Marilyn Manson, Karl Monrock, Morilyn Marson et al. | 6.11.15 | Haus Auensee
Der Abend beginnt mit einer mysteriösen Begebenheit am Bahnsteig, Leipzig Hbf. Nicht nur mit jemanden aus Berlin auf den Berlin-Zug zu warten, der jemanden aus Leipzig nach Leipzig bringen soll, nein, der Berlin-Zug ist auch noch, relativ bezogen auf die erwartete Person, leer.
»Don’t look behind you, l’inspecteur is ahead of the times«
Aus der Straßenbahn nach dem bewährten Schema »blind der Menschenmenge folgen« an unser Ziel gelangend, treten wir in die unteren Räumlichkeiten des Haus Auensee ein. Der Türwächter nimmt, kurz abgelenkt, unsere Eintrittsbillets nicht in Augenschein. Es ist unheilvoll voll. Spätere Recherche in einem Bericht einer Lokalzeitung liefert die Zahl 3 300 dazu. Man füge eine dritte Drei an und nehme mal zwei …
Auf der Suche nach den bereits vor uns eingetroffenen Freunden gilt es weiterhin einen äußerst rätselhaften Hinweis der über das Kurnachrichtensystem eingetroffen ist zu entschlüsseln. Mittig, eher links, auf der drittletzten Stufe. Stufe? Seit wann gibt es hier Stufen? Das nicht einordenbare der Nachricht ignorierend, seit je bewährtes Mittel menschlicher Wahrnehmung, begeben wir uns in den mittigen, eher links befindlichen Teil des Saales, um bei einem Blick zurück über uns die Empore zu erhaschen. Die Empore, ach na klar, wir hatten uns ja beim abgesprochenen Bestellvorgang auf Emporenkarten verständigt. Zumindest ein Teil von uns. Und so sehen wir uns dem das Emporen-Parkett-Dilemma gegenüber; eine 50%-Verteilung von vier Karten; es ist eines jener Dilemmata, die nur, und einzig, von der noblen Geste eines Gentleman gelöst werden können, dabei selbstlos in unmittelbarer Nähe einer späteren Schlägerei und eines halbnackt beleibt schweißfilmnass tanzenden Briten verbleibend. Und so ersteigen kurze Zeit später zwei kurze Damen die Außentreppen zur Empore um sich der erhabenen zweiten Konzertbesuchsgruppe zuzugesellen.
Oben auf der Empore ist es aufgrund des aus dem unterem Deck aufsteigenden Eisnebels ein Gefühl wie auf dem obersten Deck der Titanik, vielleicht nicht kurz vor dem Untergang, doch kurz bevor der Eisberg … bei dem Nebel kein Wunder, gerammt wird. Entgegen des zumindest schiffdecks angenehmen Klimas dort, erinnern die klimatischen Zustände auf dem Oberdeck der Auensee jedoch eher an ein türkisches Dampfbad.
Nach recht langem Warten zeigt ein Verdunkeln der rauchschwangen Bühne an, dass Marilyn Manson, dessen Name in einem akuten joyceschem Wahnfall im weiteren Verlauf einer beständigen Wandlung unterzogen werden muss, Twiggy Ramirez, als einziges weiteres Mitglied noch der ursprünglichen Bandnamenskonvention folgend, Paul Wiley und Gil Sharone bald die Bühne betreten werden.
Am Anfang war allein der Nebel. Es ist sehr wahrscheinlich dass schon zu diesem Zeitpunkt das bewusste Sein so neidvoll wie mitglücklich eine Fixierung auf die vier pylonartig aufragenden Dampfmaschinen erlitt, aus denen mit einem berückend satten Aufzischen zu dramaturgisch sinnvollen Zeitpunkten, und derer gab es zum Glück der Meinung des Inszenierenden nach augenscheinlich viele, dichte sicherlich einen Meter durchmessende Dampfsäulen gefühlt zehn Meter in die Höhe zischten.
