Mumford & Sons | 15.04.10 | Astra
Lend me your eyes I can change what you see
But your soul you must keep, totally free
(Har har, har har, har har, har har)
In these bodies we will live, in these bodies we will die
Where you invest your love, you invest your life
(Mumford & Sons, Awake my soul)
Nach einem gemütlichen Abendessen irgendwo in der Simon-Dach-Straße trennen sich gefährtliche Wege von Frl. Gründl (Name geändert, doch nicht von mir). Tags darauf werde ich in einem Buch erfahren, dass gründeln die Tätigkeit ist, der Enten in Teichen müßig nachgehen. Doch wie ich dieses Wissen in Beziehung setzen soll, ist mir noch ziemlich rätselhaft. Wir, 2 Kartenbesitzende werden von Frl. Gründer, einer Kartenunbesitzenden noch Richtung Astra gebracht. Eine zufällige Ballung der Wortmatrix, die deren Gitterstruktur sichtbar werden läßt.
Als wir vor eineinhalb Stunden das Astra querten, war ob der vielfachen Frage die uns entgegenschallte, ob wir Karten verkaufen wollen ziemlich klar, dass vor dem Astra sich der weitere Weg nochmal gabeln wird. Zweimal Konzert und einmal verfrühter Nachhauseweg. Das Konzert, seit Wochen bis Monaten ausverkauft, und das Astra wie uns wiederholt versichert wurde ein sehr kleiner Klub. Die Zeichen stehen klar.
Doch vor dem Eingang wenden sie sich zum Glück. Das Narrativum wirkt und webt in Form von 3 Stadtangestellten der Abteilung Lokalkolorit. Sie mimen eine Gruppe von Kartenhelern und bieten uns Einzelnen nun, zu dieser schon über die Einlaßzeit vorübergeschrittenen Stunde aus dem Schatten heraus Karten an. Ein zähes Ringen um den Kartenpreis beginnt, das nur dadurch von Frl. Gründer gewonnen werden kann, dass wir einen ergreifenden Abschied darbieten, wir uns die Stiegen hinunter in das Hinterhofareal des Astra begeben, und sie sich dem nach Hause zuwendet. Der Hinterhof bis zum Eingang ist mit Bierbänken bestückt und strahlt in der gleichen geruhsamen Atmosphäre wie das Conny Island.
Zehn Minuten später ging der Plan auf. Wir haben gerade die Jacken zur Garderobe gebracht, und verdaut, dass das kleine Astra ein Klub von mittelriesiger Größe und von Publikumsvolk klatscheng gefüllt ist, da läuft sie uns freudestrahlend entgegen, und im Schwung soweit nach vorne wie es die Menschendichte zuläßt, schräg rechts der Bühne, hinein ins Konzert. Einem Konzert das man bereits lange vorweg gelebt hat. Stellt man eine herbstliche Lobeshymne auf Mumford voran, gibt es nicht mehr viel, was man der Musik im Konzert noch hinzuschreiben kann. Dem Geheimnis das in dieser Musik geborgen liegt würde man mit noch so vielen Worten nicht näher kommen. Beinahe tritt schon eher Verstörung zu Tage, weil sie aus der persönlichen Umgebung herausgelöst und in eine großanonyme Halle gegossen wurde. Musik die in der Natur widerhallt, und nun in einer Halle wie fehl am Platz wirkt.
Was bleibt ist der Eindruck, wie die vier sympathischen Jungs in einer Reihe auf der Bühne aufgestellt sind, als wären sie Brüder. Ihre Lieder vortragen, mit dem Publikum plänkeln, und so ganz nebenbei den ein oder anderen Wirbelsturm anfachen. Mit einer Energie in ihren Instrumenten aufgehen, hineinhämmern, dass ein kleinerer Raum davon bestimmt zersprengt würde, es in einem kleineren Raum bestimmt noch eindrucksvoller widerhallen würde.
