Jeniferever | 07.04.09 | Mule

Wir schreiben das Jeniferever-Konzert Numero III im Sternzeichen der Konsistenz und des andauernden Glücks. So könnte hier als einziger Satz einer stehen, der auf die andauernde Gültigkeit alles im letzten Jahr dazu Geschriebenen hinweist.

Und es wäre nichts falsches daran …

Vorspann
Aufwachen. Sonnenscheintag. Jeniferevertag. In der Jahreszeit in dem der morgendliche Sonnenschein noch nicht wieder Selbstverständlichkeit ist, und schon der nächste Morgen Regen bringen mag. Auf dem Weg zur Arbeit lenkt der glitzerndfunkelnde Frühling meinen Weg mit einer Leichte in den Palmengarten ab, die dem Gewissen gut tut. Es ist nichts falsches daran …

Taukaltes Gras sobald man sich mit fotografischen Absichten einem Baum nähert. Überall helles Grün, klangheller Vogeltumult über mir in den Bäumen. Zwitschern, Flirren und dazwischen ein dumpf hallendes Huhuuuu in dem doch ein zuckerhoher Klang mitvibriert. Blick nach unten, die geschwungenen Wege entlang und kopfverdrehend nach oben in den Himmel, in die Äste die sich über mich breiten, doch nicht bedeckend schattig wie im Sommer. Mild fließt die Sonnenwärme durch alles Geäst hindurch. Man hat alle Zeit der Welt — denn hier steht sie still.

Eine perfekte Welt, in sich geschlossen, in sich ruhend, doch leider wehrlos dem schleifklackernden Eindringen der nordischen Wandersteckenrecken ausgeliefert, die in einer Flut durch den Park schwemmen und die Ränder dieser Welt anreißen, am Rande der Wahrnehmung, wenn sie auch niemals stark genug sein können, um diese ganz zu zerstören.

Ich verlasse den Park, diese andere Welt, die wie eine Blase in die Stadt eingeschlossen ist, und trete auf die vielbefahrene Straße. Mit der in mir ruhenden Gewissheit dass das Konzert an diesem Abend sein wird, wie der Park, nur ohne den klackernden Mißton. Denn Jeniferever ist die Sonne, das Leuchten, der Tau, ist wie die Bäume voll Blüten und Gezwitscher.

Zwischenspiel
Mittagszeit. Angst. Die Mule ist klein und unser unbedingter Wille dem Konzert beizuwohnen unendlich. Neues Album und Tour in einschlägigen Medien angepriesen und umworben. Kartenvorverkauf nicht existent. Nun »gilt es den Standortvorteil« zu nutzen (O-Ton Hr. Alex). Mittagessen in der Mule. Was hättet ihr gerne? Pfefferminztee. Die Zuchinisuppe. Und drei Karten für Jeniferever. Leider vergeblich und zudem wird unsere Angst durch die freundlich Auskunft und Rat gebende Servise weiter geschürt. Sie hätten ungewöhnlichst viele Anfragen bekommen. Zeitig da sein!

Ein giftiger dem sich edel, hilfreich und gut entwickeln wollenden Menschen nicht zur Ehre gereichender »Meins!«-Gedanke breitet sich aus, während man sich im Geiste schon dicht gedrängt nach Luft japsend im engen Raum stehen sieht, oder gar schlimmer. Außerhalb des Raumes, ausgeschlossen, mit tränenverschmierten Gesicht an der Fensterscheibe plattgedrückt und nach innen blickend.

Fahrig und ratlos blättern drei bedrückte Gestalten im Motto-Gästebuch »Warum ich nicht angerufen habe« und finden dort recht feine Ablenkung. Grandiose Zeichnungen und schnoddrigehrliche Antworten.

Auftakt
19 Uhr. Treffpunkt Mule. Spinnereigelände zum Zweiten an diesem Tag. Einlaß vermutlich ab halbneun. Doch wir rechnen damit dass es frühestens ab 10 Uhr losgeht. Doch niemand und nichts, keine Schlange, kein noch so großer Andrang soll uns hindern.

Biegen in das Spinnereigelände ein und finden mitnichten den Vorplatz voller Menschen wie in allen Alpträumen ausgemalt. Was erlauben die sich! Doch Hr. Alex sitzt gemütlich in der Freisitzreihe und lauscht den ersten Soundcheckkostproben. Die Band mustergültig pünktlich.

Wiederum eine Bediense. Kann ich euch was bringen? Hmmmja. Warum nicht? Einen Pfefferminztee. Und als sie schon nach drinnen eilt ruft es ihr — mit einem hustend, verzweifelten Krächzen, in dem man eine Horde konzertwilder Leipziger bereits im Anmarsch heranstürmend ahnt, uns, die wir als erstes da waren beiseite drängend, dass wir leer ausgehen — panisch und irr hinterher: Kann man schon Karten kaufen?