Aus dem Nebel dringt eine Bandaufnahme, unbeschwert, 50er oder 60er, sanfter Rock’n'Roll? Etwas orgelt. Es wandelt sich. Nach und nach erfolgt eine vage Einordnung. Es ist eine Rede wie von einem Gospel-Priester, aber etwas biederer, konservativer, vielleicht, eher ein amerikanischer Wanderprediger, aus der Predigt dringt immer mal wieder etwas über die Wahrhaftigkeit des Satan hervor. Dann ein thematisch nicht unverwandter Wechsel zu Gangsterrap, plötzlich Klassik, Dampf, und dann der das Konzert einleitende Schrei des Meisters selbst, und hinter uns immer mal wieder ein kaum minder beeindruckendes Echo dieses Schreis. Man könnte sagen, der Auftakt, also durchaus, äh fulminant.
Die Bühne ist aus unserer erhöhten Warte meist so vernebelt und fern, dass nicht genau ausgemacht werden kann, was direkt an den Instrumenten geschieht. Doch immerhin wird berichtet dass bereits in Lied zwei mindestens drei Bierflaschen von Mary Manson umgekickt wurden, und jedesmal sofort ein mit der äußeren Reinigung beauftragter Roadie herbeieilte.
Der Meister M. Anson besticht vor allem anfangs durch seine dandyhafte Körpermimik unter geschminktem Antlitz, die das in Ermangelung eines Spazierstocks am langen Kabel Wirbeln des Mikrofons beinhaltet, das nonchalante kurze Umstubsen und artistisch galante Wiederaufrichten des silbern funkelnden Mikrofonständers durch Kraftausübung auf den Sockel, und ganz allgemein die Geschmeidigkeit der seit Jahren aus der Kunstfigur in Fleisch und Blut übergangenen Bewegungen und weitausholenden Gesten des Merry Mans. Nicht ohne Stolz ist daher festzuhalten, dass bei all dieser transvestalen Eleganz Mar Y. Manso kein einziges Mal mit der von Tim Curry verkörperlichten Figur des Frank N. Furter in verwirrende Überblendung gebracht wurde, auch, und das ist zu betonen, auch dann nicht wenn die tiefere Bedeutungsschichten eines Stückes es unabdingbar machten, dass Marn B. Warner längs der Bühne auf und ab schritt, was sich in der Erinnerung vor allem zu mObscene zugetragen hat.
Es ist in Introspektive nicht zu übersehen dass das soeben geschilderte Gehabe in Verbindung mit der unabdingbar Tanzfreude auslösenden pulsenden Energie der krachend klopfenden Musik und der beruhigend grimmen Ausdruckskraft der Stimme von Meister Marlyn nicht nur eine befreiende und aufgrund selbstbiografischer Verbindungen verjüngende Wirkung hat, sondern arglos, schlicht und ergreifend naiv ausgesucht gute Laune hervorzaubert, passend zur magierdunklen Gestalt von Mar Anson vielleicht auch das ein oder andere blendend weiß fluffige Kaninchen, so sweet!, und nichts weniger als ein Riesenspaß ist. Show, Glamour, Schein, Schabernack. Es ist beinahe als wäre die Sehnsucht zu einem Besuch eines Ghost B.C.-Konzerts gelangt. Vor mir erhasche ich dunklen Augenscheins wie mit wild und sehr ausgefeilt wirkenden Kopfbewegungen körperdurchschüttelt getanzt wird, die diese These auch für andere Individuen zu stützten scheint. Die Gestik symbolisiert und transponiert die auf die grundlegendste neuronale Funktion des Daseinsglücks eines homo sapiens reduzierte Aussage »ahhhhhhh! Ich flippe aus!«, selbstvergessen. einfach. wohlauf. Charlie Manroe kreucht, kullert und windet sich derweil über die Bühne und wirft Devotionalien in das zuhörende, zusehende und empfangende Publikum. Etwas kulminiert. Mary N. Son schickt sich zum Stage Diving an, und so ist es Auserwählten der ersten Reihe möglich einen Teil von ihm zu berühren, oder zumindest einen facialen Schuhabdruck von ihm nach Hause zu tragen.
