El tourismo politico
Vor nunmehr vielen ein paar Samstagen war ich mit meinem analog- als auch digitalen Bloggerkumpanen von Odyssee 77 zur Gegendemonstration gegen das bisher größte gesamteuropäische Treffen sämtlich da kreuchender Rechtsextremen in Dresden.
Das hört sich wahnsinnig politisch engagiert und freizeitaufopferungsvoll an. Eine Position die ich mitnichten für mich in Anspruch nehmen kann und will. Zur Untermauerung dieser Aussage soll der untenstehende Bericht dienen.
Großen Respekt an alle, die den ganzen eisekalten Tag über bei den verschiedenen Umzügen mitgegangen sind, den Kundgebungen zugehört, und auch und vor allem an die, die all die Veranstaltungen rund um Geh-denken organisiert und durch ihre Reden getragen haben. An alle, die nicht wie wir lediglich zum Schluss der Veranstaltung dazugestoßen sind, ein bisschen vor der Bühne am Theaterplatz herumhingen, Glühwein schlürften, Musik hörten und es sich auch ansonsten einen schönen Nachmittag in Dresden sein ließen. Ich hoffe, ihr wisst, dass auch wir es ehrlich meinen, und achtet unser kärgliches Bemühen.
Wie man zumindest an einem Tag im Jahr politische Präsenz zeigt. Eine Anleitung für den Unperfekten.*
oder: der Moderne Mensch im Spannungsfeld der eigenen Bequemlichkeit und des dazu im Widerspruch stehenden heer strahlenden heroen Selbstbildes.
Frühzeitige Hergerissenheit. Sie selbst wären auf die Veranstaltung sowieso nie aufmerksam geworden. Doch an einem Kneipenabend packt Odyssee 77 ihr Gewissen und schüttelt es gehörig durch. Die Bemerkung man könne die Fahrt zu Geh-Denken ja damit verbinden sich bei der Gelegenheit mal wieder Dresden anzusehen gibt den Ausschlag. Zögerlich stimmen sie zu. Ja, bei einer Veranstaltung diesen Ausmaßes sollten sie ihre kleine Person als Zähler für die linke Seite hinzufügen. Am Ende läuft ja doch alles auf die Statistik hinaus.
Reiseplanung. Lassen Sie sich kurz von der Ankündigung, um 10 ginge es in Dresden los, schrecken. Konsultierung des Internets erfreut mit der Nachricht dass es wohl ein relativ offenes Kommen und Gehen an der Hauptbühne, diverse Umzüge zu verschiedenen Zeiten und keinerlei Notwendigkeit gibt um 8 Uhr früh von Leipzig aus loszumachen. Etwas verstört nehmen sie wahr, dass auf der Hauptbühne einige Prominenz aufgefahren wird, vermutlich um Leute anzulocken. Sie sind sich nicht sicher ob Sie das mit der Ihnen eigenen politischen Strenge und Nüchternheit vereinbaren können.
Sie verabreden, um 14 Uhr abgeholt zu werden, man wäre um 15 Uhr in Dresden, könnte noch die Frauenkirche ansehen und wäre rechtzeitig um 16 Uhr zum Abschlusskonzert, äh den Kundgebungen am Theaterplatz.
Der Aufbruch. Da Herr Walte krank ist, eilen Sie hingebungsvoll und fürsorglich zeitig vor 14 Uhr los, um das Nötigste aus dem Supermarkt — Wasser, Saft, Brot — und ein Erkältungsbad aus der Apotheke zu besorgen. Das kleine Erkältungsbadbeutelchen wird in der Handtasche verstaut. Zuhause wird stolz vom Kauf berichtet. Thymian.
Um 14:30 schellt es an der Tür und über den Türsprecher wird um Einlaß gebeten. Odyssee 77 ist hungrig, hat einen Döner erworben und gedenkt diesen vor der Abreise zu verspeisen. Machen Sie es sich in der Küche gemütlich, trinken Sie O-Saft und lassen Sie sich möglichst viel erzählen, während Sie die Zuhörerrolle einnehmen. So gelingt es den Dönerverzehr der ansonsten in 2 Minuten erledigt wäre auf etwa eine halbe Stunde auszudehnen. Wo die Kundgebung eigentlich stattfinden soll? Fahren Sie Ihren Rechner nach verspeisten Mahl hoch — nicht schon währenddessen –, und vergewissern Sie sich, dass Sie den Theaterplatz ohne Probleme finden werden, und der Theaterplatz auch tatsächlich der vor dem Zwinger ist. Wie peinlich wäre es aus Versehen auf der falschen Seite zu landen. Wehmütig verabschieden Sie das Krankenbett und brechen auf.
Staatsgewaltlicher Eingriff. 15:10. Endlich befinden Sie sich auf der Autobahn und machen gute Fahrt als in der Ferne eine Straßensperre ausgemacht wird. Alle Autos müssen an der Ausfahrt Leipzig Nordost die Autobahn verlassen. Man erkennt Baumaschinen und vielleicht auch entsprechende Maßnahmen.
Doch das nagende Verdachtsmoment von der einem so wichtigen Teilnahme an der Gegendemonstration in Dresden, für die man selbstredend alle Opfer bringen würde, absichtlich gehindert zu werden, bleibt bestehen. Das kann kein Zufall sein! Die orange gekleideten Bauleute? Odyssee hat die Vermutung dass es sich um verkleidete Soldaten handeln könnte, und Sie nicken überzeugt und aufgebracht. Machen Sie möglichst laut und beeindruckend Ihrem Unmut über diesen Eingriff Luft. Trübseelig blicken Sie gen Osten, während die Ausfahrt wiederbringlich in einer Kurve zurück nach Leipzig führt. Aufgeben? Jetzt erst recht nicht.
