Baby Dee ::: Swans | 25.10.17 | Conne Island
One Sunny Judgement Day
I lost Track Of Time
(Baby Dee)
Vorgeplänkel. Am Einlass werden fürsorglich Ohrstöpsel gereicht. Auf einem Aushang neben dem Eingang ist zu lesen, dass das Tragen von Ohrstöpseln angeraten wird, ja, dass es vielleicht sogar unabdinglich sein könnte. Nach einem kurzen Besuch an der Bar, immerzu neue Biere im Land, eine angebotene Bierprobe wird jedoch abgelehnt, erklimmen die beiden Konzertbeobachter des PGI die seitlichen Ränge für Senioren, und ergattern den beliebten Aussichtspunkt mit diagonalem Blick am Pfosten vorbei auf die Bühne.
Zunehmende Verunsicherung welche Schallwellenamplituden zu erwarten sind, und ob die mitgeführten sensiblen Messgeräte durch die chemiebunten Batikohrstöpsel auch ausreichend Abschirmung vom Hauptwellensturm bieten werden, um die feineren Nuancen mitzeichnen zu können. In gleichzeitiger Spaltung des Seins fühlt man sich aber auch sehr entspannt. Diese disparate Seelenstimmung wird durch die Soundchecks der einzelnen Instrumente auf eine erste Zerreißprobe hin gereizt. Im Nachgang muss hier auch festgestellt werden, dass es ausnehmend schön war, das Korg einmal im vollsten Raumklang zu hören, den es diesseits und jenseits der Milchstraße gibt, ohne dass der Klang im allumfassenden Lärm aus allen Instrumenten aufgelöst wird.
Im weiterem regen Austausch dringen die ersten sehr feinen kling- und pleng-Töne die sehr langsam auf den Beginn des Konzerts hinführen unterschwellig ans Bewusstsein, es werden Verstärker und Lautsprecher gezählt, und daraufhin die mögliche Schallstärke hochgerechnet. Nach ersten Äonen begeben sich Swans auf die Bühne, noch ist es nahezu still, es verbleibt genügend Zeit für eine kurze Diskussion, ob die mit Instrumenten und verstärkendem Gerät zugestellte und vollgeschachtelte Bühne, zusammen mit den sechs Musikern weniger oder gleichwertig dicht gefüllt ist wie bei einem Jeniferever-Konzert.
Natürlich sind die Schweden an sich dünner gewesen, verbrauchten daher weniger Eigenraum, und in absoluter Betrachtung, musste die Materiedichte auf der Bühne größer sein, um einen beengten und eingezwängten Eindruck zu erzeugen. Auf der anderen Seite verdrängen die Swansmusiker mehr Raum, und der verbleibende Raum ist relativ dem von Jeniferever-Bühnenaufbauten durchaus vergleichbar. Jedenfalls musste die Base Drum einem der Lautsprecher weichen, und befindet sich nicht wie üblich auf dem Boden, sondern wurde seitlich in Schulterhöhe des Schlagzeugers schwebend angebracht. Nach oben ist immer noch Luft.
Die erste Sequenz setzt ein. Noch sind wir der uns bevorstehenden epischen Ausarbeitung noch nicht gewärtig. Die erste Schallwelle will noch in ihrem vollen Ausmaß rezipiert werden, danach werden die Luken lose dicht gemacht, und die Fluten schwappen mit gemächlicher Geschwindigkeit die möglicherweise für ein langsames Assimilieren an die Schallstärke angedacht ist, mit Wucht über allem zusammen. Wir sind untergetaucht. Wir befinden uns in einem dichten anhaltenden schallwellenden minimal variierenden Wabern, das sich langsamer als wachsendes Gras zu etwas Gewaltigerem aufbaut. Der Einsatz der Instrumente erfolgt nach und nach, und beinahe zart sind ihre jeweiligen ersten Spielminuten gehalten.
Wir sind im Schallsequenzer. Es ist ein Laboratorium. Es ist ein wenig so wie Träumen, nur in Akustik. Man nimmt etwas wahr, doch es scheint mit unmöglicher Perspektive zur Tagwahrnehmung verschoben. Kann nicht verortet und mit den im Wachsein erworbenen Erfahrungen in Kategorien eingeordnet und verarbeitet werden. Es ist eine nicht deutbare Überlagerung von Zuständen.
Zustände!
Es ist laut.
Nach vielen Sanduhrdurchläufen akkumulieren sich die so zurückgehaltenen und aufgestauten Energien der Musiker in einer ersten Entladung. Aus den Saiteninstrumenten werden erste stärkere und heftigere Klangbatzen herausgeschrammt, dies wird vom Sänger visuell unterstrichen, in dem er sich bei jedem Abwärtsstrich Richtung Schlagzeug verneigend nach vorne wirft. Zwischen diesen Eruptionen liegen nicht gerade kurz gehaltene Pausen. Die gesamte erste Sequenz könnte auch die in extremer Zeitlupe abgespielte Aufzeichnung eines Heavy Metal-Hardcore-Gemischs sein. Hierzu würde auch das Gefühl der ungewohnten wie verzerrten, traumgleichen, Wahrnehmung des Bühnengeschehens stimmen. Oder es stammt einfach es der desorientierenden Erfahrung der Sinnesreduktion durch Batikohrstöpsel.
