Chelsea Wolfe ::: A Dead Forest Index | 8.11.15 | UT Connewitz
The Dead Forest Index zimmern allein mit Schlagzeug, e-Gitarre und dem klaren oft radiohead-driftenden Gesang des Sängers Adam Sherry einen beeindruckend filigranen, dichten und intensen Klangraum. Es ist bereits der Raum in dem Chelsea Wolfe weiterspielen werden. Düsterer. Elegischer. Bombastischer. Dröhnender.
Zu The Dead Forest Index zu spät zu kommen und so nur noch drei der Lieder zu hören ist also nicht wenig ärgerlich. Aus lauter Frust darüber habe ich inzwischen die Bandcampseite so oft rauf und runter gehört, dass ich bis auf das Harmonium-Stück von keinem mehr weiß, ob es live gespielt wurde oder nicht. Und die zwischenzeitlich zurückgekehrte Erinnerung vor Wochen schon einmal hinein gelauscht zu haben, und sich gedacht zu haben, ei was für eine feine Vorband, schmerzt in etwa so wie nach einem Urlaub alles getane Fotowerk vernichtet zu sehen. Positiv ist hingegen zu vermelden dass sich die Musik von A Dead Forest Index hervorragend als Tröster jeglichen Seelenschmerzes eignet. Überirdisches sanftweiches Licht flutet das Ich und breitet sich durch die oft sakrale Minimalistik der Stücke weiter aus. Der Gesang hin und wieder mehrstimmig, also zwei, unterlegt, schwirrt und flimmert eigenwillig. Dagegen halten das in verhaltener Dynamik eingesetzte Schlagzeug und die zauberhaft retroklingende Gitarre die Verbindung mit dem Jetzt. Und nicht erst als der Klang des verborgenen Instruments im letzten Lied an Miss Aunes Blasebalgstandakkordeon — auf der UT-Seite wird auf Nicos Harmonium verwiesen — erinnert, steigt derselbe unwirkliche Nebel auf wie damals und umhüllt das gebannt lauschende Publikum.
Der Schlagzeuger heißt btw Sam Sherry und sollte es sich bei den beiden nicht um einen verbrüderlichten Künstlernamen handeln, so mag jeder Meier, Müller und auch Schmidt auf derart so klang- wie geschmackvollen Nachnamen neidisch schielen. Ich jedenfalls bin hervorragend eingestimmt und bereit für Miss Wolfe.
Doch dazwischen, der 24-saitige Lautenmann. Jozef van Wissem. Der ohne weiteres im Cast von Es ist nicht leicht ein Gott zu sein hätte mitspielen können und als Gimmick keine maryansen Rauchsäulen sondern eine von links nach rechts über die Bühne zischende Rauchschlange besitzt. Das Gerät an sich, die Möglichkeit Bass und Gitarre in einem Gerät zu kombinieren, fasziniert. Die Rauchschlange natürlich noch mehr. Seine Musik wird mit repetitiven Kompositionstechniken beschrieben, zyklisch sei sie, jawohl. Und als nach endlos gezupften Stücken eines schließlich in Gesangsuntermalung kulminiert, nicht aber einfach schnöde mit Gesang beginnend, nein, so könnte es jeder, vielmehr indem man sich bereits mehrmals schließlich doch stumm verbleibend zum Mikrofon gebeugt hat, um sich sodann wieder davon abzuwenden als sei das Unternehmen als solches ohnehin sinnlos, und doch zieht es die Stimmbänder unausweichlich immer wieder zum Mikrofon zurück, da wundert es nicht, dass es mehr oder minder, nur leicht gewandelt, die immer gleiche Textzeile ist, Do you — sometimes — want to – ((24x)), was ein uns benachbartes Mädel zu dem gutmütigem Ausspruch, »Komm, das hat er sich doch gerade ausgedacht« hinreißt, bevor die Textzeile abrupt mit einem – leave – abgewürgt wird. Ein merkwürdiges Spiel mit dem Publikum.
Soundcheck Chelsea. Vielleicht die Gelegenheit anzumerken, dass einen gleich etwas erwartet, was die Gedanken strudelnd um das Wort Sound kreisen lässt. Und wie passend das weiche, umfassende, raumfüllende, und doch laute, surrende, summende des Wortes an sich ist, wofür das deutsche nichts Äquivalentes zu haben scheint. Das norwegische sund klingt mit, und bringt natürlich ein anderes Bild. Ein kurzer Vokabelcheck ergibt dass »sound« im englischen ebenfalls auch [geogr.] für Sund oder Meerenge steht, doch es dem englischen einfach gleich zu tun, und von nun an zu sagen der Sund auf einem Konzert war ganz und gar überragend … nein.
