The Gaslight Anthem & Social Distortion | 15.06.09 | Zenith
»And I always dreamed of classic cars and movie screens.
Trying to find someway to be redeemed.«
Gaslight Anthem, Old white Lincoln
Richtige Rocker die wir sind, oder zumindest an diesem Abend sein werden, geht’s natürlich motorisiert Richtung Minga zum Konzert. Richtige Rocker lieben das Klischee und das Klischee lebt nicht ohne sie. Und nichts anderes wird man sehen. Alles andere wird man wegblenden.
Der aufkommende Regen der zuvor beim Italiener mit den größten Pizzen Regensburgs und Blick über die steinerne Brücke auf das dombekränzte Stadtbild nur erahnbar war, verfließt schließlich in der Hollertau in einen durchdringend mittelblau leuchtenden Wolkenschleierhimmel. Die Reste meiner Artischockenpizza befinden sich in Alufolie für Notzeiten verpackt auf dem Rücksitz.
In Eglharting wird eine Tante zum Kaffee besucht, und von dort und von ihr mit Navi ausgestattet in der Geschwindeseile einer Dreiviertelstunde im Berufsverkehr Lukas in der Münchner Innenstadt ein Besuch abgestattet. Nach einem gemütlichen fünfzehnminütigen überfallartigen Verweilen in seiner Wohnung geht es weiter. Immer wieder auf der Straße. Das Konzert ruft, und kann dank der Navidame und freundlicher Gemahnung des Mitfahrers man müsse der Dame auch zuhören, wenn sie eine Weganweisung von sich gibt, gerade rechtzeitig erreicht werden, um beim Einlaß die ersten Klänge von Gaslight Anthem zu erkennen. Auf dem Park- und Vorplatz des Zenith munteres Gewimmel schwarz und Rock ’n’ Roll gestylter Konzertzuhörerschaft.
In der Kulturhalle des Zenith erstmal Sortierung und Orientierung notwendig. Mein Blick umfasst überall Menschen die modisch und tätowiert im Zeichen des Rock ’n’ Roll stehen, über ihnen Fabrikhallenmetallkonstruktionen die im Dunkel verschwinden, und darunter immer nur weitere Menschen bis in weite Ferne. Die Bühne aber befindet sich durch glückliche Planungsfügung direkt an der Einlaßseite, so dass wir Gaslight Anthem tatsächlich sehen können, etwa 50 m von der Bühne entfernt und nicht die gefühlten 500 die dem hinteren Hallenende entsprechen dürften.
Irgendwo hatte ich mal vernommen, Gaslight Anthem würden live nicht triumphieren, dass der Gesang nicht so wundersam anmutig wie auf dem Album wäre. Günstig innerlich so vorbereitet zu sein, weiter Richtung Bühne vorbei an weitschwingenden ’50skleidchen und diversen Haartollen. Nur noch glücklicher konnte ich so sein, als ich mir herausfand, dass dem nicht so ist. Der Gesang ist gut. Der ’59 Sound wird klar und kräftig schallend zelebriert, und die Texte mit viel Gestik kunstvoll verzierter Arme akzentuiert und weiter belebt. Eine Show die ganz ohne Videoleinwand auskommt und im Geist des Rock ’n’ Roll die Begriffe Schlichtheit, Wesentlichkeit und Ehrlichkeit in die Halle trägt, die einfach so für sich umrahmend wirken darf. Das Innerste umfassende und berührende Melodien die die elektronisch verstärkte Musik einfach so erscheinen lassen, als gäbe es nichts Ursprünglicheres und Natürlicheres auf der Welt.
In der Umbaupause begeben wir uns etwas weiter hinter, die Menge wird dichter, die Luft auch. »Gute, ehrliche und dicke Luft, so klar wie eine staubige Ackerfläche im Morgentau, die sich an eine erwachende Kleinstadt schmiegt« intoniert eine tiefrauhe Baritonstimme aus dem Off in meinem Kopf. Ruhig verhalten und aufs Stehen bleiben konzentrieren, bis im Jubel der Menge ein Banner auf dem der Schriftzug Social Distortion prangt hochgezogen wird. In entsättigten aber kontrastreichen Grau-, Rotbisblaßlila- und Schwarztönen ist darunter ein chromglänzender ’60er-Jahre Schlitten gezeichnet. Untermauert von Schriftzug und Aussage »30 years of underground Rock ’n’ Roll«.