Im Konzert zeigt sich in ein, zwei Liedern ein Detail präsent, das auf dem Album noch nie auffiel. Eine dislaufende Klaviertonreihe, die um den Gesang und die anderen Instrumente wie ein junger Welpe im Kreis herumhüpft, und dadurch sehr entzückt. Alles andere ist zu bekannt und zu geliebt, so dass es kaum etwas neues zu entdecken gibt. Wären da nicht 2–3 neue Lieder. Das Zweite davon zwingt die Vokabel konvergent in den Kopf*. Das passiert bei vielen Dingen. Und vielleicht werden diese nur deshalb so gerne so bezeichnet, weil beim Klang des Wortes die einzelnen Silben, in einer bestimmten Weise aneinanderklacken, wie bei diesen 5-aufgehängte-Kugeln-Gestell, bei denen je nach Anzahl der ausgelenkten Kugeln die wildesten Rhythmen entstehen. So wie es auch im zu bezeichnenden Geschehen der Fall ist.
Was bleibt sind zu verdrängende Erinnerungen an menschliche Verhaltensweisen im Konzert. Doch scheint eine dieser Verhaltensweisen nun doch noch etwas zu enthüllen. Das von mir noch nie derart beobachtete Mitsingen, so dass man schon fast bangt das Mädchen schräg hinter einem will gleich Geld von einem, da man schließlich ihr zuhöre und nicht dem Sänger. So befremdlich es einem wirkt, auch wenn man sich für die Band freut, so scheint es doch eines zu zeigen. Es ist nicht nur die Musik, durch die sich der Gesang weich in die Höhen webt und von dort in die Tiefen sieht, wie ein tanzender Vogel. Nicht nur die anderen Instrumente die auf so wunderbare Weise das Wesen des Lebens einzufangen scheinen. Es sind auch die Worte die in dieser Musik liegen. Und so wie die Stimme und die Instrumente in und aus der Natur widerhallen, so setzen sich die Worte in den Menschen nieder, scheinen jedem etwas zu sagen, zuzuflüstern, ein Geheimnis. Etwas womit sich das Leben vielleicht nicht meistern, aber verstehen und schultern läßt. Und es ist als könnte man gar nicht anders, als sie im Echo wiederzugeben, und wieder und wieder und wieder.
Und mittendrin geschieht es. Die Ablenkung schwindet und einem jedem wird das zugeflüstert für das er gekommen ist. Wissen und Verstehen. Wie ein zarter Windhauch schwebt es vorbei.
Nachspann. Manche Konzerte verwehen im Wind, so gefühlt zu schnell sind sie vorbei, bevor man überhaupt begreifen könnte was mit einem geschehen ist. Und so wird man herausgeweht, staut sich ein wenig wie ein herbstliches Blatthaufengewölle an der Garderobe, und schließlich trägt einen die Strömung hinaus, über die Brücke an der Warschauerstraße, unter frühlingsblühenden Bäumen hindurch. Drei Augenblicke, drei mal dasselbe Beinbild. Das Erste rechts entgegenkommend, das Zweite etwas abseits an der S-Bahn-Station stehend, das Dritte seitlich links an einem vorbei. Schwarze Wollstrumpfhose und englische Herrenschuhe mit spitzem Vorne des vergangenen Jahrhunderts, für Frauen gefertigt. Zufallshäufung die das zugrunde liegende Gitter offenbart. Ein kurzer unwohler Schauer auf dem Nachhauseweg.
* eine Prüfung zeigt, dass das Wort etwas anderes ausdrückt, als der Klang im Kopf verursacht. Allerdings wird dieser Gegensatz durch den Erstsatz in der aktuellen Wikipediabeschreibung elegant und dankbar gelöst: »… bezeichnet allgemein die Zusammenführung zweier Objekte«. Mögen sie noch so unterschiedlich sein, die Vokabel zwingt sie zusammen.