Crippled Black Phoenix | 10.05.10 | UT Connewitz
Crippled Black Phoenix sind gekommen. Sie haben angekündigt dass sie kommen, und sie sind gekommen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das war schon zu oft anders. Ein Tourplan nach dem Anderen durch widrige Schicksalsmacht vereitelt. Schmerz und Mitgefühl für die Band in der Seele, bei jedem Aufruf ob Fans noch andere Clubs in der Stadt kennen würden, wenn wieder ein gebuchter Auftritt aus unbekannten Gründen ins Nichts splitterte. Doch gestern ist es gelungen. Crippled Black Phoenix waren in Leipzig. Nicht als Hauptband — aber der Bann wurde gebrochen. Die Zukunft strahlt verheißungsvoll für mehr.
Das UT präsentiert sich diesmal mit wenigen noch nicht vollständig weggeräumten Kino-klapp-Polster-Reihen, die kurzweiliges Daniedersinken und Wegdämmern zwischen den Auftritten der 3 Bands ermöglichen, zu denen man sich schon frühabends aufmachen musste. Das Konzertvolk füllt das UT zu einer für das gen Bühne sehende Auge optimalen, lockeren Dichte, und wir finden uns im nicht genau festzulegenden Raumbereich Reihe 1–3 wieder. In Augenhöhe mit der Greavesschen Gitarre, in unmittelbarer Weite vor dem Mann der der Welt und an diesem Abend dem UT Connewitz Crippled Black Phoenix schenkt, tätowierte Ruhe und Einklang mit seinem Instrument ausstrahlt, dabei kein Bandleader, sondern ein Erster unter Gleichen. Neben der mit dem elektronischen Tasteninstrument tief verbundenen Dame. Dem in sich sinnendem Sänger. Den durch kurzweiliges Geplänkel und Geblödel in Erscheinung tretenden Bassisten, der knapp vor dem in weitem Hintergrund verschwindenen Schlagzeug steht. Neben dem klein wirkenden Gitarristen Nummer zwei, der durch eine metallene Fingerhülse am kleinen Finger glänzt. Und neben der Cellistin die ganz außen Klassik ausstrahlt. Endtime Ballads betiteln sie ihre Musik auf myspace. Und stehen in dieser Endzeit-Kulisse, auf der Bühne des UT.
Gleich zu Anfang. Die Gitarre vor Augen und den Klang so nah vor Ohren schweben Erinnerungen an das erste Blackmail-Konzert heran. Die von der Gitarre entfesselten Töne schweben direkt auf einen zu und wickeln ein wie damals. Wenn aus den ganzen rauhen Einzelkomponenten einer E-Gitarre im Zusammenklang dieser harmonische und weiche Gesamtton entsteht. Satt und laut und Effekt.
Liedaufbau. Die Musikstücke bauen sich meist nach und nach auf. Die Welt hat Zeit, wenn man nur bewusst dafür ist. Kein Grund zur Eile. Ein Instrument, ein Ton, ein Grundrhythmus. Alles ist vollständig. Jeder Beginn währt ewig. Dann setzt ein zweiter Ton ein. Und wenn man vergessen hat, dass es sich nun um Zwei handelt, da die Töne eins geworden sind, folgt das nächste Neue heran. Bis irgendetwas Bombastisches gewebt wurde und man sich im ganzen Krach der Welt wiederfindet. Das klingt banal, wie oft gemacht, wie Lehrbuch, eine Anleitung wie man Lieder macht. Doch die Wirkung wurde mit Bedacht und Kunst erzeugt. Zu zeigen wie wunderbar es sein kann, wenn nur eine Taste angeschlagen, immer und immer wieder, und dann dazu eine Saite gezupft wird. Minutenlang. Bis in die Endzeit.
