Godspeed You! Black Emperor | 5.08.13 & 6.08.13 | UT Connewitz

Werte Dame C., ich habe von Ihnen geträumt!

Wir standen am Küchenfenster des Paul-Gruner-Institutes, und mein Blick ging glücklich über den weiten tiefblauen See hinweg. Ich teilte Ihnen mit, wie sehr mir die Aussicht aus Ihrem Küchenfenster gefällt, wie grandios es ist, auf diesen wunderbaren marineblauen See zu schauen, auf dem sommerliches Getummel herrscht. Nicht weit vom Fenster trieb aufrecht eine kleine Gruppe in Tauchkleidung im Wasser, einen kleinen Kreis um einen Strudel bildend, ihrem Blick folgend erkannte man einen kleinen Orca, schwarzweiße Flecken im Wasser. Wir haben uns ekstatisch über diesen Anblick gefreut. Erst nach dem Aufwachen wurde mir klar, dass es ja gar kein See ist, den man von Ihrem Fenster aus sieht, sondern dass der Blick auf das Meer geht …

Vorband Tag 1. Zwei Mann. Einer an einem zugekabelten, kastenbeladenen Instrumententisch. Der Andere an einer Miniaturgitarre. Sphärische, elektronische, wabernde Klänge, aus den Kehlköpfen dringen hohe Kopfstimmen, erinnern an Twin Peaks, die geisterhaft entrückte Frauenstimme, nur diesmal von Männern gesungen. Zwischen den wabernden Momenten wetzt und schleift sich nervenzersetzender Krach ausgedehnt ins Gehirn, dann ein leichter americanahafter Gesang, der durch mehrere Effektgeräte verzerrt, an und abschwellend im Ton, nur noch wie der Nachhall aus fernen Zeiten und Welten zu einem dringt, und das Bild aus The Stand heraufbeschwört, als 4 Männer nach Westen aufbrechen, zu Fuß, um sich dem Bösen zu stellen. An anderer Stelle schiebt sich der Gesang an David Bowie erinnernd sehr geschmeidig über die rauhe Krachkonstruktion, aufgrund einer verzerrten Sitzperspektive kann nur im darauffolgenden Zwiegespräch mit Sicherheit geklärt werden, dass der Gesang der Operndiva vom Band und nicht vom hinter seinem Tischchen sitzenden Musiker stammte. Es wäre zwar hocherstaunlich aber nicht vollkommen abwegig gewesen. Alles in allem erscheint die Vorband im Vergleich zum äonendauernden, am Schädelknochen wummernden, Galaxien schlurzenden Waschmaschinengetöse von Kevin Doria, damals bei Gy!be in Berlin, 2011, geradezu eingängig und abwechslungsreich, wenn dies auch manchmal, und in diesem Fall auch ganz bestimmt, zwei äußerst relative Begriffe sind.

Gy!bes Musik ist wie die Wellenmassen im Ozean. Weit draußen bilden sie sich aus, von Horizont zu Horizont graublaue glatte Fläche, träge, sanft, langsam. Ewig und Unendlich. Unter der Oberfläche ein hoch wie lang tönender Walgesang. Buckelwale und Orcas, der ein oder andere Metallwal darunter. Von einer Himmelsrichtung weht irgendwann ein Luftzug heran, eine Ankündigung, erst leicht, wird vehementer, bis er sich zu einem Sturm auswächst, der die Wellen in elektrisch verstärktverzerrtem Gitarrenklangrauschen immer höher auftürmt, hin und herreißt, peitscht, Strudel bildet, aufwühlt, tosende Lautstärke, alles ineinander wirbelt, vermischt, Balken zerschreddert, die Wellen vor sich hertreibt, immer weiter, darin schweben und schweben die langezogenen rausüßen Violintöne, in all diesem gewaltigem Klang, bis der Sturm die Wellen ausspuckt, losläßt, er hinter ihnen liegt, und sie, geläutert, gereinigt, ausgelaugt, still und friedlich an einem sonnenbeleuchteten Strand auslaufen.

