Seebad Bansin | 12.04.11 bis 15.04.11 | 06

Die Ruhe und das Meer und ein Hauch von Damals …

A Prelude   01 Betrachtung des Wortpaares Urlaub–Sonne   02 Der Regen über Berlin, Berlin Hbf (tief)   03 Der Hauch von Damals   04 Souvenirüberlegungen   05 Max-Planck-Institut für Primatenforschung, Bereich Armaturenmethodik, Außenstelle Usedom   06 Tauchglocke und Insektenvielfalt   07 Die Hang-auf-Problematik   08 Urlaub am Meer und das Gold der Ostsee   09 … in Bildern


06 Tauchglocke und Insektenvielfalt

Der Bahnhof Zinnowitz ist ein unaufdringlicheres Schmuckstück, gepflastert und bepflanzt führt ein Weg in den schmucklosen Ort dem man seine Meernähe wie üblich nicht ansieht.

Die Flaniermeile am Hafen wirkt auf mehr Stein gebaut als in den Kaiserbädern und ist gesäumt von Freisitzen. Mit herauskommender Sonne in jedem Fall noch sehr entspannend — da auch der Hochsommeransturm noch in weiter Ferne liegt. Zumindest in der Ferne einer Woche bis Ostern.

Ein italienisches Restaurant zieht unsere Mägen in sein Inneres. Gestärkt sind wir bereit für die Tauchglockenerfahrung. Den vormals unerträglich zugigen Steg entlang, ist es nun beinah eitel Sonnenschein. Schon hoffe ich das Meer wird nun bis ins Unterste so weit beruhigt sein dass uns exzellente Sicht aus der Tauchglocke harrt, die am Ende des Steges retro-futuristisch aufragt. Freue mich über den Namen Vinetabrücke in Verbindung mit dem Tauchglockenanblick und Erinnerung an eine vinetanische Schilderung eines Tauchglockenversuchs zu Beginn des historischen Romans ein Nashorn für den Papst von Lawrence Norfolk.

Aufregend und zur gleichen Zeit vollkommen unaufgeregt ists mit der Glocke unter Wasser zu tauchen. Vielleicht weil man sich so miniaturisiert fühlt. Doch das Wasser schwappt ordentlich an die Fenster heran, und schließlich über uns hinweg, und wird von blau zu grünlich fluoresk schimmernd. Durchleuchtet von oben. Die Sichtweite beträgt etwa 20 cm und es sind Schwebeteilchen einer recht schmutzigen Brühe zu erkennen. Interessanterweise gibt diese ziemlich genau die Assoziation wieder die ich jedesmal habe wenn ich den Begriff Brackwasser höre, wohl wissend dass er vollkommen neutral die Mischung von Salz- und Süßwasser beschreibt.

Im Wellentakt rumst und zerrt es ordentlich an der Glocke, erinnert an die Geräuschkulisse des begehbaren Herzens in Fulda. Ein sachtes Schlurfzen, Rumsen, und Spülen. Für die Dauer eines an den Rändern zur Dreidimensionalität fehlfarbenbunten Dokumentarfilms über das Leben der Ostsee ist dies beinahe die aufregenste Sinneserfahrung. Als wäre man in einem irgendwie geartetem Inneren, kurz vor der Geburt.

Der Tauchglockenkapitän sagt Informatives über die Ostsee auf und stellt, das Publikum einbeziehend, Herrn Walte die Frage, wieviele Badewannen die Ostsee füllen würde. In diesem Zusammenhang fällt mir unmittelbar ein dass die Ostsee bei Usedom auch als die Badewanne Berlins bezeichnet wird. Herr Walte antwortet sehr bestimmt: ich sach mal mehr als drei.

Die Glocke taucht wieder auf, und entläßt uns in weitere Sonne. Blick zur Uhr treibt uns zur nächsten Bahnstation: Schmetterlingsfarm Trassenheide. Auf der Bank am Bahnhof wartend verbringen wir die sonnigstwärmsten Minuten des Urlaubs. Vögel zwitschern. Die Welt ist in Ruhe. So schön kann Warten an einem Bahnhof sein.

Schmetterlingsfarm. Nach Eintritt in die Halle akute Akklimatisierungsnot. Es ist tropisch heiß, klamm und feucht. Doch überall unterm fernen Glasdach flirrend und über die Bepflanzung flatternd sind sie zu sehen. Schmetterlinge, teils schwalbengroß unterm Dach wirkend. Sinnesbenebelt durch den Obst- und Blütenpflanzenduft des Verfalls, und voll Freude über das Geschwirr und Geschwanke der bunten Flattrigen, ist meine Welt im Taumel.

Weiter in die kühleren Räume der Insektenausstellung. Weitere nicht mehr flatternde Schmetterlinge sind in Bilderrahmen angepinnt, und vor allem: Käfer. In nie gesehener Größe und Bepanzerung. Die Vielfalt überrennt einen, unter der Oberfläche ein ganz sachtes Gefühl, eine unmittelbare Andeutung, von der verrückten experimentfreudigen Präsenz des Lebens, das diese Vielfalt wirkt.

Leider sehe ich nun auch zum ersten Mal, was sich hinter dem Wort Zikade verbirgt. Chitinbasiertes Leben sollte nicht so dick sein, und nicht über derart lange Gliedmaßen und zudem noch Flügel verfügen. Und zu noch größerem Bedauern werden die ausgestellten Vogelspinnen von Schaurahmen zu Rahmen immer größer, bis sie eine Größe erreichen von der ich nicht wissen wollte, dass diese Größe von Vogelspinnen erreicht werden kann.

Hinaus. Rückfahrt. Wieder nach Bansin. Es ist wieder kalt und windig. Die vergangene Sonne wie ein Traum. Wie der Flug der Schmetterlinge.

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