woolf ::: botaniktreiben
»wieso treibt bloß nicht einer von euch Botanik? … Bei all euren Armen und Beinen, warum treibt bloß nicht einer von euch …?«
(Virginia Woolf, der Leuchtturm)
»wieso treibt bloß nicht einer von euch Botanik? … Bei all euren Armen und Beinen, warum treibt bloß nicht einer von euch …?«
(Virginia Woolf, der Leuchtturm)
Leibniz ging mit der Mathematik um wie mit einem Gott, ehrfurchtsvoll aber nicht immer gewissenhaft. Seine eigentlich Stärke, die Verknüpfung seiner Gedanken, unvorhersehbar wie bei einem Würfelspiel. »Der Zufall, den er nicht aus seinem Kopf bekam, und der den systematischen Fortschritt behinderte, brachte ihn auf eine exzentrische Bahn und förderte zugleich seine Kreativität. Tausende von Mutmaßungen stellte er an, schüttelte die Begriffe und spielte mit ihnen, bis sie entweder einfacher wurden oder bis sie sich zu etwas Neuem zusammenfügten. Da er ganze Bibliotheken im Kopf hatte ergaben sich unerhörte Begriffswirbel. Leibniz wusste dass er in seinem leicht irritierbaren Geist Ordnung schaffen musste, um sich in der Realität zu verankern. Denken war an sich ja nutzlos, wenn es mit dem Denken der anderen unverbunden blieb.
… er saß traurig, aber nicht humorlos, inmitten eines gigantischen Haufens Papier, Buchmanuskripte, Notizzettel, Entwürfe, Sendschreiben, Polemiken, Exzerpte, Abhandlungen, Briefe, Konzepte, die er längst nicht mehr übersah. … in unübersehbaren Haufen von Ideen und Papier fand er sich selbst nicht mehr wieder, seine eigenen Gedanken entglitten ihm und es rächte sich nun dass er nur wenige publikationsreife Stücke produziert hatte. Die Ordnung der Begriffe war ihm abhanden gekommen und damit war ihm genau das passiert was zu verhindern sein Lebensziel gewesen war.« … und so kommt er zur Idee seiner Jugend zurück, die Ordnung der Begriffe.
»Die Schönheit in Leibniz Scheitern bestand darin, dass das Fluktuieren, Assoziieren und Kontrastieren der Gedanken ganz wesentlich zu Leibniz Genie gehörte. Er hatte keine eherne Methode um alles nach demselben Schema zu bearbeiten, er ließ den Dingen und Wahrheiten ihren Atem und versuchte sie von ihrem eigenen Wesen her zu begreifen. Willig ließ er sich von Faktoiden bombardieren, für die er dann geeignete Theorien bildete.«
(Georg von Wallwitz, Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt)
Im British Museum. »… die Schwingen der Tür schwangen auf, und schon stand man unter der gewaltigen Kuppel, als wäre man ein Gedanke hinter der riesigen kahlen Stirn, die ein so glänzendes Band berühmter Namen trägt.«
(Virginia Woolf, ein Zimmer für sich allein)
»ich meine, es gibt für jeden nur ein Alter. Ich war und bin, werde immer achtundfünfzig sein. Du aber, pass auf, welches Alter du dir aussuchst.« Es ist wie Klebstoff der sich um einen verhärtet. Das hat er aus einem Buch oder Film, er weiß nicht mehr. »man merkt sich Sachen. Unglaublich. Man merkt sich ein Leben lang Sachen … Während er in seiner Zeitung las, dachte ich darüber nach, was er gesagt hatte. Doch je mehr ich darüber nachdachte, entglitt mir das Was und stattdessen war es das Wie, das mich gefangen nahm. Der verbrauchte Tonfall … so spricht man, dachte ich, wenn man sehr lange geschwiegen hat. Alle Wörter sind einem dann gleich und man kann kaum verstehen, was das eine vom anderen trennt.«
(Milena Michiko Flašar, Ich nannte ihn Krawatte)
»Zwei Jahre lang hatte ich mich darin geübt, das Sprechen zu verlernen. Zugegeben, es war mir nicht gelungen. Die Sprache die ich gelernt hatte durchdrang mich, und sogar wenn ich schwieg, war mein Schweigen beredt. Ich sprach innere Monologe, sprach unentwegt in die Sprachlosigkeit hinein. Der Klang meiner Stimme jedoch hatte sich in mir verfremdet. … wanderte durch eine Landschaft in der jeder Laut im Moment seines Entstehens verhallte. Der letzte Satz den ich ausgesprochen hatte, war gewesen: ich kann nicht mehr … ein vibrierender Punkt. Danach war etwas zugeschnappt. Die Anstrengung die es kosten würde, dort weiterzusprechen, wo ich aufgehört hatte, stand gegen die Sinnlosigkeit in Worte zu fassen, was sich nicht ausdrücken ließ.