Die Aktionen der anderen Bandmitglieder werden meist nicht ausgeleuchtet und können auch aufgrund der Ferne nicht wirklich ausgemacht werden. Auffallend war nur dass der Saitenmusiker rechts meist sehr überlässig nur die notwendigsten Bewegungen ausführend gesehen wurde, aber bei einem Lied, the Beautiful People möglicherweise, plötzlich bei mehreren Sprüngen beobachtet wurde; die zwei separat stehenden Trommeln wurden treibenden Rhythmus trommelnd mehrmals zum Einsatz gebracht.
Die Aufmerksamkeit bemerkt daher vor allem Lin. Y. Mans weiteres Spielzeug. Die Stelzen zu Sweet Dreams, inklusive Krücken mit denen man ein bisschen gestelzt auf die Hi-Hats schlagen kann. Die Kanzel die mit einem brennend aufgeschlagenen Buch bestiegen wird, um danach diverse verrenkte Positionen mit verrenkt gerollten Augen auf ihr einzunehmen. Und das Laserlicht das Yrlon Son umstrahlt, bekränzt, durchbohrt, umringt und illumiert. Naturwissenschaftliche Geister können wohl nicht anders als nach Gesetzmäßigkeiten zwischen Licht und Musik zu suchen, und diese dann findend zu verkünden, man fand die weißen, die grünen und auch die blauen Lieder gut, die roten allerdings nicht so. Synästhetische Erlebnisse könnten wohl oft auf einen weniger komplizierten Ausgangspunkt zurückverfolgt werden, würde man sie näher untersuchen. Allzu oft wird synästhetische Wahrnehmung vorschnell als Erklärung gezückt.
Zwischen den Liedern, Pausen der Dunkelheit, deren letzte etwas unvermittelt auch das Ende des Abends setzen wird. In ihnen spricht Linny Man recht gesellig mit dem Publikum, oder ist mit Vorbereitungen zu seiner nächsten, meist seiner vorangegangenen alles andere als unähnlichen, Inkarnation beschäftigt, um mal als Marlyn Son, Aryn Anson, A. Mar Manson oder Riley Mon zu erscheinen.
Nachdem Wochen in mangelhafter Vorbereitung vertändelt wurden zerschneidet am Tage des Konzerts im unmittelbaren Vorfeld des Kommenden ein erinnertes plötzlich einsetzendes und genauso schnell verstummtes e-Gitarren-Geräusch den in herbstlicher Sonnenandacht vor sich hinplätschernden Gedankengang. Eine Soundheimsuchung der Vorfreude. The Beautiful People, 0:22ff. Dies stachelt zuhause angekommen dazu auf sofort unabdingbar eifrig suchend nach den diversen in irgendwelchen Regalen befindlichen Alben von Mary Lynson zu suchen, was aufgrund der inneren Aufregung im Unauffindbaren mündend schließlich aufgegeben wird um sich endlich das digitale Archiv hochfahrend in einem wilden Hörrausch zu entladen, und erst als der ausgebildete Sortimentsbewahrer eintrifft und innerhalb von drei Minuten vier der fünf Alben aus den Regalen fischt einigermaßen zur Beruhigung zu kommen.
