Therese Aune ::: Einar Stray | 12.10.12 | UT Connewitz
Das UT Connewitz wird bereits winterlich bestandheizt. Der Raum vor der Bühne ist beim Eintreten noch weitgehend leer, wird jedoch rasch von außen nach innen mit Konzertvolk aufgefüllt. Die Bühne ist bereits gedeckt. Das Nord Piano, Teppiche, diverse Effektgeräte und Elektronik. Irgendwann wird noch der Apfel der Zwietracht gebracht und neben dem e-Piano leuchtend aufgeklappt. Auf dem Bühnenboden befindet sich unter den Schlingkabeln eine mysteriöse runde Blechdose. Skruf steht darauf. Wir mutmaßen norwegische Hustenpastillen, und kein musikalisches Zubehör. Schon allein das wie »ü« gesprochene »u« in Skruf ist zu lautmalerisch hustig als das es anders sein könnte.
An die Bühne gelehnt, da alle Sitzplätze an den Banden bereits besetzt sind, ruhen unsere Blicke auf der Galerie des UT Connewitz. Immer mal wieder sehen einzelne Menschen von dort nach unten in das gefüllte Audium. Kribbelige Aufregung strahlt aus.
Das Fräulein Aune (das A wird einzeln und nicht als Diphtong gesprochen) betritt die Bühne, und stellt sich nach freundlicher und höflicher Begrüßung hinter dem zweiten ominösen Gegenstand der Bühne auf. Auf einem hohen Stehtisch befindet sich ein Kasten aus Holz, auf seiner Vorderseite klafft eine gefältete Tasche auf, die an die ziehbare Linsenausrichtung einer Standkamera unserer Altvorderen, oder einen Aktenfächerkoffer, erinnert. Die abgewandte Seite ist nicht einsehbar, doch als das Fräulein Aune anfängt mit einem Arm den Blasebalg zu bedienen, und aus der Bewegung der anderen Melodien ertönen, wird klar dass es eine Art Standakkordeon ist.
Fräulein Aune beginnt hinter ihrem magischen Gerät beschwörend zu singen, Alraunen schreiten stockend durch den Geist, die Standheizungswärme wird zusammen mit den fremd wabernden Tönen von einem kühlen und feuchten Luftzug der sich aus dem Boden aufschwingt verweht. Die Bodenkälte steigt nach oben und taucht auch die Arme in Gänsehaut. Das Publikum wird zunehmend in Nebel getaucht und immer tiefer in eine unwirkliche Landschaft gezogen. Gezogen von einer außerungewöhnlichen Stimme. Glatt, hart und rauh wie ein Kiesel in einem eiskalten Gebirgsbach. Darin eine süße Komponente, die mit schelmischem Grinsen, herausfordernd aufblitzt, als wäre der Kiesel ein Bonbon wenn man ihn nur lange genug im Mund behält.
Das Arrangement des Gesangs und der wenigen Instrumente ist ungewöhnlich, selbst im Rahmen all der wundersamen Klaviervirtuosinnen die dem Tastenklang ihre Stimme beigeben. Es ist nichts vollkommen neues, doch eigenwillig genug, um einen Weg in eine andere Wirklichkeit zu weisen. Vielleicht die Wirklichkeit die sich im Inneren von Fräulein Aune befindet, eine Welt die anders aussieht. Ein kleines Mädchen und weise Frau hüpft durch diese fantastische, nebeldurchwaberte, naturgesättigte, verschlungene Welt. Einer Welt vor der man mit staunender Seele steht, und tief inhaliert. Die Stimme rollt über den oft steinigen Untergrund und sie schwingt sich in die Höhen in denen die Sonne milchig den Nebel erhellt. Ein kurzes Verharren, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu rennen, dabei ausgelassen Sprünge vollführend. Fliegend. Und so folgt man ihr, immer mehr außer Atem, durch ihre Welt.
Für die letzten Stücke kommen die beiden Streicherinnen von Einar Stray mit auf die Bühne. Aus dem Zusammenklang der hellen Geige und des tiefen, kratzigen, und doch behaglichen Cellos, wird noch eine andere Möglichkeit offenbar, den Zauber der Alraunenstimme zu verstehen. Andere Zauber verpuffen mit einem kleinen platzenden Laut. Die Skrufdose enthält Ohrstöpsel.
Nach nicht langem Warten betreten die Musiker von Einar Stray die Bühne. Es ist wie eine wunderbare Wiederholung des Konzertabends im Januar, nur dass einem die Künstler dort oben in der Zwischenzeit noch mehr ins Herz gewachsen sind, man sich noch mehr an ihrer Freude mitfreut. Nur das man diesesmal schon wusste, was mit einem geschehen wird. In welchen Zauber einen die jungeingesessene sockendynastische Musikfamilie entführen wird. Und es geschah …
Was bleibt noch hinzuzufügen? Das Konzert sitzt in einem fest. Auch Lieder die man inzwischen Zuhause inwendigst gehört hat, sind mit dem Live-Erlebnis nicht zu vergleichen. Alles schraubt sich höher, rummst gewaltiger, und fängt einen weicher auf. Und vielleicht ist es jetzt, da man jeden Ton im Voraus weiß, und schon im voraus anfängt zu schweben, sogar noch unglaublicher, das, was man nicht bis ins letzte erfassen kann. Man müsste es wissen, besser verstehen können was geschieht, doch wirklich enträtseln kann man es nicht. Abgesetzte wohlplatzierte Mehrklänge auf dem Klavier verbreiten innere Ruhe, dazu zirpen die Streichinstrumente, man ist hypnotisiert wie in einem Wiegenlied, bis mit einem gewaltigen Krachen das Schlagzeug über die bereits nervenziepende Ruhe hereinbricht wie ein Gewitter, und das Klavier und alle anderen Instrumente auf der Bühne mit sich mitreißt.
Die Fähigkeitssehnsucht verfolgt die Leichtigkeit mit der die Hände über die Tasten tanzen. Bemitleidet sich nie Cello oder Violine gelernt zu haben. Mit leuchtenden Augen wird verfolgt wo auf welche Weise welche Töne aus den Instrumenten gleiten, fliegen, katapultiert werden. Und irgendwann ist es vorrüber und wir begeben uns nach dem Erwerb der For the Country-EP, für die geburtstägliche Anne ins König Heinz. Seelig auf einer der Wolken die einen nach Konzerten so oft tragen.