Das Meeresgefühl, und das der Witterung, hat (natürlich!) nichts mit den Reminiszenzen an Conny Island zu tun, rührt nicht daher. Nichts mit dem Thema von Lift your skinny fists like antennas to heaven. Höchstens insofern, als Gy!be mit diesem Album andeuten könnten, dass sie die Inspiration für all ihre Musik aus der Natur ziehen, und sie daher in ihr wiederscheint. Von dort kann auch nur kommen, was an an das Innerste des Selbst rührt.

Entstehung als ewiges Motiv. Die Faszination der Frage, woher kommt alles, wie entwickelt sich das Leben, ein Gedankengang, die Fantasie.

Im Einstiegsdröhnen und auch zwischen zwei Stücken, wenn der Kontrabassist mit einem Handtuch sein Instrument trocken rubbelt, herrscht Andacht im Publikum.

Auch bei relativ guter Sicht auf die Bühne, ist es schwer möglich die verschiedenen Klänge eindeutig ihren Quellen zuzuordnen, die langgezogenen, hohen Sirenentöne, von der Geige, den Gitarrensaiten die mit Schraubenzieher, Fingermetallumwindung oder Geigenbogen gespielt werden? Die plingenden Klänge, vom Xylophon, der Gitarre, vom Band? Oft, während der Sturmphasen, auch im ersten Stück, das mit seinen nahöstlichen schnellen Weisen und Temperament an Albanian erinnert, läuft tosend alles ineinander, und nur hin und wieder ist wie ein zartes Band dass sich durch all diesen Krach windet, dabei nirgends anstößt, die Violine zu vernehmen, das Innere zieht sich süßschmerzlich zusammen während man sie mit Herz und Gehör verfolgt auf ihrem Schlängelparkour wie einem Schmetterling. Die von den Saiteninstrumenten gestrichenen Melodien wiederholen sich in unendlichen Schleifen, graben sich immer tiefer ins Gehör, bauen dort ein Nest, ziehen quietschenden Nachwuchs groß, Generationen über Generationen vergehen im bittersüßen Klang, der sich aus der so angenehm einschlummernden Dissonanz ergibt, schleifend, wimmernd, andauernd, auszuhalten.

Die Musiker sitzen in ihrem Instrumentenwald wie kleine Geister, Waldvolk. Der Wald ist an einer prominenten Stelle im persönlichen Olymp angesiedelt.

Aus einem monotonen langdauerndem Nichts sprießt in einem Mal ein wirbelnd wild blühender Garten.

Eine leichte Gitarrenmelodie, die Greifhand des Gitarristen tanzt wie die eines Pianisten bei einem barocken Stück leicht federnd über den Steg.

Dazwischen hämmern die Schlagzeuge mit getakteter Wucht. Geben halsmuskulaturanregende dumpfe, abgesetzte Schläge vor.

Herbe Töne aus dem Kontrabass mischen sich mit denen der Violine.

Die Musik füllt den Körper immer weiter mit Energie, lädt, bis zu einem nicht überdrehten sondern kontrolliert aufgeladenen, angefülltem Gefühl, das sich über, unter normalen Umständen nicht erträglichen, Randbedingungen eines sommerlich überhitzten und luftfeucht geschwängertem Konzertraums, hinwegsetzt, man kann den Körper still halten, dann schwingt die Musik von einer Körperwand zur nächsten hallend wieder, oder man gibt ein bisschen nach außen ab, und die Schwingungen tragen eine Bewegung nach außen.

Aus der Erinnerung zieht die ebenfalls schier nur knapp erträgliche Schwülsommerkonzerterfahrung des Logh-Konzerts vorbei. Die auch damals triefenden Musiker und die daraus noch triefendere Wertschätzung, dankbarkeitsgesättigt, dass sie bei diesen Bedingungen ihre Musik darzubieten.

