Jonathan Bree | 10.09.19 | UT Connewitz
»… schon allein optisch bemerkenswert …«
(Hr. Walte, private communication)
Auf der Konzertseite des Lebens ist der Abendhimmel wunderschön blau, es ist nicht heiß, und das erst so leere UT füllt sich wie stets.
Der Vorkünstler, Ryder the Eagle, der »dirty crooner«, scheint eine Parallelinkarnation von Helge zu sein, persifliert sich mit großer Mimik durch die Schmachtfünfziger und begeistert durch Kostüm, überbetonte Tanzbewegungen und Stills. Witzig.
»… in Cowboy-Kostüm gekleidet, schmachtete zu vom iPad abgespielter Schlagermusik, warf sich in diverse dramatische Posen, tanzte expressionistisch und ekstatisch und kletterte als Höhepunkt der spektakulären Darbietung mit entblößten Oberkörper auf den Tresen der UT-Bar und sang von dort aus das Publikum an. Wellen der Irritation, Begeisterung und Fremdscham schwappten abwechselnd durchs Publikum«
Zeit für den Bree’schen Mummenschanz, seinen beiden requisiten Damen – vom weißen Hütchen bis zur Rüschenbluse piourettierend wie aus einem englischen Romantikfilm in Zeit des frühen 19. Jahrhunderts gefallen, die noch berüschte Hotpants schlagen das Zeitenrad zum High Heels-Stiefel-Look und Aerobic-Bewegungen der 60er –, Schlagzeuger und den in der Ferne dieser wabernden Zeitblase noch vage zu sehenden Gitarristen, allen das Gesicht unter weißem Tuch verborgen, Herr Bree selbst kontrastierend statuesk während er mit tiefrunder Stimme seine Welt singt, und so die Bühne in einen bizarren Schleier taucht.
Der hinter dem Schirm eine weitere Ebene enthält. Die live-Choreographie gedoppelt auf Leinwand trägt dazu bei, dass alles noch mehr wie eine hinter mehrfach transparenten Tuch geschwenkte Traumwelt erscheint. Schwer fällt es dem Geist bei all der visuellen Ablenkung seine Aufmerksamkeit auf die inzwischen so vertraute Musik zu lenken, zu bezaubernd ist es den Choreographien von Princess Chelsea und zweiter Tänzerin hypnotisiert zu folgen. Hin und wieder werden sich instrumentale Objekte wie Schlegel oder Spielzeuggitarren gegriffen und stumm bespielt, spröde geziert, es wird gefächert, allein mit den Perkussionsrasseln realer Klang, gehüpft und gewackelt, zwischen Zeitlupe und ausbrechender Luftgitarre mit wild koordinierten Verrenkungen, und das weiße Tuch kann die bisweilen diebeskindliche unbändig ausbrechende Freude an der ganzen Albernheit nur mit Mühe verbergen. …und doch ist diese Musik da, ist das Gewebe auf dem all dies getragen wird. Wie auf einem Sprungtuch schweben sie alle von ihr abfedernd in die Luft. Süß verquietschte Synthesizer, Violinenschleier, klirrende Tastentremolos, satte Tuschs und Trommelschläge, Plingen und Klacken, schwungvolle Ruhe, und fangende Melodien, abgehackter Marionettentakt, Drehorgeldrive, helles Glockenspiel und Sirenengesang, weit ausholende Klänge wie Gesten, Spannungskurven die sich aufbauen um dann wieder in den breiten Ozean aus entspanntem Klang unprätentiös zu verebben, Spiel aus Klischee, Zitat und Form, die sich alle direkt in die Seele drehen. Doch wie das in ihr vorgeht …
»det befant seg ikke noe bestemt sted, ble ikke tryllet fram av noe bestemt ord, men hvilte overalt, som en stemning hviler i en sjel. Det gjør den ikke i en bestemt tanke eller en bestemt del av hjerten, … kroppen, … stemningen er overalt, men ingenting i seg selv, mer som en farge tankene blir tenkt i, en farge verden blir sett gjennom.«
(Karl Ove Knausgård, Min Kamp 5)
… das lässt sich nicht auf bestimmte Stellen zurückspüren*. Es ist die Gesamtheit eines Seelenbildes. Einer verlorenen und wieder ausgehobenen Zeit. Die Farbe von Melancholie, Lebensfreude und Vergänglichkeit, und einem drehwärtigen Sinn für Humor. Maskentanz, vergangener Zeiten Musikschritte und Tanzformen, Verklärung. Entrückung. Bittersüße Dunkelheit. Und das alles aus dem Jetzt.
* zumindest nicht solange so sinnverdrehend getanzt wird
… und dann ist da noch diese Szene in der sich Hr. Bree und die Prinzessin gegenseitig ihr Mikrofon zum Hineinsingen hinhalten.
Say you love me too.
… My whole world would brake, if you were not in it girl.