Neurosis | 18.07.11 | Conne Island

Auf dem Straßenbahnweg ins Conne Island können bereits erste Mitbesucher ausgemacht werden, ebenso wie die Verbreitung des Mate.

Die Götter der alten Griechen und Römer und weiterer Mittelmeerkultivierter, wie auch der Nordmänner, waren ehrfurchtgebietende Gesellen.

So wie Licht durch Schatten noch heller scheint, so erstrahlen Bands die vom kreativen Olymp aus geistverzückendes und sinnbenebelndes Donnerwetter auf die Erde herunter schleudern, durch die bloß menschliche Geschicklichkeit von Vorbands die solch herausragende Göttlichkeit missen.

So gibt es Bands die ganz annehmbar elektrische Lautstärke in gängigen Schüttel-das-Haupt-Riffs fabrizieren können und animierend selbst die dazu gehörenden Bewegungen ausführen, was sicherlich für die ersten Stufen pyramidial ansteigender Sludge- und Metal-Core-Bedürfnisse ausreicht. Und es gibt Künstler die der Lautstärke einen Sinn verleihen der über das Schütteln von Gliedmaßen, vornehmlich des Rumpfbereiches, hinaus geht. Die genreüblichen Tonabfolgen variieren sie virtuoser, ebenso wie das ganze Genre. Sie stimmen den Klang ihrer Instrumente für manches Stück neu und anders. Sie klingen auf andere Weise. Sie entwickeln leise Momente. Und doch sind alle Schreitaten vorhanden.

Wohl dem der dies selbst aus leicht erhöhter Warte analysieren kann.

Von den seitlich empor reichenden Logenstiegen des Conne Island. An diesem feilen Plätzchen wurde gerade noch rechtzeitig ein Spähplatz ergattert, der einen ungekrümmten Blick auf die Bühne erlaubt. Ab einer gewissen Duración, des eigenen Selbst als auch des Abends, möchte man die Sauerstoffversorgung des Körpers auch nicht mehr in ein Schwindel erregendes Unter versetzen, indem man sich stundenlang dicht gedrängt stehend in den vulkanischen Dämpfen des unteren Publikumraumes aufhält.

Der zweite Umbau steht an. Mehr Mateflaschen werden am Label in Nah und Fern erkannt. Es wäre Zeit das Bett zu betreten. Bisher wurde der Geist durch hörbares doch nicht faszinierendes Geräusch hingehalten und fühlt sich davon müde und erschöpft. Vorband zwei machte es ihm dabei leichter als die Erste. Vielleicht durch mehr und mehr hörbaren Gesang, mehr visuellen Input, stylischem Auftritt, waldandeutende Leinwandprojektionen, und dem ein oder anderen das Gehör erfreuenden Kniff. Die dunkle Boygroup Amenra tritt in uniform durchgestylten dunklen Jeans und schwarzen Shirts auf und vollführt choreografisch abgestimmte Kopfschüttelmanöver bis zum Boden, mit und ohne Gitarre, wechselnd zum Publikum gewandt und dann trainierten Rücken zeigend. Der Sänger hält nur seine Stimme als Instrument doch krümmt er sich trotzdem ausufernd im Gleichtakt mit seinen Gitarristen mit.

Die erste Band Ufomammut erheischt anfänglich Freude über die typischen Metalcoreverbeugungsposen. Sie führen den Kult zweifelsohne aus, doch einmal gefundene einfache nur fünf Töne beinhaltende Melodien die im gleichbleibenden Abstand abgespielt werden, gewinnen nicht dadurch an Rafinesse dass sie 50 mal wiederholt werden. Der Geist verdurstet und kriecht ins Nichts.

Doch das Immerwährende wenn auch manchmal nicht auf Konzertdauer beständige Wunder des Wachwerdens durch die Droge Musik, doch es muss inzwischen schon ausgewählt guter Stoff sein, geschieht auch heute. Neurosene Töne erklingen und Körper und Geist werden wieder belebt, sind wieder wach. Man könnte versuchen ein wenig zu stehen, und ein oder zwei Beine auszuschütteln. Aufmerksamkeit geschieht. Die Tonfolgen, Störgeräusche, mal lähmend, mal atmend ruhigen Zwischenpassagen, und der Lärm sind arrangiert und nicht nur handwerklich aneinandergereiht. Und schon erschallt Hyperions Stimme.

Mussten sich in beiden Vorbands die Sänger krümmen um das was sie zu singen hatten herausschreien, um die erforderliche Wucht dafür aufbauen zu können, so dass man in Sorge war, das ein oder andere Eingeweide würde mit herausgespien, so steht Hyperion in ruhigem Selbstwissen seiner Stimmgewalt. Er singt in rührender Zerbrechlichkeit, mit zarter Stimme und voller Feingefühl seine Weisen, ohne dabei – was ja die große Gefahr ist – zu säuselnd und romantisch verkitscht zu klingen. Es ist nicht ganz festzumachen mit welchem Trick ihm das gelingt, es könnte mit dem leicht brummenden Timbre zusammenhängen das er unterlegt. Und nun da ich es live gesehen habe, muss ich mich doch schelten, dass ich so oft erheitert reagierte, wenn ich seinen Gesang aus einer silbernen Scheibe heraus vernahm, als wäre es niedlich und anrührend wie er, der Titan, versucht mit seiner tief grölenden Stimme Melodien zu singen. Denn es ist klar, genau das ist es, was er tatsächlich kann. Gesang. Ich erkenne es.

