nächste Lektion in Empfang zu nehmen (Lektion eins | zwei). Weiter zu lernen. Weiter aufzusteigen. Die Band betritt die Bühne, still, in sich ruhend, sicher. Klänge aus einer Art Kinderchor begleiten sie. Das Publikum wirkt nicht weniger ernst, die meisten sind absichtlich hier, sie wissen weshalb sie gekommen sind. Eine Hochzeremonie.
Die neueste Wiedergeburt des Phoenix zeigt sich in einem neuen Sänger. Eine Inkarnation nach dem Weggang von Joe Volk ging bereits an uns vorbei. Nun steht die Neugier bereit.
Die schlacksig spindeldürre schwarzgewandete Gestalt die sich mit schlenkernd wankelndem Gang mit auf der Bühne einfindet, scheint als wäre sie gewissermaßen die Allegorie des Crippled Black Phoenix, die zum Leben erwacht ist. Und als nach dem ersten Lied, in dem der Sänger nur durch einen stimmverzerrenden Flüsterverstärker sang, ein Zweites mit seinem vollen Gesang anhebt, scheint noch etwas anderes unabdingbar. Es ist als wäre der Sänger direkt aus der Musik, die Herr Greaves jahrelang ausgebrütet hat, geschlüpft. Um nicht zu sagen ausgeschissen worden.
Golden Kanine | 22.10 | Moritzbastei
Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut,
es wird immer alles gleich ein wenig anders,
wenn man es ausspricht, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch
– ja und auch das ist gut und gefällt mir sehr,
auch damit bin ich sehr einverstanden,
dass das was eines Menschen Schatz und Weisheit ist,
dem anderen wie Narrheit klingt
(Hesse, Siddharta)
Erinnern wir uns.
Der Tag zuvor. Der schönste Tag der Welt, alles leuchtend, die Linden gelb, alles Sonne. Die Straßenbahn trägt uns vom Waldstraßenviertel bis nach Connewitz ins Zest zu einem Treffen mit Rosa und Aristide, durch diesen unfassbar goldstrahlenden Tunnel der links und rechts aller Straßen sich tummelnden Linden.
Am Morgen. Milchig feuchter Nebel, alles grau. Gestern wie eine Illusion. Wir treffen uns mit Rosa abends auf der stimmungsvoll im Nebel kauernden Moritzbastei. Diesselben Personen, eine andere Welt, doch diese, können wir hinter uns lassen. Wir steigen hinab.
Waldexpeditionen ::: Buchstadt
Der Wald von Buchstadt ist voll von entlaufenen Schreibmaschinen. Die angstvoll das Tastenklappern unterdrückende, mühevolle nächtliche Flucht mag sich das Mitgefühl gar nicht ausmalen. Meist sammeln sie sich in kleinen Aussteigergemeinden zusammen. Was ist der Grund für das Aufgeben ihrer so wohlgesicherten Arbeitsexistenz? Die Tastenmaschinen reagieren ssseehr! sensibel wenn auf ihnen Gedöns verfasst wird. Nun ist eine Stadt wie Buchstadt natürlicher voller Verfasser von Gedöns. Je altmächtiger der Verfasser, umso gewaltiger das Gedöns. Geistigen Menschen fällt es schwer sich zu zügeln und nicht in schwallenden Ausuferungen zu jubilieren.
Einige besonders extreme Exemplare haben sich daher vor ihrer Flucht in den Wald sogar ihre Tastaturoberflächen demontieren lassen, um nur ja nie wieder Mißbrauchsopfer von Gedönstirarden zu werden. Ihre Umgebung ist nicht mehr so komfortabel wie früher, doch sie sind nun für immer frei vom Tastendruck.
mehr Eindrücke aus der Siedlung »Eigendemontage macht frei« …
Therese Aune ::: Einar Stray | 12.10.12 | UT Connewitz
Das UT Connewitz wird bereits winterlich bestandheizt. Der Raum vor der Bühne ist beim Eintreten noch weitgehend leer, wird jedoch rasch von außen nach innen mit Konzertvolk aufgefüllt. Die Bühne ist bereits gedeckt. Das Nord Piano, Teppiche, diverse Effektgeräte und Elektronik. Irgendwann wird noch der Apfel der Zwietracht gebracht und neben dem e-Piano leuchtend aufgeklappt. Auf dem Bühnenboden befindet sich unter den Schlingkabeln eine mysteriöse runde Blechdose. Skruf steht darauf. Wir mutmaßen norwegische Hustenpastillen, und kein musikalisches Zubehör. Schon allein das wie »ü« gesprochene »u« in Skruf ist zu lautmalerisch hustig als das es anders sein könnte.
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