espanische Erlebnisse in Portugal | II
zu Besuch bei Whity und Miss Pili in Santiago, 26. Juli bis 3. August
Wir sitzen am linken Douro-Ufer in Vila Nova de Gaia in einem Freisitz der im Sandemann-Emblem geschmückt ist. Oder war es Porto Cruz? Offley? Ramos Pinto?
Die Sonne gleißt, der erste Portwein wurde soeben auf einer
nebligen Bootsfahrt zelebriert, der Blick schweift hinüber nach Porto,
wo sich die Häuser dicht gedrängt den Hügel hinaufdrapieren.
Das Leben hält still. Man befindet sich auf einer Ansichtskarte.
Stadt des Portweins
Porto hat sich in meine zerebrale Netzhaut eingebrannt. Durch die Kontrast und Sehkraft verstärkende Wirkung meiner 110-Prozent-Sonnengaffas oder ist es der Zauber einer besonderen Stadt? Oder der allzeit gierig saugende und irgendwann überlastete Blick einer Fotografista. Nach zwei Tagen in dieser Stadt schließe ich nachts die Augen und die engen, von bunt verfallenen Häusern gesäumten Gassen, die schwindelnden Aussichten auf den funkelnden Fluss und die gekachelten Hausmauern flimmern im steilen auf und ab der beschrittenen Wege vorbei.
Erste Eindrücke vom Stadtzentrum sammelt man am besten aus einem Auto auf dem Weg zum Hotel. Dazu hat man mehr als ausreichend Zeit und Gelegenheit während der Fahrer von den perfiden Ausgeburten des Straßenstadtplaners geleitet seine Runden dreht um irgendwann die eine Straße zu finden, die zum immer mal wieder einen Block weiter am Berg aufblitzenden Hotel Mercur heran führt. Steil hoch und steiler herunter, Santiago wirkt im Vergleich auf einmal so flach.
Engste barbestückte Gässchen in die gerade ein Auto und zwei Frauen, eine alt und pummelig, die andere jünger und stark geschminkt, Platz haben entlang. Die Häuserzeilen heruntergekommen doch immer noch schön in ihrem Putz aus Kacheln und gezierten Mauern. Zweigeschossig und meist nur zwei Fenster breit. Eisenbalkonbewehrt und vereinzelt mit Blumentöpfen bestückt. Abwechselnd Azulejos oder die von den Azoren bekannten steindunklen Einfassungen um Fenster und Ecken herum auf weißem Putz an den Kirchen.
Die Einkaufsstraßen breiter und bunter, pompöse und elegante Ladenfronten, mit barock aufwändigen Steinschnitzereien in dunklen gedeckten Farben oder engeligem Weiß die den Eingang überspannen. Glanzvolle Ausstrahlung einer Stadt die viel Reichtum und darauf aufbauenden Stolz gesehen hat. Nach oben schauend blickt man hin und wieder direkt in das Antlitz herausstehender Büsten mit facettenreichen Gesichtsausdrücken, drei erstaunt glubschäugige Frauengesichter, mit unwohl erhobenen Augenbrauen. Sieht man Porto von oben fliegt der Blick wild über verschachtelte Hausdächer hinweg bis hin zum Douro. Diesen weitumherflirrenden, wenn auch windumspülten, Blick verdient man sich wenn man gehirnbetäubenden Glockengehäul trotzend den Torre dos Clérigos erklommen hat.
Porto ist wie dafür gemacht einfach nur hindurch zu spazieren und zu sehen (… zu fotografieren). Hinter jeder Ecke ein neuer Blick, an jedem Haus besehenswerte Details. Das stete auf und steile ab der Straßen das an jedem Ende mit einem neuen Ausblick überrascht, das portugiesische Geckern der Möwen, ungewohnt anders als das herausfordernd mies gelaunte Fauchen der Ost- und Nordseemöwen, die Freisitze der schlichten Kneipenrestaurants, das bunte Treiben am Hafen hält den Geist angenehm leicht beschäftigt.
In einem Hauseingang streicheln zwei kleine Kinder einen knurrenden Terrier. Unser Weg führt weiter bergab Richtung Hafen zur Praça da Ribeira. Auf einmal ein Schrei und der Hund schießt an uns vorbei, gejagt von einer wild zeternden Frau, die in den nächsten Minuten noch mehrmals rennend, suchend, fluchend unseren Weg kreuzen wird. Im Wiederhall der Erinnerung des gestern Nacht auf einsamen Platze laut rufenden Mannes verfestigt sich der Eindruck, dass in Porto übermäßig viele Menschen zuviel Sonne und mehr als ertragbar viel Wind abbekommen haben.