Tee und Kaffe geleert. Wir sitzen drösig im Freisitz und haben noch zwei Stunden des Wartens vor uns. Beschließen ein Raumwechsel täte uns gut und ziehen in den Gastraum um. Dort wartet ein weiteres Motto-Gästebuch. Wir befinden die Einträge dort insgesamt mit weniger Müh und Lieb vorgenommen, doch ein paar grandiose Perlen, u.a. aus Suomi und mutmaßlich Schweden und gar noch mutmaßlicher Island erwarten uns darin. Der Soundcheck dauert an und Stellen darin erklingen beinahe orgelnd kirchlich.

Irgendwann ist auch dieser Raum abgesessen und wir gehen noch einmal das Spinnereigelände auf und ab. Haben dadurch die Gelegenheit einen hübschen kleinen Platzregen aus nächster Nähe mitzuerleben. Nun nur noch eine halbe Stunde im Konzertraum warten und die Welt wird in einer neuen Blase eingeschlossen sein.

Insgeheim hege ich ja das Ziel nun, da in unserem Wohnzimmer eine e-Bass-Gitarre steht, und sich mein theoretisches Wissen über e-Gitarren, Verzerrer und Verstärker dank einer Visionsbeilage gesteigert, nun sagen wir überhaupt erst herausgebildet hat, dieses nun auch durch Livebeobachtungen zu verfestigen und dem Bassisten den einen oder anderen Kniff abzuschauen, der mein noch recht junges Spiel gewiß vervollkommnen wird. Auch der Einsatz der am Boden ruhenden Gerätschaften an denen immer wieder nervös justiert wird, wird mir diesmal kein Rätsel mehr sein und die Korrelation von beobachteter Aktion und wahrgenommener Veränderung der Klänge wird mir tiefe Einblicke in das Handwerk dieser großen Kunst einbringen.

Wir betreten endlich das Konzerträumchen, und es füllt sich doch recht langsam. Erstaunlich wider meinen Befürchtungen. Direkt vor mir die Preisgabe des Ergebnisses einer genaueren Bühneninspektion. 10 Gitarren und 4 Bässe.

Die letzte halbe Stunde vergeht mit Witzeleien über die eng zugestellte und nahezu überfüllte Bühnenfläche recht schnell. Gut dass die meisten Bandmitglieder so klein und dürr sind. Anders hätten sie kaum Platz. Nein, auf einer großen Bühne gar könne sich Hr. Alex diese Band nicht vorstellen. Ein Gedanke der aufgrund der schon engen Begebenheiten im Panam nur zu einem Schluss führen kann. Die Band würde ohnehin nur anfangen sich auf der großen Bühne einen kleinen Verschlag zu zimmern. Heute war der Verschlag recht einfach zu bauen. Ein größerer Verstärker wurde gleich im Türpfosten zum Notausgang deponiert, die hintere Ecke mit einem vermutlich von Großmuttern mit Sternzeichen bestickten schwarzen Tuch verhangen. Der Rest mit eben jenen 10 Gitarren, 4 Bässen, dem Schlagzeug und einem Keyboard zugestellt.

Hauptakt.
Das erste Lied bringt wieder den choralen Anklang aus dem Soundcheck — ein weihevoller Anfang, den ich jedoch nirgends auf der neuen Platte wiederzufinden vermag und der demzufolge auch gerne meiner Einbildung entsprungen sein mag.
Lied für Lied wird fürsorglich angesagt, wie als ob die Band dem Geist mit dem Titel einen Ausgangspunkt für die visuellen Reisen mitgeben wöllte, durch die einen die Musik davontragen wird.

Swimming Ice — mir war schon im Konzert klar, dass es sich vermutlich eher um Eyes handeln wird, doch zog ich es vor an das sachte aneinanderklirrende Eis in der kleinen Haffbucht in Wolin zu denken, gab mir das dosiert einsetzende spitzhelle Klingen eingebettet in den weichen Gesamtklang doch genau die ausgewogene Gefühlsruhe im winterklaren Polen wieder …

… Spring Tides — gut. Ich habe es nachgesehen. Inzwischen. Spring Tide ist die Springflut. Doch auch hier nicht für mich. Das sind sprachliche oder textliche Realitäten denen ich mich nicht unterzuordnen gedenke. Zu klar nach dem Morgen im Park sind es die Gezeiten des Frühlings. Ich bin wieder im Park. Als ich noch nichts vom Albumtitel wusste. Zurückversetzt. Das Leben ist im Boden. War dort den ganzen Winter über wie in einem Vorratsspeicher verwahrt. In einer anschwellenden Flut steigt es nun durch die Stämme nach oben, verzweigt sich bis in den letzten Ast, bis in die Knospen, bis aus ihnen nach und nach, zeitversetzt, die Blüten hervorbrechen. Wie die Gischt die sich an einem Felsen in tausende Wassertropfen im Licht bricht …

… und stetig wandelt sich die Geräuschkulisse bis man in eine sporefremde Welt transponiert wurde, mit gänzlich anderem Getier, grillenähnlichem Gezirpe dass vielmehr dem Lied der Delphine gleicht. Wäre man nicht immer noch im Park, so tauchte man längst unter Wasser.

