Jeniferever | 17.07.08 | Panam
Wenn man still vor der Welt steht und sie betrachtet wirkt sie in sich ruhig und fest, selbst wenn ein paar größere Klumpen in Bewegung sind. Doch man weiß, dass alle Objekte die einen umgeben und man selbst aus endlich vielen Pro-, Neu- und vibrierenden, in einer Bewegungsart, die einem vollkommen fremd und unerschließbar ist, hin- und herbeamenden Elektronen und unsäglichen anderen yoktokleinen Teilchen bestehen, die einem von oktilliarden Photonen als verfälschter Gesamteindruck auf die Netzhaut gebrannt werden. Je genauer man hinsieht, desto mehr kann man sie fast sehen. Und umso faszinierter ist man von dieser Welt, umso unfassbarer wird sie einem sein.
Genauso ist es mit Jeniferever. Wenn man sich ruhig davorstehend auf die Gesamtheit zu konzentrieren versucht, wirkt die Musik klar, hübsch, harmonisch und schlicht und irgendwie vielleicht sogar gar nicht besonders. Doch wird es einem nicht lange gelingen unabgelenkt die Musik als Ganzes zu hören. Schon gar nicht, wenn man sich im gemütlich kleinen Panam bei perfektem Klang, in dem alle Einzelheiten erkennbar sind, auf ungefähr 50 Quadratmetern zusammen mit etwa 60 Hörern, der absolut vertieft und entrückt spielenden Band, und dem kleinen schwedisch sprechenden in Metallerkluft gewandeten Soundtechniker mit Zwergenbart befindet, an dessen Pult stehend man sich aufgrund allgemeiner Platzenge befindet, und somit neugierig auf die 2 Spickzettel schielen kann, auf denen alle Lieder, die man hören wird, bereits gebannt und mit leider unleserlichen und noch dazu schwedischen Geheiminformationen versehen sind.
Zu schnell wird die akustische Aufmerksamkeit zwischen den einzelnen geräuschverspielten Klängen, von denen man die meisten noch nicht einmal zuordnen kann, hin- und hergezogen. Und die visuelle Aufmerksamkeit zieht mit, zwischen dem verspielt französischen in rot und dunklen Brauntönen gehaltenem Inneren des Panam, der breiten in die Tiefe gleitenden Treppe in der Mitte des Raumes, den hageren Röhrenjeansbeinen, dem Theaterbalkon über der Fensterfront, dem verzaubertem Publikum, den Leuchtern und Lüstern, der Harry-P.-Brille des Sängers, dem über sein Instrument gebeuchten Gitarristen, der oft während des Gitarrenspiels zugleich an den Einstellungen eines kleinen schwarzen Kastens zu seinen Füßen schraubt und bastelt, und den enervierend nicht zu entschlüsselnden Spickzetteln des Tontechnikers, die dieser ständig mal hier- und mal dorthin schiebt und man fragt sich wozu dieser offensichtlich zum Bandequipment gehörende Spezialist darauf angewiesen ist.
Dieser Musik zuzuhören ist wie ein Spaziergang bei dem man müßig seinen Blick schweifen läßt. Man blickt erst auf den Weg vor einem, ein einzeln anschlagendes dumpfes Plingen, dann schweift man in den Himmel ab, gehauchte Worte erklingen, folgt abgelenkt ein paar Krähen, einem elektronisch erzeugtem davontreibendem Surren, wird beim Überqueren einer Straße fast von einem Auto überfahren, die Gitarren brechen plötzlich samt Schlagzeug in einen wahnsinns Tumult aus, ist aufgeschreckt, gelangt wieder in sicheres Gelände, die Aufmerksamkeit treibt wieder davon, ein rhythmisches Rasseln zieht, man blickt kurz auf einen winddurchrauschten Baum, ein vibrierendes Raunen geht durch den Raum, den Boden, er plingt immer noch vor sich hin, nebenan ein Stück Rasen auf dem Hunde rumtoben, ein nicht vorhandener Bläser setzt zu langgezogenen, weichen, tragenden Tönen an, auf vorbeiziehende Menschen, einzeln oder in schnatternden Gruppen, Tastenklänge die irgendetwas erzählen. Und obwohl die Aufmerksamkeit ständig auf das gerade fixierte Objekt gerichtet ist, ist man sich der ganzen Zeit über des Gesamtraumes bewusst, von dem man umgeben ist. Und der Weg, der Himmel, der Baum und die Menschen, sie alle geben ihren eigenen Klang ab, der sich aus tausend Einzelheiten zusammensetzt. Und all diese unendlich kompliziert zusammengesetzten Einzeltöne ergeben die Musik von Jeniferever.