Wovenhand | 18.04.2015 | UT Connewitz

Auf den Stufen eines kirchlichen Portals hat sich eine kleine Sippe Hominider zum Verspeisen ihrer soeben im Deli erbeuteten Abendmahlzeit niedergelassen. Wir wollen sie nur von Ferne beobachten und ihnen lieber nicht zu nahe kommen. Sie sprechen nicht. Ein jedes Angesicht ist tief in das die Speise umgebende Wachspapier versunken. Andächtig schmatzende Stille. Auffällig ist auch dass sie sich in relativ großen Abstand zueinander gesetzt haben, aus noch zu untersuchenden Gründen. Futterneid? Angst besudelt zu werden? Wunsch in gewissen Situationen im Leben ganz für sich allein zu sein? Ein wenig von alledem? Wie dem auch sei, es scheint eine geradezu zeremonielle, wenn auch unbewusst getroffene, Entscheidung, die sich tief mit Bedeutung aufladen läßt, eine Art leibliche Kommunion im Vorfeld der unmittelbar bevorstehenden – ein schmiedeisernes Kreuz an einer Halskette blitzt auf – Geistigen. Denn die vier Hominiden werden gleich beobachtet werden, wie sie – eine bemerkenswert fortgeschrittene Kulturtechnik – die Überreste ihres Mahls feinsäuberlich in den Futtertüten zerknüllt verstauen und sodann in einem nahe beistehenden Blecheimer verwahren, um dann …

… einem ihnen heiligen Platz im städtischen Steindschungel zuzustreben, an dem sich bereits viele andere ihrer Art versammelt haben. Es ist ausverkauft.

David Eugene Edwards singt sich durch eine schwermetallene Gewitterfront hindurch zum UT, seine Stimme durch die Naturkräfte eines sülbernen Mikrofons verzerrt ist beständig ruhender Grundton, manchmal nur erahnbar, hin und wieder dringt sie klarer durch das elektrische Getöse.

Was anderen Sängers Ausdruckskraft empfindlich mindern würde, ist für Animateur Edwards kein Verlust. Hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung zu Gestikulieren oder Gitarre zu spielen, zeigt sich die ganze Bandbreite seiner Mitteilsamkeit, die gewebte Hand zieht in Wellen an seinem Gesicht vorbei, kreist über seinem Geist, knufft ihn in die Seite, oder reißt seinen Kopf an einem unsichtbaren Haarschopf zurück. Der sich ausbreitende Kranich von dem später berichtet wird, ist der in so vielen Eindrücken schwimmenden Aufmerksamkeit leider entgangen. Das Eigenleben der Hand erklärt vielleicht auch die manchmal etwas irritierte und ferne Mimik eines Mannes, dessen Geist in mindestens zwei verschiedenen Welten zugleich lebt, und dessen Musik ein urtiefwurzelndes Gefühl von der Welten Einklang mit seinem Schöpfer innewohnt.

Von Wundern wie der während des Spiels vom Schwerstrom entstöpselten e-Gitarre die trotzdem im Klang unterschiedslos weiterspielt, wird noch über viele Mondphasen hinweg in den Lagerfeuern der Stadt erzählt werden. An einer Stelle faucht wie eine Vorausahnung das vielfach verstärkte Geräusch, das sich nach lauten Konzerten so oft beim Drehen des Kopfes in den eigenen Ohren entfacht, von der Bühne. Holzklackernde Trommelklänge an einer anderen, und für zwei oder drei Stücke der Wechsel zum Banjo lassen kurz andere Inkarnationen von Woven Hand aufflackern, doch sie alle werden sehr bald im Blechsturm begraben, in dem silbern diverser teils funktioneller Zierrat aufblitzt, das Kreuz am Halsband, das Chrom, insbesondere der Vibratohebel, an der bordeauxroten e-Gitarre und an Mikrofon 1. Mikrofon 2 wird diesesmal allein für die direkte Ansprache des Publikums „thanks for clapping“, und einen längeren Satz der in einem kleinen Beiwort der Schönheit des UT Tribut zollt, genutzt.

Der Wunsch des Kollegen A. mal wieder auf ein Konzert zu gehen bei dem man so richtig durchgespült wird, wurde somit nicht nur durch die Vorband – Marriages, ein schneller Bass, ein schwer beschäftigter Schlagzeuger der offensichtlich beim Bühnenaufbau als letztes kam, und für sein Instrument nur noch direkt in vorderster Front vor dem Publikum Platz fand, hinter ihm das Gebirge des wovenhandschen Schlagzeugers aufragend, und zudem in seinen gestischen Versuchen vermittelnden Kontakt mit dem Tontechniker herzustellen in jeder Pause zwischen den Stücken von Neuem scheitert, dabei aus einer Fülle verschiedenartigster Zeichen schöpfend, doch die Zeichen, das könnte ihm Herr Edwards in einer ruhigen Minute sicherlich erklären, sie müssen klar und einfach sein, so wie Wind der durch ein Blätterdickicht rauscht, und eine zierliche Sängerin mit sehr eigener Stimme, ein wenig an Tori Amos erinnernd, doch dabei von manchen als zu quengelig empfunden, die aufgrund irgendeiner fern verwandten Ähnlichkeit in der Ausstrahlung den Wunsch weckt wieder einmal the Scanners zu hören – bereits aufs ohrenbekitzelndste erfüllt, sondern von Woven Hand vollends erlegt und ausgeweidet.

Noch nicht ganz taub pirschen wir uns durch die fremdartig belebte Welt einer aufgerissenen Stadt an den verschiedenen Volksstämmen des Karlibebens vorbei zurück zum Institut und weiter in den Wald. Aus der Geisterwelt heimkehrende Seelen. Nagend bleibt eine Frage zurück. Wie werden wir wieder an unsere Ébôlá-Kassette gelangen?

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Zurückliegende Eindrücke von Woven Hand 2008 und 2010.

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Interview & live-Aufnahmen

3 Kommentare
  1. Xela (Name geändert, ähem) · May 19, 2015 @ 20:05

    “Der Wunsch des Kollegen A. … bereits aufs ohrenbekitzelndste erfüllt, sondern von Woven Hand vollends erlegt und ausgeweidet.”

    Was für ein wahnwitziger Schachtelsatz ist das denn und warum lese ich ihn erst jetzt!!?? Einfach Grandios!

    Im Übrigen wünsche ich mir zu meinem nächsten Geburtstag eine David Eugene Edwards Actionfigur, zur spielerischen Nachahmung der typischen David Eugene Edwards Gestik. Nur damit wäre eine gewisse Tasse noch zu toppen, deren aufgedruckte Kernaussage ich bei jeder passenden Gelegenheit an den neuen PGI-Mitarbeiter vermittele, der euch alsbald begrüßen wird mit den Worten …, …, ………!!!

  2. admini · May 19, 2015 @ 20:13

    “an den neuen PGI-Mitarbeiter vermittele, der euch alsbald begrüßen wird mit den Worten …, …, ………!!!”

    Nein!

  3. admini · May 23, 2015 @ 19:13

    Hr. Walte gab den Hinweis auf eine weitere Dokumentation: 16horsepowersjung

    https://www.youtube.com/watch?v=_0lZdfyAYZI

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