Die Augen geschlossen entstehen immer neue Welten — mit keiner anderen Musik wird der normalneuronalverzweigte Mensch einer Synästhesie so nahe kommen.

Wenn sich die Augen kurz öffnen um dem krängendem Gleichgewichtssinn (46!) neue Orientierungspunkte zu geben, schweift der Blick über die Zuhörenden; die Augen jedes Zweiten geschlossen. Sind die Augen offen verharren sie auch manchmal ewige Augenblicke lang bierdumpf starr in einer Richtung. Fahrrad vor Fenster mit Frühlingszweig umrankt. Oder in der Raumecke über dem Keyboard. Hier beugt sich schattenhaft durch die gewölbte Ecke verzerrt und verwinkelt des Keyboarders Schatten über den Raum. Klauenhafte Hände nach vorn gestreckt scheinen nach den Köpfen der Zuhörer zu greifen. Wie ein Wiederhall der kürzlichen Lovecraftschen Lektüre. Doch hat der Schrecken keine Kraft durch dieses Schattenbild in unsere Welt zu gelangen. Nicht hier. Nicht in diesem Raum. Denn die Musik ist rein und klar und gut. Sie ist ein gleißendheller Schutzzauber. Ein aus sachten Melodien und rauschendem Schrammeln gewebter Bannschild wider alle Unbill, wider alle finstren Mächte die in unsere Welt gelangen möchten.

… und die Reise geht weiter, auf der Nickel-Horn-Potter-Brille des Sängers verhaftend, formt sie das Bild von Mickey Mouse als Zaubererlehrling auf dem Felsen stehend, während das Wasser um ihn gewaltig emporschnellt.

Das Spiel des Bassisten wollte ich beobachten, doch lehne ich so weit hinten es in diesem Räumchen möglich ist an der Wand und erhasche nur angelegentlich einen Blick auf die Bühne. Doch zu bedauern gibt es trotzdem nichts und gegen Ende erfreut die Ankündigung dass Jeniferever schon im Mai wieder in Leipzig sein werden. Der Zuhörerraum hält gebannt, vorfreudig angespannt den Atem an: Wave Gothic-Treffen? Ungläubiges einzelnes Gekicher ob dieser Vorstellung bricht hervor, das sich in allgemeiner bandeinschließender Erheiterung löst.

Der Keyboardist, der auch immer mal wieder Gitarre oder Bass spielt (was Experte der ich bin — nicht die Saiten zählen, auf die Wirbel musst du gucken –, ich bestimmt genau erkannt hätte, wäre mein Platz nicht zuhinterst an der Wand lehnend gewesen), nippt an seiner Bierflasche, blickt versonnen lächelnd in die Runde. Als wöllte er sagen »Ihr liebt diese Musik, wir lieben sie, wir sind eins.«

Das Bierpäuschen ist beendet und die Musik schwebt weiter. Und ich fühle wie ich leicht und leichter werde und ich fühle dasselbe Gefühl dass ich vor kurzem in einem Traum hatte, in dem ich schweben lernte. Genau dieses Gefühl der Freude ob des Schweben könnens kehrt nun, getragen von der Musik, wieder. Ich fühle dasselbe ausfüllende Glück — auch wenn ich aufgrund der ausbleibenden Reaktion der reichlich im Raum vorhandenen Menschen vermute, dass ich nicht wirklich geschwoben bin. Doch wenn … hätte es in diesem selbstversunkenen Dasein irgendwer bemerkt?

Das Konzert zu Ende. Das Räumchen lehrt sich, gibt den Blick wieder auf die mit Glühbirnchen durchwobene Sternenkarte frei. Gedankliche Notiz. Im Sommer raus aus der Stadt fahren und im sternklaren Himmel neue Sternzeichen suchen. Hier die große Bassgitarre und dort drüben die kleine Trommel …

Die zu erwerbenden CDs erworben treten wir in die Nacht. Über der Spinnerei hängt der Mond, doch der sternreiche Himmel bleibt hinter uns zurück. Die Hände um die zwei erworbenen Cds geklammert und diese an sich gedrückt, angefüllt mit vielen Hachs und Seufzs — nichts auf der Welt könnte sie in diesen wohligen Nachmomenten zurückhalten. Und es ist nichts falsches daran …

noch Kommentarlos

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