Beim nach langer Zeit Wiederhören stellt sich unmittelbar das nicht mehr erinnerte und damals vielleicht nicht begriffene Gefühl einer lynchen Konsistenz und Intensität der langsameren Lieder von Mansilyn ein, die live natürlich nicht/so sehr fühlbar ist, und trotz der düsteren Geräusch- und Soundbeigaben doch etwas Leichtes und Unbekümmertes hat. Als wäre hinter dem maskierten Mann noch immer die fantasievoll leuchtende Welt des Jungen verborgen, die er damals unter streng christlicher Erziehung nie vollkommen ausleben konnte. Ruft man sich wieder die Programmatik der ursprünglichen Bandnamenskonvention ins Gedächtnis, erscheint es noch klarer. Das Eigenwillige an der Musik von Marilyn Manson ist die Verbindung von etwas Gutem und etwas Schrecklickem. Und so umgibt sich in vielen der langsameren Lieder etwas zuckerklebrig Sirupsüßes mit dem Schauer nächtlicher Schwärze. Und in den weißen oder blauen Liedern die fröhliche Schönheit ausgelassener Tanzbarkeit mit diese Welt immer wieder zerreißenden und zersetzenden metallisch schrappenden Einsetzen der elektronischen Saiten.
Im nun schon knapp vor Konzertaufbruch fünfminütigen Einhören in das neue Album eine weitere Offenbarung. Es wirkt irgendwie groovend, chillig, meist. Ein gesummt brummendes ohhhmhhhahmmh fügt den Soundheimsuchungen ein beständig irritierendes smooth operator hinzu, und weist auf das über sich hinausgreifende Schaffen eines nicht in sich stehenbleibenden Künstlers hin.
So wäre es Miss Woolf würde sie denn statt literarischer Werke zeitgenössische Musik rezensieren sicherlich ein Anliegen die Aufmerksamkeit nicht auf das offenkundig mitreißend heftige, laute, krachende, schreiende, einschüchternde und provozierende der Musik zu richten sondern auf die feineren Nuancen der Stücke, die natürlich zu Hause rezipiert deutlicher hervortreten als in einem Hallenkonzert. Sie würde vermutlich darauf hinweisen dass das musikalische Werk und insbesondere dessen live-Inszenierungen als solches als hinlänglich bekannt vorauszusetzen sei, und daher nicht näher in seiner Gänze beschrieben werden müsse, da in dieser Beschreibung ohnehin nur Begriffe wie Theatralik und pompöse Inszenierung fallen würden.
Im folgenden würde die Schilderung sie mit sich hinwegtragen und sie würde trotzdem genau dies tun. Eine kurze Seitenbemerkung vielleicht darüber dass als etwas alleinstellend Typisches das nach oben weghüpfende Überschlagen der Stimme Carlyle Mansroes auszumachen sei. Dass die Musik als solche nicht besonders ausgefeilt durch technische Raffinesse besticht, es sind die immer gleichen wiederkehrenden Elemente, das wenn auch satte so doch simple Rockgeschramme der Gitarren, wummerndes Schlagzeug. Sondern vielmehr das sonmarnilynsche Genie darin besteht diese an sich recht einfachen Mittel in stileffektvoll berückender Wirkung zu arrangieren, die abrupten Wechsel, die machtvolle Stille zwischen den krachenden Einsätzen, das Ausborgen von Elementen aus allen Musikbereichen, das Beifügen von pfeifend quietschend sägenden Kreisch- und Störgeräuschen nahe an der oberen Grenze der Hörbarkeit, der Schwung und die zugrundeliegende so eingängige Struktur von Poprocksongs die geschickt verdüstert verborgen wird, vor allem indem über ihnen wie ein horizontweiter Schatten die Stimme von Mordorin Mansyn, schmeichelnd samtig flüsternd, dreckig knurrig, bis aufschreiend gewaltig brüllend, aufragt.
Es ist ohne Zweifel Musik die einen in eine andere Welt zieht. Gilt das nicht für jede Musik? Meinetwegen. Aber es ist eine von den spezielleren Welten. Eine der Welten in die man gerät, wenn man aus der wirklichen Welt ausbrechen möchte. Ein sich und alles Vergessen, kurze Augenblicke des Lebens außerhalb der Aufsicht des Ich. Wohl dem, der dies leichten Herzens aus Abenteuerfreude tun kann, und nicht aus Flucht vor einer ungenehmen Wirklichkeit. Doch mögen gerade diese Seelen in ihr Geborgenheit finden.