Keine Postkarten! Keine Bilder.
Picos de Europa
Wir durchqueren die hügelige Landschaft mit Panoramablick auf die Bucht von Santander. Bei einem kurzen Halt in einer Bar um eine Tortilla zu erstehen erkundigt sich der Institutsleiter betont beiläufig nach den weißen, von uns bisher noch nicht eigenständig identifizierten Vögeln, und wir erfahren dass es sich um Garzas handelt. Derweil schließe ich freudig fotografische Bekanntschaft mit drei auf einem gelben Fenstersims lagernden jungen Katzen, die mich mit weit aufgerissenen Augen durch spärlich wucherndes Unkraut anstarren.
Weiter durch Autobahnwetter zu den Picos de Europa. Beschließen zeitlich bedingt uns lediglich den Westen anzusehen, mit dem reizenden Städtchen Potes und dem Punto de Mirador: Fuente Dé [sic!].
Die Wolkenmassen verteilen sich weiter im Landesinneren langsam in ausgedehnten Tälern und schließlich trudeln wir bei Höhensonnenschein durch die Ausläufer der Picos de Europa. Erschüttert von den plötzlich zusammenrückenden nicht anders als massiv zu bezeichnenden scharfkantig verkarsteten Kalksteinmassen durch die sich die kurvenreiche Straße entlang eines glitzernd im Sonnenlicht funkelnden Bachlaufs windet, sind die Institutsmitglieder minutenlang still vor ehrfürchtigem Staunen, Schrecken, und dem dumpf pochenden Hintergedanken an 600 zu zahlenden Piepen, weil wir eine Versicherung des spanischen PGI-Leihmobils nicht für notwendig erachtet hatten. Unser Auto befindet sich meist beinahe in Tuchfühlung mit steil nach oben ragenden Gestein einerseits, und dem Abgrund zum Gebirgsbach andererseits. Steinschlagschilder wechseln mit »Achtung Käseräder«-Schildern und den von den Azoren bekannten Kuhmotiven. Wir sinnieren kurz darüber ob eine auf dem Dach gelandete Kuh wirklich ein zu meldender Schadensfall wäre, oder die Kuh aufgrund des immerzu wirkenden visuellen Absurditätsfilters nicht weiter auffallen würde.
Das Höhenlicht auf den sehr hellen steil aufragenden Felsen ist faszinierend, dieses unwirkliche Leuchten der Bergwände, Schattierungen wie von einer Art luminosen Schatten in der Luft. Die kleinen Orte auf der Schlängelstraße sind meist geradezu aufdringlich pittoresk, aus Stein und Holz, Seniorenschaften auf Bänken am Wegesrand, die Bänke so nah an der Straße, dass sie bei jedem vorbeifahrenden Auto die Füße einziehen müssen. Und das Ende, la Fuente Dé (was?!), begrüßt mit einer Kuhweide, schwebend ihre Kreise ziehenden Geiern in den Lüften, Krähen und Stelzen auf der Weide, cremefarbenen Kühen und einem nicht minder kalbgroßen cremefarbenen Hütehund.
Beim Einfahren nach Fuente Dé weise ich die Kollegen auf einen wahnwitzig auf einer Felskante gelegenen Hüttenbau hin. Wir entdecken wenige Augenblicke später dass es sich dabei um die Endstation der etwa 200 m über die Kuhweide führenden Seilbahn handelt. Die Bodenstation ist ein aufsehenerregend stilechter 50er Jahrebau in geschwungenen Formen und schiffsbugartigen Verrenkungen. Die Gondelfahrt hinauf wird kurzfristig abgeblasen (16 Piepen!). Im an den Ticketverkauf angeschlossenen Souvenirbereich gibt es keine Postkarten.
Die Sonneneinwirkung kann als intensiv bezeichnet werden, und schlägt Adlerauge Füten und der Berichterstattenden etwas auf den Erkundungsdrang. Nachdem wir einen beschaulich einladenden Waldweg folgen wollten, werden wir von den zwei knurrenden am schattigen Eingang verborgenen Hunden auf die Idee gebracht, doch lieber am Parkplatz auf der einen schattigen Banksitzgruppe zu verweilen, und die von einem motorlaufenden stehenden Reisebus sanft aufgelockerte Stille zu genießen. Der Institutsleiter bricht mit T.h.e.o. zu einem Erkundungsgang auf der Suche nach einer Ulme zur Kuhweide auf, aus der Ferne wirken sie wie in das Panorama hineingegossen. Almöhi, auf einen Wanderstock gestützt, bei einem Spaziergang über seine Weide mit seinem Junior, während über uns zusammen mit den Geiern ein einzelner nordspanischer Albatross Imagica in weiten Kreisen seine Bahnen zieht und seine majestätischen Schwingen von den Picos de Europa bis nach Noja zu reichen scheinen.
Auf dem Rückweg eine kurze Rast an einem eiskühlen plätschernden Gebirgsbach, mit Blutegeln oder Kaulquappen, und am schlammigen Ufertritt fingernagelkleine Frösche, die sich leider nicht fokussieren lassen, da zu klein. So wie sich die Reiher am sonnenaufgehenden Ebbestrand nicht fokussieren lassen, da immer noch zu fern.
Ornithologische Notiz: Stelzen, Kleiber, Gänsegeier oder Steinadler, Alpendohlen, Buchfinken
Nephologische Notiz: auf der Heimfahrt befindet sich über uns eine getüpfelte runde Wolkenausdehnung (Altocumulus floccus)