Das Banner ist grandios, doch trotzdem fehlt es mir in diesem wie auch in anderen Hallenkonzerten, die Künstler am Werk zu sehen. Zu sehen wie sie in ihren Liedern leben. Nur hie und da werde ich einen Kopf in Erbsengröße erhaschen. Für ein Konzert dieser Größe ist dafür die Atmosphäre verblüffend angenehm und undränglich. Die Leute sind entspannt und friedlich und glücklich, sogar die klebrige Luft erträglich. Gut also dass mir das Banner so ausnehmend gut gefällt, der ’60er-Jahre-Schlitten visuell ein zufriedenstellender Ersatz als Repräsentant des Social Distortion Sounds. Nicht so variationsreich wie sich Gaslight Anthem durch Gesang und Rhytmuswechselbrüche durch die Luft umhüllend ausbreitet. Eher wie der röhrende Motor eines alten Schlittens, als das Motorengeräusch für sich Genuß und Melodie, Lebensgefühl war. Doch einmal in ruhiger Fahrt durch die weitgedehnten Felder Amerikas nur noch seltend verstörend aufheulend. Die Freiheit dieses Gefühls, der Fahrtwind und die Weite, der gleichmäßige Rhythmus einer ruhig und weit vor sich hinziehenden, entspannten Fahrt ist die Seele dieser Musik.
Nur selten liegt eine Kleinstadt auf dem Weg. Mit ein bis zwei Ampeln und Kurven die Beschleunigung bringen. Und an dem Punkt an dem die Stadt wieder in Richtung Horizont verlassen wird und ungeduldig die Vorfreude darauf schwingt, da spielen die großartigen Hymnen die diese Band in den Rock ’n’ Roll-Zenith getragen haben um dort in der Ewigkeit ihren Platz einzunehmen. Die weiten Wege dazwischen gehören wohl dazu und sind für die undtausenden Fans genauso wildumherhüpfender, tätowierter und Haartollenpracht versehener, fastleere Bierbecher sprenkelnd in die Luft werfender, Fäuste emporreißender Seelen- und Feierfrieden.
Nachhauseweg. Verlassen der Halle durch strömend platschenden erfrischenden Regen. Im Auto wartend die Reste der Artischockenpizza vertilgt bis sich der Parkplatz geleert hat. Wieder auf der Straße. Auf die Scheiben prasselnder Regen während der noch sehr zähflüssigen Stadtverkehrfahrt. Umglückte Ruhe und friedvolle Gelassenheit. Ampel. Anfahren. Wieder Ampel. Stehenbleiben. Zeit zum Sinnieren und Beobachten. Die Welt mit wachgespültem und jedes Detail aufnehmenden, sich an der Natur und vor allem am Mikroklima begeisterndem, Geist sehen. Das Regengeprassel auf die Scheibe hat aufgehört.
m: »Guck mal, genau bei uns hat der Regen aufgehört, und in der Pfütze im Rückspiegel platterts noch total heftig. Nur ein paar Meter weiter!«
p: »Wir stehen unter einer Brücke.«
Genauso abgebrüht schlussfolgernd und nüchtern richtig müssen Dialoge sein, während man in einem motorisiertem Schlitten so dahinsteht und auf den Fahrtwind wartet.
»And I wonder which song they’re going to play when we go.
I hope it’s something quiet mannered, peaceful, and slow.
…
To hear the ’59 sound coming through my Grandfather’s radio.
Did you hear the rattling chains in the hospital walls?
Did you hear the old gospel choir when they came to carry you over?
Did you hear your favorite song one last time?
…
Young boys……..young girls.
Young boys……..young girls.
