Algiers | 28.02.18 | UT Connewitz
Kunst am Boden. Der Saal des UT noch weitgehend leer. Besprühte Leinwände.
Ein Konzert-Date mit Dame Luisenbach. Plausch vor dem Konzert in den unbequem Seitenklappsesseln, von winterlichen Jacken behangen. Vorband Jupiter C erinnert durch wohl inszenierte Trash-itude an Princess Chelsea, ein beat-schwerer Bogen aus repetitiver elektronischer Trance der in vagen Schlummer versetzt. Atmosphärisch Orientierung an Twin Peaks. Und ein Stück das wohlig an diese unglaubliche Drumstrecke von Chelsea Wolf erinnert.
Benommen stehen wir auf und nehmen einen Platz irgendwo mittig ein. Durch diverse live-Videos vor Freude und vorbereitet für Algiers. Und doch … die Wucht mit der einen der Beginn des Konzerts trifft. Die ungestüm pfeifende, fauchende und elektrisch aufgeladene Energie. Ein Orkan. Und was alles in ihm herumwirbelt. Soundschnipsel, Zerrgeräusche, nach vorn drängender Beat, der Tonus jedes einzelnen Stücks unter Spannung, die sich auf die Sinne überträgt, an der Aufmerksamkeit zerrt, Sein vor der Entladung eines Sommergewitters im Winter, Tanzbarkeit, ein Viertel blocparty-Nostalgie, in Drums Matt Tong, doch weiter, mehr, unaufgeräumter, sich überschlagende, überlagernde Gesangparts, die an anderer Stelle weich auffangen oder einen umschweben wie ein Wiegenlied, weitfassendes Instrumentarium der Stimmen im Backgroundchor, Brummen, lautes Rufen, überschlagen, Schreien, Summen, Pfeifen, Erinnerung an ein möglicherweise eingebildetes dschungelhaftes Kreischen, in jedem Stück andere Worte, Klänge, Laute, die alle ihren spezifischen Effekt erwirken, die Silbenklänge der Echostimmen, wahumm, Zeit wird gedehnt und zersetzt, zerdrillt und gestaucht, Postrock, Industrial, Soul 21.0, eine Kuhglocke?, Kirchturmläuten, aufbrausendes Schellenrasseln, Klapperschlangensignale, Ohrwurmmelodien, Loops, Groove, Geschwindigkeit und relatives Ruhen, …
… im multiparallelen Universum von Stephen Kings Anschlag erschüttern Harmonien zwischen den Weltsträngen das Gewebe von Raum und Zeit. Auch im multiparallelen Klangkosmos von Algiers entstehen aus Überlagerungen Harmonien, in jedem Fragment liegen vielfache Elemente, sie erinnern an tausend andere Dinge, hallen aus vergangenen Jahrzehnten, stehen in Beziehung und doch für sich allein. Erschüttern das Gewebe von Hören und Bewusstsein. Und wenn sie sich weiter aufschaukeln …
… Schlagzeug–Bass–Gitarre, dröhnen, blechernes Scheppern, fiepen, schwirren, alles ist in Bewegung, Lee Tesche an den Stellen mit Geigenbogen exaltiert, und Ryan Mahan, Synth und Bass reichen als Mittel des Ausdrucks nicht, wie bei David Eugene Edwards, doch gleichsam industrialisiert, muss auch mit Mimik und Gestik tanzend ausgelebt werden, wie die Musik durch ihn pulsiert, die wunderschönen, schlichten, vom Sänger Franklin James Fisher federleicht angespielten Pianolinien, die sich in Tremolos verlieren oder unterm nächsten Geräuschsturm jazzwild weiterlaufen, Beiklang und Slides, während seine Stimme mit Macht den Bogen weiterspannt und alles verbindet, das Musik-ich auf das diese Welt einstürmt, Wechsel zwischen übereinandergelagertem Soundtumult, vollkommen quer, schief, dissonant abdriftenden sich zerschlagenden Stellen und dann wieder präzis und klar gespielten die Seele erhebenden Klängen. …
… an übereinander über und über geschichtete Folien denken. In jedem Moment, es ist als würde der alltägliche Lärm der Welt, in einer Stadt, gespiegelt und künstlerisch verarbeitet. In 1947 schreibt Elisabeth Åsbrink wie sie versucht dieses Jahr, das ihr so zusetzt und sie nie loslassen wird, aus Fragmenten zusammenzusetzen. Das ist es vielleicht auch, jedes Stück ist wie ein Wirbel aus Fragmenten die in ein Musikstück gepackt werden. Eingepasst, aber eben mit diesem interessanten sich ineinander verhakenden, pieksenden, gegenläufigen Multiphaseneffekt. Und manchmal ist es, als würden die verschiedenen Fragmente gegenseitig um Vorherrschaft kämpfen, wird das Schnipsel mit der historischen Rede siegen, die Melodie, oder alles was scheppernd, krachend, zerrend gegen diese Melodie geworfen, geschleudert, unter ihr hindurchgeschleift wird? …
… Die Musik wie auf einer Festplatte mehrmals fragmentiert und defragmentiert, auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, nicht in wahllosem Prozess, sondern mit sicherem Willen. Jedes einzelne Stück aus Klängen, Soundaufnahmen, verwabernden Rausch perfekt klangchoreographisch austariert. Klangcollage. Carambolage. Wunderschön. Aufreibend. Mitziehend. Das Selbst aufrichtend. Man möchte in Revolution ausbrechen, um die Welt zum Guten zu wenden. Algiers würde Energie dazu geben.
Wir sind im Wirbelwind. Musikrichtungen, Soundfetzen und wer weiß was noch sie in ihre Stücke packen wirbeln zusammen mit einem darin herum, momentlange Kontakte mit einzelnen Klangfragmenten. Das Encore keeps passing on. Panoptikum der Wahrnehmungen eines Lebens in globalmedialen Gesellschaften, die Gesamtheit der Eindrücke die zugleich auf einen einstürzt, verarbeitet wird, irgendwie, notdürftig, im Rausch, ein Hauch des Unwirklichen, und doch stimmig ineinanderfließt. Und nicht selten fühlt es sich gut an, wenn das Sein in dieser zerrigen sperrigen Welt aufgeht, wenn auch sie einem zur Natur geworden ist. Im Auge des Sturms befindet man sich nie. Nicht an diesem Abend. Nicht bei Algiers. Nicht in diesem aus Musik geschaffenem Zeitgeistgemälde. Diesen Ruhepunkt mag man an anderer Stelle finden. In dunkler Nacht, und Tage später. Im Nachklang des Konzerts.