… Wieder seufzte er. Diesmal leiser. Wer so seufzt, dachte ich, ist nicht nur irgendwie müde. Fühlte es mehr, als dass ich es dachte.«
(Milena Michiko Flašar, Ich nannte ihn Krawatte)
»Mit dem durchschnittlichen Menschen hingegen ist es völlig anders; rund um die Uhr denkt er über die verschiedenen Dinge nach, auf allen mentalen Ebenen. … in seinem Bewusstsein wimmelt es von Überlegungen, die an Zunge und Lippen weitergegeben werden, in die Kategorie privat und persönlich fallen, oder sich auf die Kellergewölbe des Ichs beschränken. … einem Telepathen bietet sich der menschliche Geist als ein Tollhaus dar. Er ist ein Hauptbahnhof, in dem alle Lautsprecher gleichzeitig dröhnen … Passagiere versuchen sich gegenseitig zu übertönen … Konzentrat aller UKW-Frequenzen …«
»Sie schwiegen eine Zeitlang und grübelten. … für mich sieht die ganze Sache folgendermaßen aus. … Bevor ich ihm zuhörte, ähnelte ich allen anderen. … ich war verwirrt und unsicher in bezug auf einige bestimmte Einzelheiten des Lebens an sich. Aber jetzt – Knallwinkels Miene erhellte sich – bin ich zwar immer noch verwirrt und unsicher, doch auf einer höheren Ebene. Wenigstens weiß ich nun, dass ich von den wirklichen fundamentalen und wichtigen Geheimnissen des Universums nicht die geringste Ahnung habe. … du hast völlig recht. Simon hat die Grenzen der Unwissenheit erweitert. … die beiden Männer sonnten sich in dem herrlichen Gefühl weitaus weniger zu wissen als gewöhnliche Leute, die nur von gewöhnlichen Dingen nichts wussten. … (Zwei Dienstmädchen mit Besen kommen, die Zauberer gehen, noch immer diskutierend), über die unabsehbaren Konsequenzen der Unwissenheit die Simons Genie der Welt offenbart hatte.«
(Terry Pratchett, Das Erbe des Zauberers)
vgl. Zweig, Kellergewölbe des Bewusstseins
»wir sehen nie über unsere Gewissheiten hinaus, und was noch schlimmer ist, wir haben es aufgegeben, Begegnungen zu machen, wir tun nichts anderes, als uns selbst zu begegnen, ohne uns in diesen ständigen Spiegeln wiederzuerkennen. … und wenn die Leute an der Concierge vorbeigehen, sehen sie nur Leere, weil sie sich in ihr nicht widerspiegeln.«
(Muriel Barbery, die Eleganz des Igels)
vgl. Proust, in sich selbst lesen
»… und so weckt ein Roman in uns alle möglichen widerstreitenden und gegensätzlichen Empfindungen. Das Leben und das was nicht das Leben ist, geraten miteinander in Konflikt. … Da es aber zum Teil Leben ist, beurteilen wir es wie das Leben. James ist die Art Mann, die ich am meisten verabscheue, sagt man. Oder: was für ein gequirlter Unsinn. So etwas könnte ich nie selbst empfinden. Die gesamte Konstruktion wird bei der Rückbesinnung auf jeden beliebigen Roman offenbar, ist unendlich vielschichtig, da sie sich aus so vielen verschiedenen Urteilen, so vielen verschiedenen Empfindungen zusammensetzt.«
»Sie hatte Jane Austens Sätze zerstört und mir so keine Chance gegeben mich mit meinem untadeligen Geschmack, meinem untrüglichen Gespür zu brüsten … denn sobald ich die üblichen Gefühle an den üblichen Stellen über die Liebe, über den Tod entwickelte, riss mich dieses nervige Geschöpf fort, als läge der entscheidende Punkt ein paar Zeilen weiter. Und so machte sie es mir unmöglich meine wohlklingenden Sätze über elementare Gefühle, das Wesen der Menschheit, die Tiefe des menschlichen Herzens, und all die anderen Formulierungen abzuliefern, die uns in unserem Glauben stützen, dass wir, bei aller Schläue an der Oberfläche, darunter doch sehr ernsthaft, sehr tiefgründig und sehr menschlich sind. Sie gab mir im Gegenteil des Gefühl, dass wir, statt ernsthaft, tiefgründig und menschlich zu sein – und der Gedanke war weitaus weniger verlockend – bloß denkfaul und außerdem konventionell sind.«
(Virginia Woolf, ein Zimmer für sich allein)
vgl. le Guin, Wahrheit aus lauter Unsinn.
»Die Singammmer … diesen Hochsommertag vertont … ein kleiner Liedbach, kühlend, durch den Mittag plätschernd … gelbe Schmetterlinge in hellen Scharen auf der Straße …«
(Henry D. Thoreau, Tagebuch III)
Erstes Auftauen der Äpfel. Ehedem sauer (zu seinem Bedauern hat er sie gekostet) sind sie nun voll reichhaltigem süßen Most, ihm vertrauter als Wein. Seiner Meinung nach wertvoller als importierte Ananas. … »es gibt diese kratzigen Holzäpfel, mit denen ich meinen Gefährten veräppelte, indem ich mein Gesicht nicht verzog, damit er zum Essen verleitet wurde. Nun füllen wir beide gierig unsere Taschen mit ihnen und werden geselliger durch ihren Wein«
(Henry D. Thoreau, Tagebuch II)