Nach dem langen Einstimmungsklang geht es in munterem Wechsel zwischen schwungvolleren und schwergängigeren Stücken weiter. Wobei der Begriff schwungvoll hier ein ebenso relativ zu verwendender Begriff ist wie munter, während sich die einzelnen Motive mit einer Geschwindigkeit wandeln die es mit geologischen Maßstäben aufnehmen kann.
Die Monitore scheinen nicht laut genug und Unmut flackert über Michael Giras Antlitz. Es gäbe da vielleicht eine Lösung, doch wer würde sie ansprechen wollen.
Spärliche Gesangsmomente hypnotisieren durch die Tiefe und das spirituelle Dröhnen der Stimme, wie Beschwörungsformeln begleiten sie die Lärmsequenzen. Zwischen den Schleifen arrangiert Gira sorgsam die Blätter auf seinem Notenständer um. Aus den Schlagzeugmodulen hämmern und wirbeln hin und wieder belebende, befreiende Akzente, die die Trancezeit in der man sich befindet durchbrechen, und sich ein, zweimal in einem bewegungsverschimmernden Wirbel auf die seitlich angebrachte Base Drum entladen. Ein visuell sehr hübscher Effekt, dem man gerne mit den Augen lauscht, während man hin und wieder verschiedene Ohrstöpselkonfigurationen durchprobiert um den Lärmklang in weitere individuell rezipierte Modulationen zu zerlegen. Bei stärkerem Verschluss geht die Musik immer mehr in weiches und dumpfes Moll über. Werden sie gelockert geht der Klang in Richtung unerbittliches Dur. Von den Tastenaufbauten fällt der Blick hin und wieder durch einen kleinen Sichtschlitz auf mit Wucht niedergeschlagene Akkorde, die zu den distinkt wahrnehmbaren Klängen der Lärmgesamtheit gehören. In der zweiten Iteration ihres ewigen Musikstücks wird das aufreibend mitzufühlende gelassen hektische Neubespannen der Steel Guitar ganz links beobachtet, ein meterlanges in sich gefältetes Drahtgespinst glänzt mehrere Momente im Scheinwerferlicht funkelnd auf.
Immer mal wieder leuchtet in den langen Zeiten des Konzerts in warmen Farben die Erinnerung an die Vorband, Baby Dee am Akkordeon begleitet von ihrem Neffen an der Konzertgitarre. Mit herzlicher Lebensfreude und bekümmerter Melancholie. Verschiedene Assoziationen torkeln in krausem Takt glücklich durch das Gehirn, Monty Python, Conor Oberst, Shanties, Musik in mittelalterlichen Kaschemmen, Kabarett, Theater, Broadway, ihre Stimme schallt kräftig durch den Raum wie ein Wiegenlied um sogleich unvermittelt in ein ironisches Gebrabbel oder exzentrische Aufschreie überzugehen, dazu nur zart unterlegt begleitende Klänge aus Akkordeon und Gitarre in denen aber immer wieder Kapriolen auffahren und abwechslungsreiche Melodieschnipsel verspielt glitzern. Die Aufmerksamkeit beseelt gebannt.
Währenddessen zupft Michael Gira nach einer weiteren vollendeten Sequenz an seinen Blättern am Notenständer herum und gebietet die Aufmerksamkeit wieder ins Jetzt, während sie noch versucht sich wenigstens am wie Kirchturmglocken ewig im Gehirn nachhallenden und zerrüttete Nerven erholsam umspielenden Plingen festzuhalten, das beinahe mehr aus der Erinnerung von Konzertmitschnitten zu stammen scheint, als aus der gerade stattfindenden Wahrnehmung, bevor alles wieder in den Ozean aus Lärm gezogen wird. Diese auf der Seers so besonderen luziden Momente, im Tosen eingebetteten zerbrechlichen Klangsequenzen aus hellen glockenden Tönen, die einem das Herz auswringen und etwas im Inneren sanft berühren, gehen im Konzert natürlich unter. Und doch begleitet der Eindruck vom fragilen Gesamtaufbau der Seers das Konzertgeschehen.
Hin und wieder lässt Gira von seiner Gitarre ab, wendet sich seiner Band zu und widmet sich diversen Formen des gestischen Ausdrucks. Das Bild des Zauberlehrlings entsteht und wetteifert mit der Frage ob eine Tele-Gym-Show mit seinen Performance-Bewegungen nicht äußerst erfolgsversprechend wäre. Gira dirigiert die schallenden Wellen um ihn herum, lässt sie mit einem Heben und Senken der weit ausgebreiteten Arme an und abschwellen, hochpeitschen, und durch schnell zitternde Handgelenksbewegungen dichter und intensiver werden. Die Gestik wirkt, anders als bei Woven Hand, kontrolliert, geradezu berechnend eingesetzt. Von hinten nach vorn schwingende Armbewegungen kippen besonders laute Schallladungen mit Schwung ins Publikum, Wusch, … Wusch, … Wusch! Wie ein Therapeut der seinem Kurgast wohldosierte und genau abgestimmte Schallanwendungen zukommen lässt. Ein einziges Mal wird eine seitlich auf einem Bein balancierende Figur dargestellt, die Gitarre vor sich gehalten als wäre sie ein Körper. Ist es der Schwan?
