PGI Expeditionsbericht & Trivialnotizen | España del Norte | 18. bis 28. Sep 2015
Keine Postkarten! Keine Bilder.
a las cuevas — el Pendo
Tags darauf ist für den ersten Teil der Wegstrecke zu den Picos de Europa der Besuch in der tatsächlich begehbaren Höhle el Pendo geplant. T.h.e.o. wird von dem als Papá?! bezeichneten Institutsmitglied aufgefordert schonmal seine Schuhe zu holen. T.h.e.o. bringt einen seiner Gummistiefel. Das als Papá?! bezeichnete Institutsmitglied fordert ihn auf seine anderen Schuhe zu bringen. T.h.e.o. kehrt mit dem zweiten seiner Gummistiefel zurück. Das als Papá?! bezeichnete Institutsmitglied erläutert T.h.e.o. Details zu den zu bringenden Schuhen. Die Sandalen, die kleinen Schuhe sollen es sein. Schon beim Blick in das verschmitzt und nur mühsam unterdrückte Lächeln im Gesicht hätte klar sein müssen was nun kommt. T.h.e.o. kehrt mit einem der Stiefel des Abenteurers zurück, dem größten Schuhwerk das in der Ferienwohnung zur Auswahl bereit stand. Es ist als humoristische Retourkutsche und keinesfalls als Erziehung im Affekt zu werten, dass T.h.e.o. im folgenden vom als Papá?! bezeichneten Institutsmitglied in beide Stiefel des Abenteurers versenkt wird.
Wieder geht es durch die Schlechtwetter-Regen- und Nebelzone Küstenautobahn, Wolken zwischen den Erhöhungen eingeklemmt, um schließlich wieder bei gutem Wetter, und nach einer als äußerst eng und kurvig zu bezeichnenden Straße die bei zwei der auf vier geschrumpften Teilnehmergruppe (der Abenteurer ist diesmal zu Hause geblieben, felsige Höhlen und Bergmassive sind nicht gerade das was sein Interesse weckt) polternd lachende und von Hohohooo-Ausrufen begleitete Freude hervorrufen. T.h.e.o. und das als Papá?! bezeichnete Institutsmitglied amüsieren sich prächtig. Dame C. a.k.a Adlerauge Füten und die Berichterstatterin erkunden derweil die Tiefen und vor allem Abgründe menschlicher Angst- und Beklemmungszustände.
Doch auf dem Parkplatz, neben dem ein kleiner Schuppen steht (keine Postkarten) aus dem sogleich ein begeisterter Höhlenguide springt, angekommen, ist der Schrecken des letzten Teilstücks vergessen (sechshundert Piepen!). Die Umgebung, die Talhänge, die Bewaldung, selbst die in der Ferne muhenden und weidenden Kühe, die über der weitschweifigen Landschaft fliegenden und zwitschernden Vögel, der Farn, das Gras voller Blütenpflanzen, darunter eine mit rosaroten herabhängenden Bechern (Glocken-Heide, Erica tetralix, oder gar Daboecia cantabrica, irische Heide, deren Verbreitungszentrum im Kantabrischen Gebirge liegt), die Bäume auf dem Weg zum Höhleneingang, u.a. Esskastanien, und dann der Eingang der Höhle selbst, schroff von Stein umgeben … all das sieht so aus, wie die Umgebung einer steinzeitlichen Höhle aussehen sollte.
Die Höhle selbst hat nur eine geringe Ausdehnung, etwa 200 m geht es unter einer hohen Decke einen breiten Spalt hinab. Der Guide erzählt halb spanisch halb englisch etwas zu archäologischen Methoden, Ausgrabungen, den Gesteinsschichten und den dunklen Schichten die die Nutzung der Höhle anzeigen, dem Gestein der Höhle, karstigem Kalkstein (engl. Limestone), und schließlich, am unteren Ende angekommen, befinden wir uns am Wandrelief, etwa 3 m des Gesteinssimses sind vom Schmutz befreit, und von, wie der Guide nochmal eindrücklich beschreibt, bis hin zum Verhalten des Witterns von Gefahr und Davonlaufens vollkommen naturgetreu dargestelltem Rotwild bevölkert.
Unter uns flattert hin und wieder eine winzigkleine Fledermaus (Microchiroptera) aus der dunklen Spalte. Und dieses Gefühl das in Altamira nur eine Andeutung war, hier umfängt es uns voll und ganz. Ein merkwürdig staunendes durch die Zeit reichendes Gefühl in dieser eher kleinen Aushöhlung zu stehen und auf diese Zeichnungen an den Höhlenwänden zu blicken. Ein Gefühl der Verbundenheit durch die Zeit mit den Vorfahren aus der Frühzeit.* Neben den bildlichen Darstellungen von Tieren gibt es auch Zeichen. Später fällt am Himmel eine kleinere länglich gebogene Wolkenformation auf, die an eines der Zeichen erinnert.
In dem Kapitel »die unterirdischen Städte von Kappadokien« von Alastair Bonnets seltsamsten Orten der Welt liest man, »dass es etwas Mystisches hat, im Untergrund zu sein.« Der Eingang der Höhle ist noch in leuchtendem Grün zu sehen. Und doch ist das eines der Dinge die man fühlt. Durch ihre Verborgenheit vor der Oberfläche sind es »Orte, die gleichzeitig nah und fern sind.« … »wenn wir in die Dunkelheit hinabsteigen, haben wir das Gefühl, einen Blick auf etwas authentisches Archaisches zu erhaschen … ein arttypisches Zurück zum Vorzivilisatorischen, ja vielleicht sogar zum Vormenschlichen.«
… so wie man unvermittelt an den großen Landgang des Lebens denkt, wenn man noch halbschwimmend im bereits seichten Wasser, unterseeischen Gesteinsmassen ausweichend, schließlich auf allen vieren aus dem Wasser platscht.
* Leider wurde nach Tagen heimischer Recherche ernüchtert bis erschüttert festgestellt, dass die Altamiras&Co nicht, oder wenn, dann nur zu winst-Teilen unsere Vorfahren waren: Anthropologische und genetische Befunde zur europäischen Bevölkerung.
Ein Kartenhaus zerweht im Wind. Leichter Trost: die vaskonische Hypothese. Sie besagt dass am Ende der Eiszeit die Bedingungen so schlecht waren, dass sich nur noch eine kleine Gruppe im frankokantabrischen Raum halten konnte, die so dicht zusammenlebte dass sie eine einheitliche Sprache hatte. Nach der Verbesserung der Bedingungen seien sie über ganz Europa ausgeschwärmt, und hätten mit diesem Ur-Europäisch das vor dem Indogermanischen lag, alle Flüsse und Täler usw. benannt. Ich versuche abzuschätzen wie groß die Menschengruppe gewesen sein mag? 20000? Auch wenn ich nicht glaube dass ein Ausschwärmen von 20000 homo sapiens über Europa besonders flächendeckend gewesen sein kann, so ist es schön wieder einen kleinen Zipfel der Verbundenheit an den man sich klammern kann, zu halten. In den Namen unserer Flüsse und Ortschaften, Elbe, Saale, Ebersberg, sind wir noch mit den Altamira-Menschen verbunden. (Bevölkerungsschätzungen für die Zeit vor etwa 10500 Jahren gehen von 5 bis 10 Millionen weltweit aus. D.h. vielleicht kann man auch mehr als 20000 Exemplare annehmen.)