In einer Stadt in der seit Gedenken Port kostenfrei aus allen ansässigen Portweinkellereien in ergiebigen Quellen am anderen Douroufer an die Bewohner herausfließt, so dass sich sprudelnd rote und weiße Bäche die steilen Straßen Vila Nova de Gaia herab in den Douro ergießen drängt sich der Verdacht eines Zusammenhangs auf. Der Hinweis im Reiseführer auf jahrzehntelange Drogenprobleme im Viertel um den Bahnhofsbereich herum, dealende Hausmuttchen die ihre Rente aufbessern mussten, um weiterhin dort wohnen zu können, scheint dagegen zu banal.
Es ist ein schwer zu Fassendes und zu Verstehendes, dass in einem ganzen Stadtviertel hinter jeder Ecke kostenfreier Probierport mit Freuden ausgegeben wird. Dieses Glück muss erst einmal verdaut werden, und schnell pappsüß über bekommt man es auch. So dass man sich mit der Zeit jeglichen Port von den in jeder Ecke lauernden Menschen die einem noch ein Glässchen aufbieten wollen ausschlagen sieht. Wir entscheiden uns für eine Besichtigung von Taylor’s, das am weitesten oben liegende Portweinunternehmen, und erklimmen ganz Pilger in unseren Herzen die kopfsteingepflasterten Gassen.
Den Portpilger empfängt ein weinrebenüberspannter kühler Innenhof und im Empfangsbereich altenglisch gediegenes Ambiente, dunkles Holz, dunkler Raum. An einem aus einem Portweinfass gefertigtem Tisch lassen wir uns nieder und vom Probierport duselig abfüllen, den Angestellten merkt man die Freude immerzu Wein kostenlos an dankbar glückliche Menschen ausschenken zu dürfen sichtlich an, und Berufsneuorientierungen werden erwogen. Die nachfolgende Führung wird in nebeligen Portweindunst erlebt. In den Lagerkellern feuchter Mauerputzgeruch, ehemaligen Kuhställen nicht unähnlich, Dunkelheit und der würzige Geruch des Ports, der sich dunkel aus den herben Holzfässern in den Port hineinlagert.
Am Ankunftsabend, nach der beschwerlichen Wegsuche zum Hotel, beschließen wir gemeinsam eine kurze Hotelrekreation. Das Schlafareal ist wonniglich wohl gepolstert und konkurriert eifrig mit der Entdeckungsneugier auf Porto. Einfach liegenbleiben …? Durch das geöffnete Fenster können die je nach Tageszeit unterschiedlichen lebendigen Geräusche einer Hafenstadt hereindringen, vertriebener Morgennebel, frisch vom Meer, auch Taubengemurre, doch vor allem das Kreisen von Möwen und des Verkehrs, und gibt schließlich den Ausschlag für den Aufbruch. Nachdem wir unsere Reisegefährten in Zimmer 118 nicht auftreiben können, weder telefonisch noch durch sachtes Wummern an die entsprechende Tür, geben wir der Möglichkeit Raum, dass es sich bei der vernommenen Zimmernummer auch um 108 gehandelt haben könnte und spüren sie dort schließlich auf.
Gemeinsam begeben wir uns auf den Weg zur Samstag abend vermutlich schon geschlossenen und famosen Livraria Lello & Irmão, um diese fachkundig zu bestaunen. Auf dem Platz vor unserem Hotel herrscht Trubel und volkstümlicher Umzug, der uns unseren Weg durch eine abwechslungsreiche Einkaufsstraße entlang hinterherläuft. Erst Flamencotänzer, dann urigere Tracht mit gehäkelten weißen Leggins die unter den Röcken hervorlugen, sowie unbequemen Pantoletten die vorne spitz und wuchtig zulaufen. Die zweite Truppe hat eine dicke Donna als Sängerin, und ihr auf und ab wiegender Gesang windet sich in unsere Ohren.
An einem beschaulichen schmalen baumbestandenen Platz mit Freisitzen vorbei, eine enge Gasse mit hohen und aufgelassenen Häusern hinunter, wieder an einer Haupteinkaufsstraße heraus kommend. Bergauf, und schließlich: die Buchhandlung. Sie ist geöffnet und wir gehen hinein. Das Innen ist nicht winzig, doch wirkt es durch die reich angelegte Verzierung, doppelt geschwungene rote Holztreppe, dunkle Holzschnitzereien, buntes Glasdach, so eng, dass man doch das Gefühl hat in einer Miniaturbibliothek zu stehen. Entzückend.
Wieder heraus laufen wir noch etwas kreuz und quer an Kirchen, Aussichtspunkten und staubfarbenen Gassen vorbei, lautes Schlagzeug einer Musikprobe klingt hinter einer besonders dicken Mauer in einer besonders verlassenen und abgestandenen Ecke hervor.