Die Anfrage nach passender Bekleidung für das morgige Konzert wird übereinstimmend mit dem Begriff Saunahandtuch, Farbe egal, bestimmt.

Nach einer zufriedenstellend lang und lautschreiend herbeiapplaudierten Zugabe endet Part I des Konzertes. Gefühlt kurzweilig, doch diesmal mit der umborgenen Gewissheit, dass am nächsten Tag eine konzertlange Zugabe erfolgen wird. Nach einer kurzen Luftpause. Die Klanggeister, insbesondere die, die die Violinmelodien in sich bergen, begleiten den Nachhauseweg, die Nacht und den nächsten Tag, eingenistet im Gehör. Die Welt? Der Alltag? Irgendwohin entrückt, möglichst fern bleiben.

Abend zwei. Der Weg ins UT führt durch ein imposant regenbehaftetes Unwetter, der Himmel hat eine seltene Dunkelgrautiefblautönung angenommen, es ist frisch. Doch innen umfängt einen die behaglich feucht abgestandene Wärme vom Tag zuvor.

Vorband zwei erinnert in ihren Auswirkungen schwach an Herrn Doria, ist aber weit davon entfernt seine quälende Brillianz zu erreichen. Der Mann am Werkzeugtisch besitzt ein interessantes Gerät an dessen Drehknopf er oft feinste Kalibrierungen vornimmt, die zu nicht wahrnehmbaren Veränderungen führen, die im Sichtfenster einen Balken vertikal bewegen, und unweigerlich einem Radio zu entstammen scheinen. Vielleicht ist es ein Radio! Einmal beißt er in ein Kabel an dem ein Mikrofon baumelt, so wie ein Hund glücklich einen Knochen oder Ast trägt, und klimpert unter dem Mikrofon mit einem Schlüsselbund. Seine beiden Begleitgitarristen müssen so oft Veränderungen an ihren Effektgeräten vor-, sowie Loops aufnehmen, dass sie mitnichten dazu kommen mehr als ein, zwei Schläge an ihren Instrumenten abzusetzen.

Ein Naturgesetz hinsichtlich Gy!bes Einstimmungsbands drängt sich auf. Kurze Zeit später, nachdem die guten Geister schon vereinzelt über die Bühne schwiffen um ihre Instrumente zu prüfen, setzt das Dröhnen ein. Die Erwartung klopft.

Der Blick reicht heute ausgezeichnet zum Schlagzeug links außen und dem Xylophon, zudem längs an der Vorderkante der Bühne bis ganz nach rechts zum Gitarristen der mit dem Rücken zum Publikum heimlich klampft, und gefühlt noch heimlicher neben der Verstärkerwand kauernd, nun beobachtet werden kann, und erhascht hin und wieder die Dame an der Violine. Der rote Gitarrist entzückt durch Rücken und Blick auf seine vor seinem Stuhl aufgebauten Effektgeräte.

Das erste Stück ist bei weitem ruhiger als das vom ersten Tag. Von der Leinwand flackert Hope, dann Ansichten in schwarzweiß aus Zugfenstern, es geht über hohe Strecken beinahe fliegend über kleine Dörfer hinweg, und immer wieder verschwindet die Sicht in Tunneln. Der Violinklang ist vorherrschend, klingt klassisch, Wien blitzt irgendwie auf, um die sacht auf und ab wiegende, tanzende, Violinmelodie, brausen die anderen Instrumente an und ab, wie von weitem weht sie, echoend, verhallend an einen heran. Als würde man in einem finstern Garten, in einer stürmischen Nacht die durch die Blätter rauscht, aus in der Ferne erleuchteten Fenstern einem klassischen Konzert lauschen, die Präsenz der Violine steigt an, höher und weiter. Gy!bes Alben zu Hause zu lauschen ist überwältigend. Über das Staunen wie unfassbar grandioser, feiner, klarer und raumfüllender die Musik live klingt, insbesondere der Klang der Violine, ist wie bei manch anderen Bands kaum hinwegzukommen. Die Musik wirkt überirdisch. Die an- und abschwellenden Highhatvibratos die nun unmittelbar im Sichtfeld sind, verstärken die klassische Atmosphäre, die auch in ein oder zwei anderen Stücken des Abends hindurchklingt. Selbst in Stücken in denen es Brüche gibt, die vom Schema der nur leichten Umwandlung über die verstreichende Zeit der in sich fortdauernden Stücke abweichen, etwas völlig anderes mitten im Stück einsetzt, nichts fortgeführt wird, wirken die einzelnen Teile der Stücke wie aneinander angegossen. Wundernswert anders als das Abrupte bei Trail of Dead, die bei diesen Wechseln in das Gedächtnis einfallen. Bei, oder schon unmittelbar vor diesen Wechseln ist das Freudestrahlen des meist begeistert hüpfenden Schlagzeugers besonders groß. Noch stärker und mitreißender flutet ihn das Glück nur bei besonders kompliziert aussehenden Trommelreihen.

