Dresden im Schneenebel und Moneybrother in der Scheune | 9.12.12
Die schon wieder. Warum nicht?
Jean Luc schwebt mit Impulsantrieb durch dichten Nebel. Von Leipzig nach Dresden. Doch davon sieht man nichts, er könnte sich überall befinden, außer Schnee am Boden und Nebel in allen anderen Dimensionen ist keine Materie sichtbar. Schließlich meldet der Radar ein Tal vor uns und aus der Abwärtsbewegung schließen wir, dass wir uns auf direkter Landefahrt befinden. Der Nebel wird dünner und nachdem die Randzonen hinter uns liegen, ragen vor dem bewundernden Blick von Dame C einzelne Türme, Giebel und Prunk aus dem Nebel weich umfangen hervor, und tauchen hinter uns wieder in ihn ein.
Würde sie sich hin und wieder auf der Spielwiese einfinden wäre ihr der mystische und schwadenverhangene Blick auf gewaltige Steinbauten nicht neu. Doch selbst alten Hasen wie Algor und mir wird ein bisschen weihevoll um den Brustkasten, solch eine Szenerie in exzellenter live-Grafik vor Augen zu haben.
Jean Luc will eine Pause, wir docken an, und er schwelgt in Erinnerungen an verregneten Ostseecampingurlauben als er zu einem Picnicshuttle umgebaut wird. Kurz gestärkt, die Muskeln bereits ängstlich vor dem Kalt und Nass angespannt, matschen wir durch einen glühweinstandgesäumten Steinbogen um Dame C die Dresdner Altstadt zu zeigen …
… eine Häkel-Decken-Spitzenweihnachtsmarktstand wird als Bestandteil exotischen ethnischen Kulturguts gewürdigt, die behaglich geheizte Frauenkirche nimmt uns für die Dauer einer Orgeldarbietung auf, eine längere Passage erinnert an das Stück Knights of Cydonia von Muse, die Seele giert nach dem Gefühl selbst einmal gewaltige Orgelpfeifen unter den Fingern zu haben, wieder vor den Türen wird beschlossen nur noch die notwendigsten Punkte, Fürstenzug, Oper, Zwinger, abzuhandeln, auch damit die beiden eingeborenen Leipziger nicht länger als unbedingt nötig den Schon-Beeindruckend-Hier-Huldigungen ausgesetzt werden, der Blick nach oben ist sowieso unangenehm, Schneekristalle sollten nicht direkt auf Augoberflächen appliziert werden, historisch fundiert wird der Fürstenzug in entgegengesetzter Richtung entlang geschritten, Oper direkt voraus, Zwinger, Mehrheitsbeschluß über den etwas geschützteren Weg durch die Stadt zu Jean Luc zurückzukehren wird unter Anrufung von Tapferkeit und Ehre zugunsten der Elbterassen abgewiegelt, auf den Terassen kann nur noch pure Überlebensfreude dem eisigen Schneefall trotzen, Krähenscharen wirbeln über uns, verschneite Sitzbänke kauern mit Blick auf Elbe und Brücke, alles durchaus reizvolle Motive, doch die Hände verweigern fotografischen Hilfsdienst, die Stufen hinab sehen wir gerade noch Captain Sparrow von hinten wie er im Getummel der Weihnachtsmarktstände entschwindet, und eilen klamm und klirr in den Schutz von Jean Luc zurück …
Die erholsam unprotzige Dresdner Neustadt begrüßt uns mit lichtüberspannten Straßenzügen, wir parken neben einer zwischen 2 Häuserblocks eingezimmerten Glühweinhütte und eilen Richtung Jaipur um uns bei heiß gewürzten indischen Speisen in den wahlweisen Geschmacksrichtungen vegan, vegetarisch, fle-isch vom Winter zu erholen. Durch das Fenster wird das Ende des Schneegestöbers beobachtet, der Geist taxiert die Glühweinhütte. Danach begeben wir uns auf den Vorplatz der Scheune, auf der ein alternativer Weihnachtsmarkt mit einem offenen Feuerbottich lockt und lassen uns durchräuchern. Nach einiger Zeit erst können wir unseren Blick von der Feuerstelle lösen und beginnen die Umgebung abzustreifen.
