Expedition langes Eiland | 24.05 bis 2.06 | II
ein unmöglicher Forschungsbericht fantasiebegeisterter Dilettanten
Samstag. Die Mitglieder des Institutes Göritz versammeln sich frühmorgens auf den Bahnsteigen des Leipziger Bahnhauptgebäudes. Der Wind weht bei eisiger Witterung, klirrende Kälte, doch in den Herzen der Expeditionsteilnehmer schlägt allein in wissenschaftlicher Begeisterung die Vorfreude auf die zahlreichen Entdeckungen. Die Stimmung ist gehoben. Noch weiter, weiter nach Norden, arktische Bedingungen werden unser sicherlich harren und unsere Tapferkeit einer harten Prüfung unterstellen.
An dieser Stelle ist es wohl üblich ein paar Worte über die Ausrüstung zu verlieren. Als Leichtforscher haben wir uns mit unserem Gepäck natürlich sehr zurückgehalten. Lediglich den Wagen 9 der transnordischen Eisenbahn haben wir dafür reserviert, und ganz knapp passt auch alles hinein. In unserem Gepäck befindet sich: diverse Fachliteratur, Mikroskope, die natürlich enorm empfindlich sind und dementsprechend gut gelagert und daher in mannshohe Sperrholzkisten ausgepolstert verpackt wurden, Kameras, ein Fernglas, eigene Aufzeichnungen die in Vorbereitung der Expedition getätigt wurden, der zu erwartenden Witterung gemäßes Schuhwerk und andere Bekleidung, Kompaß, Landvermessungsgeräte, und das Noob, unsere androide Quotenlebensform … und Verpflegung die uns über die lange und beschwerliche Anfahrt am Leben erhalten soll. Im Ort wollen wir uns dann neu eindecken. Der Institutsleiter hält weiter an seinem Vorhaben fest dass allein vor Ort die besten Fischernerzstiefel zu bekommen seien, jahrtausendealte Tradition und Erfahrung, und er es unsinnig findet sich mit sicherlich schlechter verarbeiteter Ware bereits auf dem Festland einzudecken.
Man möchte meinen die Anreise werde nun genutzt um die verschiedenen Forschungsziele, die sich ein jeder von uns gesteckt hat, eingehend zu erörtern. Weit gefehlt. Einem jedem von uns sind seine Ziele von monatelanger Vorbereitung so verinnerlicht, dass es nicht mehr nötig ist darüber zu sprechen. Und so vergeht die Fahrt bei angenehm dahinplätschernden Geplänkel, wie es bei Leuten üblich ist, die einen Großteil ihres Lebens gezwungen sind auf engstem Raum zusammen ihr Forscherdasein zu fristen, und sich dennoch wohlgesonnen bleiben. Freilich setzt die wissenschaftliche Beobachtung trotzdem nie aus, und so tauschen wir uns später, in simultan getätigter Beobachtung, über die in diversen geometrischen Formen zugeschnittenen Buchsbäume (lat. Buxus sempervirens) in den Gärten der Einheimischen aus, die sich über das weite flache Land verteilen. Auch die Grashöhe, die durchweg nur innerhalb einer sehr geringen Schneidhöhentoleranz changiert, wurde übereinstimmend bemerkt. Eine psychoanthropologische Untersuchung über das warum wird als spannendes Thema für spätere Untersuchungen festgehalten. Im Ort entdecken wir direkt gegenüber dem Supermarkt sogar ein parkähnliches Gärtchen mit einem unendlichen Fundus an zugestutztem Formenspiel.
Überfahrt. Regen hat eingesetzt und der Wind peitscht die stürmische See über das wabernde Deck. Doch die Luft. Diese fantastische Luft! Man möchte fast alle Forschungsziele fahren lassen und sich die gesamte Expeditionsdauer allein dem Atmen hingeben.
Es ist eiseskalt. Trotzdem möchten drei von uns, nur der Abenteurer winkt müde ab, schon soviele Male war er oben auf den Decks irgendwelcher Schiffe Aug in Aug mit den Elementen als dass es ihn noch sonderlich reizen würde, sich die mit lautem nautischem Toooten begleitete Ausfahrt aufs Meer nicht entgehen lassen. Jedesmal ein erhabener Moment, oben auf dem sturmgepeitschten Deck zu stehen. Mit eisigen Fingern krallen wir uns an der Reling fest, der Blick in die Ferne, in das geschichtete und gegischtete dunkle Grau über das sich das grau lichtdurchwobene Grau des Himmels legt. Umsegelt vom Gekreisch der Möwen, und die frischeste, um nicht zu sagen, die fischeste Luft des Erdenrundes in der Nase, in den Haaren, in den Gliedern, belebter Geist, doch meine Zehen gefrieren, genug, ich begebe mich unter Deck.
Unser Quartier liegt günstigerweise direkt neben der Bahnhofsstation dieses kleinen Forschungseilands. Nachdem wir unsere Tonnen an Gepäck angemessen verteilt haben, dem Institutsleiter war vor allem das schnelle Einrichten der Bibliothek wichtig und er duldete hierbei keinen Aufschub, eilen wir knurrenden Magens in das Lebensmittelgeschäft, die Fahrt war lang, und unsere Nahrungsvorräte haben kaum gereicht.
Zum Glück war ich mit dem Abenteurer vor zwei Jahren schon auf Vorexpedition hier, um das Terrain und die Bedingungen für diese, viel größere Expedition, zu prüfen, und wir können unsere Kollegen zielgerichtet führen, was allerdings durch die andere Lage der jetzigen Unterkunft, den Regen, und die durchgehende Backsteinfarbgebung heikler wird als gedacht. Trotzdem muss die Karthographin nur wenige Anpassungen der Route vornehmen, und wir befinden uns im gut ausgerüsteten Inselkontor. Morgen soll noch ein Ruhetag sein, die Händler haben in der Kultur der Einheimischen an diesem Tag ohnehin geschlossen. Und so wählen wir uns exquisite doch einfach zuzubereitende Expeditionsnahrung, Pasta, Tomatensoße, für den heutigen Abend, und planen für morgen ein sonntägliches 3-Gängemenü, das Kartoffelstampf mit Bratensoße inkludiert.