Irgendwann lassen sich die Gitarristen für ausgiebiges Effektgefrikkel auf dem Teppich nieder, und der Blick schweift nach hinten zu der diesmal mehr als sonst von Logenvolk gefühlten Ballustrade hoch. Vier 16mm Filmspulenabspiel-maschinen sind im Zentrum aufgebaut und wirken wie schwarze Schwäne. Mit einem ahahenem Wundern wird beobachtet, wie hin und wieder eine hauchrötlich getönte Glasscheibe oder eine abdeckende Hand sich vor den Lichtstrahl schiebt, und so in bester Diamond Road Show-Manier die ablaufenden Bilder auf der Leinwand live effektifisiert.

Eins der vielen Meisterstücke. Ein weiches, karibisch, surfendes, strandidyllisches Abwärtsschrammen der hoch plingend eingestellten Gitarre, durch das sich tiefe körperliche Ruhe ausbreitet. Nachhallende Stille. Gefolgt von vier einzelnen Anschlägen*. Drumherum setzt die Musik der anderen Instrumente ein und aus, aber das verschwindet in der Erinnerung zu gleichsam unterbewußter Wahrnehmung. Eine Aufzeichnung hingegen holt ein durchdringend wabrig quietschendes Geräusch hervor, das dazwischen fährt, wie von einer außerirdischen, nicht wohl gelaunten Wesenheit, die vom Rand des Weltalls, dem Vakuum ein bremsenquietschendes Pfeifen entreißend, auf die Erde zurast um in Derry aufzuschlagen. In weiten Abständen werden die vier einzelnen Anschläge in leichten Variationen wieder und wieder gesetzt. Man fühlt bereits die Melodie die sich daraus in weiter Zukunft bilden wird, doch dort ist die Musik noch lange nicht. Wieder vier nur leicht gewandelte Töne. Und wieder, und immerzu weiter. Bis sich viele dieser Töne zu einer fiedelnden Melodie zusammenschieben, und irgendwann noch später wird die Gitarrenmelodie von Stimmen, kaum hörbar, wie ein unsicherer Hauch, die Sänger wie selbst verzaubert, aufgenommen, bevor all das wieder in einem Strudel aus Schlagzeugen, Gitarren und Streichinstrumenten fortgetragen wird um schließlich am einsamen Strand auszulaufen.

Das Gefühl des Glücks Gy!be an zwei Tagen in Folge in diesem kleinen Raum in so großer Nähe erlebt haben zu dürfen war in jedem Moment vollkommen.

* Sie verursachen ein Gefühl, das dem nicht unähnlich ist, das sich bei Claire de Lune ausbreitet

Kommentare
  1. The Passage » Rue Royal | 2.11.13 | UT Connewitz · November 17, 2013 @ 12:50

    [...] der Abend von Miss Kenichi und Band. Das Intro setzt einen frei verloren um Wochen zurück, als Godspeed! You Black Emperor auf der Bühne standen. Aus der Gitarre links hoch verschimmende verzückende Wabertöne, die [...]

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