Entwicklung. Viele Stücke wirken wie mehrere erst aneinander gereihte und dann in Übergängen übereinandergelegte Lieder. Vom einen geht es zum anderen fort, es ist als wäre Leben in ihnen. Das Lied am Ende wird man als das Lied am Anfang meist nicht mehr wieder erkennen. Unterschiedliche, gegenseitig fremde Elemente werden aufgefahren, reingereicht, abgeklatscht. Die Lieder verändern sich weitaus mehr als man es gewohnt ist, doch trotzdem bleibt es irgendwie in sich eins. So wie Leben Leben bleibt. Durch einen nur schwer zu verfolgenden Faden, der aber da sein muss, um es immer wieder als dasselbe Stück zu erkennen, der aber nur in manchen Melodien gerade noch verfolgbar ist. Er ist in den Melodien, die einem anfangs mit wenigen Instrumenten beigebracht werden. Wie ein argloser Kinderreim. Wenn man sie verinnerlicht hat, durch Tasteninstrument und Gitarre, oder im Wechsel zwischen Cello und der anderen Gitarre, erst wenn davon ausgegangen werden kann, dass dieser Teil, dieses Grundprinzip von allen aufgenommen und verstanden wurde, dann wird die Melodie weitergesponnen, gezogen, gedehnt und ins Vibrieren gebracht. Gezeigt wie sehr man eine Melodie entwickeln kann, was ihr alles widerfahren kann, und sie doch ihrem Wesen nach bleibt. Es ist das Lehrstück eines Meisters.
Es zeigt die Faszination an der Schönheit von Musikinstrumenten. Den Klängen die aus ihnen kommen. Es ergibt sich etwas was nur entstehen kann, wenn sich Musiker auf das Wesen ihrer Instrumente einlassen. Und mit dem Wesen der anderen zusammenspielen. Darin wirken wie Jazz. Jazz. Jazz.
Man sieht nach oben mit dem selben Gefühl mit dem man einen Drahtseilkünstler beobachtet. In schwindelerregender Höhe, die Umgebung dunkel. Man kann nichts anderes als Hinsehen, aber hält es kaum aus, weil der angehaltene Atem immer mehr die Luft nimmt. Die konzentrierte Tätigkeit erzeugt Bannung, und gibt irgendeinem Gleichgewichtssensor, der uns im Alltag die Informationen über unsere Lage in der Welt gibt, trotz gleichbleibendem visuellen Eindruck, das Gefühl immer höher und höher zu schweben. Nur der Schwindel bleibt aus. Schwindel entsteht nur durch die Augen. Aus diesem zweiseitigem Positionsempfinden zwischen Augen und Ohren muss es entstehen. Dieses ganz und gar sagenhafte Erleben wenn man Musik wie der von Crippled Black Phoenix lauscht.
Im aktuellen Evolutionsstand des gesamtmenschheitlichen Wissensspeichers steht eine Interpretation wie der Begriff der Endtime Ballads zu verstehen ist. Als die finale Evolutionsstufe der Musik, die aus der ungewöhnlichen Mischung der verschiedenen Stile hervorgegangen ist. Alles brauchbare das über Jahrtausende gesammelt wurde in sich trägt. Wenn man Crippled Black Phoenix wirklich hört und in sich hineinläßt, klingt diese Aussage nicht nach wahnwitziger Arroganz blinden Fanseins. Man nickt nur so wie man zu etwas Selbstverständlichem nickt.