An der Hafenstraße entlang und irgendwann der erste Blick auf das Bauwerk eines beruflichen Kollegens des Monsieur Eiffel, auf die Ponte Dom Luís I. Der erste Blick nimmt sie noch gar nicht besonders wahr, so unkompliziert, so zwingend natürlich vorhanden, fügt sie sich in das Bild der zwei durch den Fluß getrennten Städte ein. Aber es ist schon ein sagenhaft gewaltiges Bauwerk. Wir entscheiden uns irgendwann für einen Freisitz an der tummeligen Hafenzeile, die die Fantasie piratesk in Monkey Island-Welten zieht, aus Lautsprechern einer Konzertveranstaltung dringt ruhige sich südländisch ausnehmende Musik mit tiefer Männerstimme.
Radlerzeit. Als der Kellner endlich aus dem Knick kam, und Moni ihr Getränk fachgemäß gekippt hat, was Whity — völlig aus dem Zusammenhang gegriffen — dazu animiert die Mokkasekthistorie für Miss Pili wiederzugeben, wird auf der Bühnenfläche Tango eingespielt und von unterschiedlichsten Paaren von elegant und gediegen bis beinahe aufreizend heruntergekommen, jung bis blutalt ausgeführt. Beinahe zuviel an Authentizität wie der Tango erklingt und sich bunt gemischte Paare finden, die in unterschiedlichem Ausdruck von ernst bis leicht bis leidenschaftlich ihren Tango drehen. Die Paare meist aus jungem Animateurtänzer plus unternehmungslustigem Umstehenden gebildet, doch auch richtige Pärchen darunter. Zwischen den Tangostücken werden immer 22einhalb Takte Rock ‘n’ Roll eingespielt, dem bayrischen Aufspielen vor dem nächsten Tanz vergleichbar, dann folgt das nächste Stück. Alte Herren auf der Tanzfläche und umstehende Marktfrauen schauen dem Alltag entrückt in den Augenblick.
Bei einem nächtlichen Spaziergang irrt man mit einem Gedanken nach dem da noch nicht gekosteten Portwein suchend durch Porto, es ist mild, die Stadt glänzt nächtlich, umfängt die Seele ruhig, vergitterte Ladenzeilen werden von Kneipen abgelöst, in einer Nebenstraße in der Nähe der Buchhandlung Lello spielt eine Band mit aufgebautem Schlagzeug, von Gesprächen brausende Plätze wechseln sich mit Straßen die so still wie leer sind ab, geben von oben den Blick auf den von Straßenlaternen eingesäumten Douro frei, bevor man sich selbst wieder am Hafen befindet, wieder auf reges doch irgendwie gemütliches Weggehtreiben trifft. Allnacht einer jungwährenden Stadt.
Nachts darauf begeben wir uns mit Miss Pili und Whity zum nachts zuvor erscouteten Freisitzhäuserblock, der beinahe frei und im Nichts stehend eine Seite eines ausgedehnten, baumbestückten Platzes säumt, und lauschigeres Dinieren als in einer der zahllos trubeligen, engen Bars verspricht. Heute stehen zwar nur vor dreien der 10 Gastkneipen mit rotkarierten Decken bedeckte Tischchen, es ist Sonntag, doch der Platz ist unser.
Und dunkel wie es ist blitzt das sonnenlichte Porto des vergangenen Tages mit den ruhelos flitzenden Neuronen im Kopf auf. Alles über allem der Blick von der oberen Aussichtsetage der Eiffelbrücke auf die beiden eindrucksvoll zauberhaften Stadthälften durch die sich der Fluß auf seinem Weg ins schon nahe Meer hindurchschwingt. Ein Schwindelgefühl wie auf einem Hochseil, vom Meer aus nutzt der ozeanische Wind die Gunst der vom Douro ins Landesinnere geschnittenen Schneise, folgt ihm flußauf und nimmt freudig die unsicher über die luftig schwebende Eisenkonstruktion tapsenden Menschen ins Visier, über denen die Möwen kreisen. Manche sind leichtsinnig, wenden den Blick selbst im geradeaus Gehen zur Seite, während der Wind am Gleichgewicht, den Haaren, Jacken, Sonnenbrillen und Kameras zerrt, schauen taumelnd über das visuell nicht halt gebende Geländer hinweg, einfach nur immerzu in diese Aussicht, wundervoll hypnotisiert.
guide martín · September 18, 2011 @ 23:09
sehr schön geschrieben! Auch wenn ich immer wieder erstaunt bin, wie anders du die Dinge betrachtest und wahrnimmst. Und die Sache mit dem Kaltgetränk, was einmal mehr über mich ergossen wurde: ich überlege immer noch, ob ich da Absicht unterstellen sollte!!
admini · September 19, 2011 @ 20:34
Nun das macht mich ja sehr auf Deine Portowahrnehmung neugierig! Dein unmittelbarster Eindruck? Das sollten wir unbedingt bei einem kühlen Getränk kip… äh ausschü … austauschen