Ain’t supposed to die on a saturday nights.«
Gaslight Anthem, The ’59 Sound
whity · June 25, 2009 @ 19:09
Ich fuehle mich gewurmt, nicht bei Social Distortion dabei gewesen sein zu koennen. Schliesslich schaft es “Sex, Love and Rock’n'Roll” aber sowas von leicht meine persoenliche Rock-Alben-Top3. Wobei mir letztens klar geworden ist, dass die meisten der Songs sehr schicksalsbezogen sind. Aber auch kein Wunder – man muss sich ja nur mal den Saenger angucken!
Winners and losers …
Are you happy now with all the choices you’ve made?
Are there times in life when you know you should’ve stayed?
Will you compromise and then realize the price is too much to pay?
Winners and losers, which one will I be today?
admini · June 25, 2009 @ 19:34
Hmm. Mit den Texten habe ich mich noch nie so ganz beschäftigt. Aber das Zitat oben ist schon eine der großen Seinserkenntnisse.
Lese ja gerade “Mann ohne Eigenschaften”. Irgendwo dort auf den 1000 Seiten wird auch festgestellt oder vielmehr die Lebensweisheit aufgestellt, wie sich der Blick auf das eigene Leben im Laufe der Lebenszeit ändert. Vom Jugendlichen Elan mit ach soviel Zielen bis zu dem Punkt an dem man feststellt dass man diese irgendwie nicht so ganz erreicht hat, oder es noch nichtmal versucht hat, und dann irgendwann im Alter: Seelenfrieden, abfinden damit, dass dem so ist. Also sehr frei aus dem Gedächtnis wiedergegeben. War natürlich schicker und treffender formuliert.
Aber gewurmt fühlen musst du dich nicht. Im Konzert wurde angedeutet dass es in diesem Jahr nochmal eine Tournee in Deutschland geben wird, gut das bränge dir noch nichts, aber es klang sehr danach als ob dann wieder regelmäßigere Touren zu erwarten wären. Also schlauche meinetwegen noch ein bisschen im Erdboben rum und schieb ein paar Krummen beiseite, aber dann ist wieder gut mit dem gewurmt sein. Und wenn dir irgendwann Gaslight Anthem über den Weg läuft. Hinhin.
So. iTunes hat nun sein Digitalisierungswerk getan. Werde mir dann nochmal mit bedacht Winners and Losers anhören …
whity · June 26, 2009 @ 18:39
Ich werde dann wohl nie den “Mann ohne Eigenschaften” durchschmoekern. Bin ja der Meinung, dass auch Schriftsteller nicht zu ausschweifend schreiben sollten. Ist das von Musil? Ich werde gleich noch mal googeln – klang ja schon interessant, was du da geschrieben hast.
Mittwochs ist bei uns im Buero immer der “day of rock!”; d.h. es wird unglaublich schwarzer Kaffee getrunken. Wobei die Kunst ist, in der Tasse noch mehr Zucker als Kaffee unterzubringen. Dann wird auch jedes Mal Social Distortion gehoert. Ist schon ein fester Programmpunkt. Ich glaube, Radiohead’s “In Rainbows” und Social Distortion’s “Sex, Love and Rock’n’Roll” sind sowieso die meistgehoerten Alben.
admini · June 27, 2009 @ 11:46
Jeden Mittwoch? Das ist steady Aber den Zusammenhang zwischen schwarzem Zuckerkaffee und Rock ist mir nicht so ganz klar … vielleicht gibts ja noch ne Erläuterung.
whity · June 29, 2009 @ 21:00
Wir koennten natuerlich auch wie Lemmy von Motorhead Gin aus Limoglaesern trinken. Will sagen: Rock muss eben auch ein bisschen weh tun
admini · June 29, 2009 @ 21:39
Ja! Das versteh ich. Vor allem wo ich mir doch Samstag früh in einem kurzzeitigen Schwächeanfall den noch recht warm-bisheißen Inhalt meiner zu schweren Tasse über Beine und Küchenboden gegossen habe. Das ist Rock! Solltet ihr auch mal versuchen.