Wir blicken umher und nehmen vor Überraschung geschockt ein märchenhaftes Artefakt wahr, das sich mit einem leisen Pling hinter uns materialisiert hat. Einen marinblau angemalten Mini-Camping-Anhänger mit hübschen runden Kürvchen. Auf ihm blinkt ein großes K. Rund um ihn wild laufende bunte Lichter, und davor ist ein kleiner Kinosessel, Tischchen, und auf dem Tischchen eine Rolle Abrißkärtchen. Ein glücklicher Besitzer mit langen Haaren und dicker Mütze wird von unserem Stauneblick angezogen und erzählt von seinem Projekt, seiner Mission, den Kurzfilm zu protegieren, mit diesem kurzen Wohnwagenanhänger, in den er 5 breite Kinosessel eingebaut hat, den Kurzfilm in alle Städte und das Land zu tragen. Der Blick hinein ist verzückend, doch unser Geist nicht beweglich genug, um zwischen Feuerbottich und baldig beginnendem Konzert noch einen Kurzfilm unterzubringen. Doch alsbald sind auch ohne uns alle Tickets restlos ausverkauft, und wir begeben uns in die Scheune.
Im zweiten Stock erwartet uns erst eine lange Bar und wenig Platz, links und rechts davon jeweils ein Durchlaß in den eigentlichen Konzertraum, der eine optimale Größe offenbart. Ein Frau mit Pagenkopf, retrofein gekleidet, schrammt einzelne rockige Klangwellen aus ihrer E-Gitarre und singt zwischendrein recht exzentrisch. Der Klang einzelner Silben erinnert an Therese Aune und es wäre nicht verwunderlich käme sie aus Schweden. Im Gespräch während des Umbaus sehe ich hinter uns einen Opa der in einen thermischen Aluumhang mittelalterlichen Schnitts gehüllt ist. Moneybrother betreten mit entspannten Schwung die Bühne. Herr Wendin trägt schwer fassbarer Weise kein hochgekrempeltes Karohemd, sondern ist in schwarz gehüllt. Doch sein Gemüt und seine Stimme sind sonnig wie je, die Stimme turnt über die Bühne, schmachtet, leise, brüllt, laut, wispert, quietscht und kaspert mit den anderen Stimmen auf der Bühne umher. Dem Publikum wird geschmeichelt, gedankt, herzukommen, an einem Sonntag, in einem Schneesturm, und versprochen aus diesem Sonntag auf den unweigerlich ein früher Montag folgen muss einen Samstag Abend zu machen. Opa in silbernem Aluumhang hinter uns freut sich, lacht brummend tief und rasselt an zur Musik passenden Stellen.
Die Dame die das Vorspiel übernommen hat, steht nun in anderer Gewandung an der E-Gitarre und übernimmt neben den choralen Whooo-hooos und Ahhaa-haas die in jedem Soulska-Blues-Gemisch zum Gute-Laune-Wohlfühlklangteppich gehören, auch in überzeugenden Schauspiel den Part der Frauenstimme in It might as well be now, nie hatte man live eindrücklicher das Gefühl ein Paar in einer Kneipe zu beobachten, das sich nach langer Zeit wieder in die Arme fällt, auch wenn einem so das Vergnügen entgeht einen der männlichen Barden in quietschig verformter Stimme die Frau mimen zu sehen.
Auch an anderer Stelle hat die Besetzung gewechselt, doch retrovertierter Show-Stil wird im Aussehen gewahrt. Am Blech steht nun in so greller doch dezenter Schminke wie in Manche mögens heiß ein Mann der eher südländisches Flair und stolz gereckte Körperhaltung versprüht und sich beinahe noch exstatischer an allen Clownerien beteiligt, abwechselnd mit Wendin in das gleiche Mikro schreit und heißer flüstert. Der Pianist wird aber wieder erkannt, und in einem kurzen Medley klimpern auch die ersehnten Tastenabwärtssprünge auf. Das Tastensliden wird in einer faszinierenden Doppelwellenwischtechnik vollführt.
Drei wie gewohnt ausgiebige Zugaben später, die Beine durchgewippt, das Herz voll Sommer und leichtem Leben, und mit tausenden Danken vom Bandleader versehen wird das Publikum gestärkt in den Winter entlassen. Jean Luc schwebt nach Leipzig, nun nicht mehr durch Nebelschwaden, sondern durch eine winterliche Landschaft bei nachtklarer Sicht, über die sich rot glimmendes Pol-Licht wölbt, das in den letzten Dunstresten glüht.