Das letzte Stück naht. Nachdem das Audium gerade erfolgreich zum ohhh-hooo-ohhh-Chorieren aufgefordert wurde. Wie sollte es anders beginnen als langsam. In wieviele Windungen kann es sich zerlegen bei mehr als zehn Minuten Dauer? Wie weit kann man die auf Aufmerksamkeit gespannten Nerven der Zuhörenden weiter anspannen? Bis sie losgelöst wie ein bis zum Überknacksen aufgezogenes Spielzeugauto nicht mehr anders können als bis zur Endzeit zu klatschen und nur durch eine Wand in ihrer Fahrt gestoppt werden könnten? Wieviel kann man in ein Lied hineinbringen? Wieviel wenn man es Time of ye Life nennt? Ein ganzes Leben? Kann man in den schrammeligen Passagen in der Mitte den Sehenden zeigen was sie hören, wenn man mit dem mit Blechröhre umhüllten kleinen Finger mit bedacht auf allen vier Saiten die Stege hinabgleitet? Und wenn man es wieder und wieder tut, wird es jemals ein Geräusch sein, dass man sich erinnern und ins Gehör bringen, das man fassen kann? Und wenn auf der Greavschen Gitarre ein zweites geeignetes Rohr platziert wird, und der Ton nun von zwei Gitarren erzeugt wird, wird man ihn dann soweit begreifen können, dass man ihn wiedererkennen könnte? Und wird man von einem stillen Anfang auf dem Weg in unbemerkt immer mehr Geräusch soviel Geschrammel und Druck aufbauen können, bis man sich in einer geräuschübervollen Welt wiederfindet? Als wäre man gerade in den Weltraum raketiert worden, auf das Schiff des Imperators? Und dabei doch noch in der Lage die Einzelheiten zu erfassen, die Melodien zu verstehen, sich an die Erde und den Ursprung der Melodien zu erinnern, alles zu erleben, und das darin versteckte zerbrechlich Zauberhafte zu fühlen, weil es einem Stück für Stück beigebracht worden ist? Und wird wenn Herr Greaves mit Gitarre ins Publikum springt, und die Töne hinter sich zurückläßt um eine weitere Trennung zwischen Sehen und Hören zu bewirken, und wenn er seine Gitarre verschenkt um beide Hände frei zu haben um an allen Knöpfen sämtlicher Effektgeräte zu drehen, bis aus der in Fremdhänden geborgenen Gitarre nur noch Fiepsen, Schnarren, Störrgeräusche kommen, wird man dann in sich aufschreien und feststellen, dass das Fiepsen, Schnarren und krachvolle Rauschen das Wunderschönste ist, was man je im Leben gehört hat? Dass man diese ergreifenden Knackrauschlaute nie wieder missen möchte? Und sich dabei freuen wie Herr Greaves voller Freude seinem Gitarrenträger Zeichen der Begeisterung zuzwinkert? Man wird.
Und erst wenn Herr Greaves aufspringt, sich vor die Boxwand stellt mit dem Rücken zum Publikum, die Arme erhebt und genau zwei Stecker mit einem Ruck herauszieht und all dem mit einem Schlag ein Ende gibt, wird man feststellen dass sich der Rest der Band in der Zwischenzeit klammheimlich von der Bühne begeben hat. Gewaltiger kann man einen Abgang nicht inszenieren.
Und wird man nicht unfreundlich in sich hineinglucksen, wenn bei der Zugabe festgestellt wird, dass alle ihre Instrumente bespielen, nur Herr Greaves nicht. Vor den Effektgeräten mit seiner Gitarre kniend, seine Hände fiebernd über ihnen kreisend, sich zur Ruhe gemahnend, und bei jedem Testschlag an die Gitarre ein gar schreckliches Geräusch über den Saal hereinbrechen läßt, und Herr Walte konstatiert: »siehste, hätte er mal nicht so viel verstellt«? Man wird.
Nachband The Black Heart Procession. Drei Bands ziehen sich, es ist spät, Geist und Körper müde. Band Nummer drei wird wieder in einer der Kinositzreihen abgewartet. Irgendwie noch nicht zurückgekehrt, noch ohne Fassung im Nachklang von Crippled Black Phoenix. Das Bewusstsein noch verwirrt vom weiten Ausblick den es schauen durfte. Langsam füllt sich die schiefe Ebene zwischen der Sitzreihe und der Bühne. Man sieht nur noch Beine. Bereit noch ein wenig Musik sitzend auf sich einrieseln zu lassen. Doch ein sägendes Geräusch, also dass einer singenden Säge zwingt die Neugier in einem doch nach oben, um einen Blick auf die Nachband zu erhaschen. Ein sehr hübsches Ziehmittel, dass zu meinem Bedauern für die folgenden Lieder beiseite gelegt wird. Mit groovend tiefbassigen sacht jazzigen Liedern gleitet man nach dem Höhenflug langsam wieder zu Boden, in die Normalität. Und verläßt das UT Richtung Regen und Bahn.