Man wird weiterhin bedauern, dass es keine Möglichkeit gibt Musik nicht nur in ihrer Lautstärke zu messen, sondern auch in der Dichte ihrer Klangpartikel die den Raum füllen.* Aber vor allem wird man staunend, zufrieden, in Krach eingehüllt vor den Mitgliedern von Chelsea Wolfe stehen.
Wir stehen im Sound.
In einem Sound in dem trotz der umwerfenden Lautstärke trotzdem jedes Detail klar herauszuhören ist, dröhnender e-Bass, und sowieso das Schlagzeug, aber auch der Synthesizer, die beiden Gitarren und der Gesang von Chelsea und ihrer Bandkollegin an der E-Gitarre. Nichts verwischt. Es ist eine Perfektion die an Mogwai erinnert, und man ahnt nun wie es sich angefühlt hätte, hätte man Mogwai so nah in kleinem Raum erleben können.
Miss Wolfe in düsterer Hippykleidung und ebenholzschwarzem Haar ist eine bewegende Erscheinung. Trotz ihrer Größe und Stimmgewalt wirkt sie auch hauchzart zerbrechlich. Eine Wirkung die sich in ihren Stücken widerspiegelt. Neben ihr elfenhaft die zweite Gitarristin. Bassist, aus verschwommenen Augenwinkel durchaus mit einem mal wieder über irgendetwas in Enthusiasmus entfachten Dale Cooper zu verwechseln, und die in sich ruhende Energie des Schlagzeugers komplettieren ein Bild, das wie so vieles in letzter Zeit das Twin Peaks-Gefühl erzeugt, die Menschen, die Musik, hin und wieder scheinen auch zwei, vier langsam und bedächtig abrollende Töne direkt aus der Welt der Norfolktannen entnommen zu sein.
Der Sound ebbt an und brandet ab, wie von einem Hubschraubergeräusch in einzelne Quantenstücke zerteilt und gestückelt. Kein Rauch flutet die Bühne. Nichts soll den Sound daran hindern, direkt an das Trommelfell zu gischten, nichts soll ihn dämpfen. Miss Wolfes Stimme flirrt manchmal derart dass nach einiger Zeit unklar ist, ob der vernommene Ton noch der Gesang ist, oder in den Klang einer e-Gitarre oder der Tasten überging. Es ist ohrenbetörend, ohrenbetäubend, und umwerfend. Zauberhafte Düsternis. Wir befinden uns wieder in diesem dunklen Raum, in dem sich langsam jemand anschleicht und einen mit allen Mitteln von Spuk und Kunst furchterbar erschrecken will um einen sodann wieder sacht und beruhigend zu wiegen. In einem Interview entschlüsselt Miss Wolfe einen Teil dieser Atmosphäre mit dem Bekenntnis »I think deep down I wish I had one of those really gritty voices like Kurt Cobain, so maybe I’m making up for it with distorted guitars.« Bis auf zwei bis drei Lieder werden die Stücke des aktuellen Albums gespielt, die von nun an immer vor dem inneren Ohr abgerufen werden können, da die Musik nun in die Struktur des eigenen Selbst eingraviert wurde. Die brachiale catchiness der Melodien in den stürmischen Abschnitten, die zwischen Dimensionen herüberwehende geloopte Stimme die plötzlich wieder ganz nah ist, der mal sachte mal durchdringende Pulsschlag des Schlagzeugs, das aus dem Weltraum dröhnende, verdrehte und verzwirlte Grundrauschen der Saiten, das überirdisch sirrende Geräusch beim Einsatz der e-bow, und zum Schluss dieser unglaubliche in der Geschwindigkeit präzis variierende in der Bewegung verschwimmende Trommelmarathon bei Color of Blood, zu dem Herr Walte später anmerkt, dass er beim Hören des Albums immer davon ausgegangen sei, dass das Trommeln von einem Drumcomputer stamme.
Es bleibt im nachhinein unklar ob es das anhaltende vibrierende Dröhnen oder doch eher die plötzlichen unvermittelten Erschütterungen sind, die so vielen Menschen die Bierflaschen aus den Händen winden, um sie mit einem klirrenden Scheppern dem Boden zuzueignen. Doch beides zusammen ist es jedenfalls was bis in den innersten Kern unseres Wesens dringt. Und dann flüstert es: Buh. Erschrick doch nicht. So sehr.
* Das Andeuten ernster Recherche fördert neben dezibel eine Begriffswolke in der sich psychoakustische Lautstärke, phon, Sone, Schalldruckpegel und Zeitverhalten des Schalls wattig verwirbeln in das Bewusstsein, mit denen es sich zu gegebenen Zeitpunkt einmal auseinanderzusetzen gäbe.