Neurosis hat 3 Sänger dieses Kalibers. Ihre Qualität resultiert nicht allein daraus, doch es ist im Konzert das heraustechendste Merkmal, das, das am meisten fasziniert. Jedes dieser feinkalibrierten Instrumente ist etwas anders gestimmt. Als zweites gesellt sich Kronos singend hinzu. Seine Stimme etwas kühler, technischer. Ohne das weiche Brummen. Rechts außen fällt ein Bassist durch wild gesichtsverzerrende Grimassen gruseleinflösend auf. Und in wenigen unbedachten Momenten schaltet sich auch er, Kerberus sicherlich, stimmlich ein. Die Stimme unterirdisch und Grauen erregend.

Die Wachheit durch den Bann der Musik wird im Widerstreit mit dem wiegenden Singsang Hyperions durch Schlummergefühle attakiert, wie ich sie von zuhause kenne. Mate kämpft gegen.

Zwischen den Stücken dämpft sich das Licht und Schatten sinkt über die Titanen herab, während untermalende Zwischentöne erklingen. Es wird an den Instrumenten gedreht, justiert und gefeilt. Dann hebt sich der Schatten wieder wie ein Vorhang und das neue Stück setzt ein.

Hin und wieder singt auch Hephaistos hinter seiner Werkbank, an der er Keyboard und Faustschlagklöppelfon, sowie vermutlich ein paar Zerrgeräuscheinstellknöpfe geschraubt hat, hervor. Nur ein Titanennachkomme zwar, doch sein inbrünstig langsam mit den Fäusten ausholendes Hämmern auf Teile seiner Werkschreins ist sicherlich nicht von schlechten Göttereltern.

Gegen Ende werden durch den tatsächlichen Vorhang große zylindrische Gegenstände gereicht die sich als zusätzliche Trommeln herausstellen als sich der Schattenvorhang wieder hebt. Dem noch unbeschriebenen Trommler, ich vermute es ist einer dieser Halbgötter, trommelt sich nun Kronos hinzu. Ich kann mein Glück nicht fassen. Den vor kurzem erst erlebten Trick des doppelten Trommelspaßes nun noch einmal in anderem Musikgenre aufgelegt zu erleben. Er trommelt nicht einfach los, sondern deutet das Trommeln erst nur in die Luft, spannt auf die Folter, in Zeitlupe, mit langsamen Beschwörungsbewegungen, und dann: verschwimmen sein Bewegungen im Trommeltakt, eine endlos sich wiederholende Schlaufe die kein geistiges Absterben bewirkt, sondern kultische Wachheit. Jemand kriecht auf die Bühne, lebensmutig oder todesgestört arretiert er etwas an den Trommeln während diese mit paukenden Schlägen großflächig bedeckt werden. Kronos will sich seine Ablenkung nicht anmerken lassen, doch trotzdem entsteht der Eindruck er wäre doch etwas durch diesen Menschen gestört. Zugeben wollen Götter so etwas ja nie.

Nach einer e-Gitarren-Unterbrechung des Trommelreigens, in der Kronos die Gelegenheit seines entfesselten Selbst nutzt animalisch am Verstärker zu schütteln um taumelnde Töne aus ihm zu entlassen, tritt auch Hyperion noch an die Doppeltrommeln, und es trommeln 3 Stöckchenpaare in wildem Takt. Kerberus gibt uns noch eine kurze, in meinen Augen durchaus verzichtbare, Erinnerung an den Klang seiner Stimme und das weiße in seinen Augen mit in die Nacht und den Schlaf. Ein für Menschen in seiner sehnenden Faszination noch nicht ganz ergründbarer doch im Unterbewußten lang anhaftender Abend geht im letzten frenetischen Applaus des Konzerts zu Ende. Das Bedürfnis nach den ursprünglichen, primitiven Gottheiten ist die Spitze der Core-Pyramide. Der erste Bewusstseinsimpuls der durch uns Menschen ging. Ehrfurcht.

Auf dem Weg nach Hause stürmt eine bodennahe fellige Kugel mit seinen vier Füßen auf den Boden trommelnd herzzereißend verängstigt auf uns zu. Herr Walte erkennt einen Waschbären – aus der Ferne vernehmen wir sich aggressiv beschimpfende Menschen. Und nun versperren wir ungewollt den Fluchtweg; der Waschbär quetscht sich in unvermindeter Geschwindigkeit unter einen 10 cm hohen Schlitz eines Zauns und entschwindet in einen ihn hoffentlich beruhigend umfangenden Garten. Zwei Waschbärensprünge weiter wäre das Tor offen gestanden. Wie hätte er es in seiner panischen Furcht wissen können?

Kommentare
  1. The Passage » Neurosis | 2.07.13 | UT Connewitz · July 7, 2013 @ 13:11

    [...] die Halbgötter sind wieder auf der Bühne, ein Festtag wie vor zwei Jahren. Gewaltig, krachend, laut, melodiös, kann der ganze Sound mit einem Mal so herzerweichend sanft [...]

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