perec ::: Archivar des Alltäglichen
»… so spielt eine gewisse Geschichte meiner Vorlieben (ihre Fortdauer, ihre Entwicklung, ihre Phasen) in dieses Projekt mit hinein. Genauer gesagt, es ist wieder einmal eine Art und Weise meinen Raum abzustecken, eine etwas umständliche Annäherung an meine tägliche Erfahrung, eine Möglichkeit über meine Arbeit zu sprechen, über meine Geschichte, über meine Sorgen, das Bestreben, etwas zu erfassen, das zu meiner Erfahrung gehört, nicht als spätere Reflexion, sondern im Augenblick ihres Zustandekommens.«
»bis das Buch seinen endgültigen Platz findet oder wiederfindet … das man aber … anlässlich des nächsten großen Ordnens einstellen will … was mich angeht so sind dreiviertel meiner Bücher niemals richtig eingeordnet worden. Diejenigen Bücher die ich nicht endgültig provisorisch eingestellt habe, sind wie bei Oulipo provisorisch endgültig eingestellt worden. Einstweilen trage ich sie von Raum zu Raum, stelle sie von einem Regal ins andere … und es kommt vor dass ich drei Stunden lang nach einem Buch suche, ohne das ich es finde, dabei aber die Genugtuung erlebe, sechs oder sieben andere zu entdecken, die ihren Zweck ebenso gut erfüllen.
… Wie Borges’ Bibliothekare … schwanken wir zwischen der Illusion des Vollendeten und dem Rausch des Nichtfassbaren. Im Namen des Vollendeten wollen wir glauben, dass es nur eine einzige Ordnung gibt, die uns ermöglicht, auf Anhieb zum Wissen zu gelangen; im Namen des Nichtfassbaren wollen wir denken dass Ordnung und Nichtordnung zwei gleiche Wörter sind, die den Zufall bezeichnen. Es kann aber auch sein dass beide Lockmittel sind, Augentäuschungen, dazu bestimmt, den Verschleiß der Bücher und der Systeme zu verschleiern.«
»Gleichzeitig erfolgte so etwas wie ein Bankrott meines Gedächtnisses. Ich hatte auf einmal Angst vor dem Vergessen, als ob ich nichts, es sei denn, ich schrieb es alles auf, von dem dahinfliehenden Leben zurückbehalten könnte. Jeden Abend begann ich peinlich genau … eine Art Tagebuch zu führen: es war das Gegenteil eines intimen Tagebuchs; ich hielt darin nur das fest, was mir an Objektivem widerfahren war: die Zeit meines Aufwachens, … Einzelheiten über das Essen …, meine Lektüre, die Schallplatten, die ich mir angehört, die Filme die ich mir gesehen hatte. … sinnlose Angst, meine Spuren zu verlieren, war begleitet von einer Wut, zu bewahren und zu ordnen.
… Von der Bewegung selbst, die … mir Zugang zu meiner Geschichte und zu meiner Stimme verschaffte, sage ich nur dass sie unendlich langsam war … musste die Mauer der übernommenen Erinnerungen abgetragen erden, mussten meine grüblerischen Refugien zu Staub zerfallen …«
(Georges Perec, Anmerkungen hinsichtlich der Gegenstände die auf
meinem Schreibtisch liegen, und: Kurze Anmerkungen über die Kunst und Art
und Weise seine Bücher zu ordnen, und: Orte einer List, in: Denken/Ordnen)
→ vgl. auch Musil, Verwalter der Wirklichkeit