Die langanhaltende Monotonie mit sich nur beinahe unerträglich langsam ändernden musikalischen Mustern wird durch den gleichsam größeren Zusammenhang immer wiederkehrender Elemente aus vorhergehenden Sequenzen ins Unendliche gespiegelt, Werden und Vergehen, und durch die ebenso wiederholt dargestellten gestischen Muster, wie die Anwendungen der Eimer voll Schall, die über dem Publikum ausgegossen werden, weiter verdeutlicht.
Unerträgliche Langsamkeit der Veränderung in unerträglichem Lärm in ewiger Wiederkehr.
»kommt jetzt der zweite Teil?« (eine Stimme aus dem Publikum, nach Track #5 des Konzertabends, Stunden nach Konzertbeginn, in einer etwas längeren Zwischenpause)
Es ist aber auch die Art anhaltender wiegender gleichbleibender fortwährender Lärm bei der sich ein nicht unwesentlicher Teil meines Wesens behaglich zusammenrollen und vor sich hin schlummern könnte. Vor allem wenn die nächtliche Müdigkeit in sauerstoffarmen Räumen ihre Arme weit ausbreitet. So wird das Repertoire der akustischen Versuche im Lauf des Konzerts durch diverse unvermittelt einsetzende Gähnübungen weiter ausgebaut, je weiter Zeit wie Sauerstoff verrinnen. Bei geöffnetem Mund dringt der gesamte Schall über den Mund in die Schädelhöhle und hallt dort wieder wie es sonst nur die eigene Stimme tut. Dies kann aber aufgrund der im Knochen verursachten Schwingungen mit denen das Gehirn jäh puddinggleich wackelnd zu spüren ist, jeweils in nur kurzen Dauern gewagt werden.
Es ist wie eine mentale Kraftprobe, der Willen der Musiker gegen den Willen des Publikums.
Es ist das Niederringen auf der einen, und das der Zermürbung Standhalten auf der anderen Seite, wie in einem antagonistischen Rollenspiel.
Es ist eine mentale Übung den so kurzgebundenen sprunghaften Geist bewusst galaktischen Zeitmaßstäben auszusetzen.
Es trifft die tief in uns wurzelnde Ehrfurcht vor der Endlosigkeit der Unendlichkeit. Je hoffnungsloser der Versuch menschlichen Verstehens, je sinnloser das Anrennen gegen das Unbegreifliche, je härter das Scheitern, umso unwiderstehlicher der Drang es immer und immer wieder zu versuchen.
»Die hätten noch ewig so weiterspielen können. Nach zwei Stunden wird mal kurz die Hose hochgezogen, und dann geht’s weiter.« (eingefangenes Stimmungsbild, Publikum)
Nach einer Sequenz die weit nach Mitternacht schließt, tritt der Sänger schließlich nach vorn, fordert mit akzentfreiem aber irgendwie bedeutungsnüchternen deutsch mehr Licht, als hätte er die Sprache satzweise auswendig gelernt, und macht unmißverständlich klar, dass er für dieses Mal das Publikum entlässt und von einer weiteren Behandlung in Form einer ausgedehnten Zugabe absieht. Alle Musiker stellen sich vorne zu Verbeugungen auf. Vorsichtig wird der ein oder andere Ohrstöpsel gelupft, und die Veränderung des Klangs von Dumpf zu normal im Klatschgeräusch wahrgenommen. Die Namen der Mitmusiker werden schallend verkündet. Und zuletzt in diesen wie auswendig gelernten Sätzen, von denen man aber nicht weiß welches Wort welchen Sinn darin transportiert, nur von der Gesamtaussage hat man Kenntnis, gleichsam androhend und befehlend verkündet, dass sich der Maestro in zwanzig Minuten am Merch-Stand einfinden wird. In zwanzig Minuten. Wehe dem, der dort nicht auf ihn wartet. … Wir sind frei.
»Wie er nach drei Stunden dieses ___ Lärms einfach so seine Blätter vom Notenständer nimmt! Und das war’s!» (nach dieser emotional wie physiologisch zutiefst erschütternden Erfahrung wieder nach Halt suchendes, doch noch zutiefst aufgewühltes Resümee aus dem Publikum; Stockholm Syndrom; möglicher zu ergänzender Subtext »als hätte er eine Sinfonie dirigiert»)
Der Nachhauseweg erfolgt in schwarzdunkler mit wenigen winzigen klaren Sternen beglänzter Nacht, in schalltrunkener Bewusstlosigkeit, die Motorik wird von den üblichen Automatismen ausgeführt.