Freie Fahrt. 15:20. Nachdem Sie Ihnen vollkommen fremde Leipziger Gebiete durchquert haben gelang die Rückkehr zur Autobahn und frohgemut geben Sie sich dem fröhlichen Ausflugsplausch hin. Die weitere Fahrt vergeht ereignislos. Die Sonne bricht in beeindruckend pompösen Spektakel durch die Wolken, wird durch diese aber noch soweit Ihrer Strahlkraft beraubt, dass sie als bewattet glühende Scheibe so erscheint als wäre sie der Mond. Sie freuen sich auf einen sonnigen Dresdenausflug.
Ankunft in Dresden. 16:20. In einem Schwung und wie durch ein Wunder landen Sie genau passend am Parkhaus hinter dem Zwinger an. In 5 Minuten könnten Sie am Kundgebungsplatz sein. Odyssee gibt allerdings zu bedenken, dass er ein Parkhaus direkt an der Frauenkirche kennt. Das läge weitaus zentraler und wäre für ihr Vorhaben schnell zur Demo zu gelangen demnach günstiger. Die Idee direkt im Twingo bis direkt zur Kundgebung zu fahren, und vielleicht ähnlich wie im Autokino Lautsprecher ins Auto gereicht zu bekommen, leuchtet kurz hell und strahlend auf. Wenn man sich die Leute da draußen so ansieht scheint es eisig kalt zu sein.
Im Schneckentempo verlassen Sie den Einzugsbereich des Zwinger-Parkhauses, der Verkehr wird durch die Menge an Polizeipräsenz verzähflüssigt. Wieder im Fahrfluss schießt der Twingo am Elbufer entlang und umrundet die Altstadt. Fassungslos beobachten seine beiden Insassen wie eine Masse an Nach-Hause-Gängern das Zentrum des politischen Geschehens verläßt und über die Elbbrücken in ihr gemütlichwarmes Zuhause strömt.
Hallo? Es ist 16:30 und die gehen einfach nach Hause als wäre das Wichtigste schon geschehen. Schweben Sie auf einer Wolke rechtschaffener Empörung, sehen Sie aber ein, dass man nicht von jedem die glühende Leidenschaft erwarten kann, die sie beide momentan verspüren, und der sie sich — würde man sie nicht kennen meinte man fast auf parodierende Weise — gegenseitig versichern.
Beobachtungen aus dem Auto. Sie bzw. der sie umhüllende Twingo gelangt schließlich auf einen Platz an dem sie beide Demo-feeling autonah (wie gewünscht) erleben können. In jeder Ampelphase schaffen es exakt zwei Autos vor ihnen weiterzukommen. Eine Gruppe schwarzgekleideter Jugendlicher schwenkt rot-weiß emblemierte Fahnen mit russischen Schriftzügen und schreit inbrünstig ihre politische Gesinnung heraus. Durch die Karosserie des Twingos gedämpft gelingt es ihnen nicht herauszufinden zu welcher Seite die Befahnten gehören. Aus dem Schlachtruf lassen sich lediglich Wortfetzen, die zudem auch noch eher spanisch klingen, erahnen. Ob Faschista oder Anti-Faschista, wer weiß das schon.
Sie verbringen vergnügliche Minuten damit darüber zu sinnieren, anhand des Kleidungsstils abzuwägen und Argumente für das eine oder andere zu finden, während sie endlich endlich Teil des aktuellen Stadtgeschehens sind. Schließlich geht es weiter, und sie finden in einem Wohngebiet, direkt unter dem bereits aus der Ferne erspähten rotierend stehenden Hubschrauber, einen Parkplatz.
Endlich gehend. 16:40 Entlang charmantplattenbaulicher Straßen und durch Unterführungen hindurch gelangen sie schließlich ins touristische Dresden. Auf dem Weg dorthin üben sie sich in selbstgefälligem Wortwitz und überlegen was man Passanten fragen könnte um möglichst absurd zu wirken, oder ein bestimmtes Menschenbild zu karikieren.
»Entschuldigung, wir sind hier für einen Tagesausflug. Aus Leipzig. Sagen Sie mal, ist hier immer so viel los? Die Polizei, und Hubschrauber und alles?«
»Entschuldigung. Wir haben gelesen, dass heute Sebastian Krumbiegel auftritt. Wissen Sie wann und wo?«
Der Platz vor der Frauenkirche wirkt weitestgehend leergefegt. Es ist kalt. Ihr heimliches Ziel, dass es dem Gefährten suggerierend als auch das Seine unterzujubeln gilt, ist es der hiesigen Aran-Filiale einen Besuch abzustatten und mit der Regensburger zu vergleichen. Zuvor im Internet haben sie glücklich herausgefunden, dass — was für ein erhabener Zufall — die Filiale direkt am Platz mit der Frauenkirche sein muss, möglicherweise in einer Passage, ähnlich dem Quartier Latin in Berlin.
Die Frauenkirche strahlt. Sie ruft. Das Aran ist leider nicht zu erspähen, aber immerhin wird ein Eingang in die Kirche gefunden. Drinnen empfängt einen eine für Kircheninneres ungewöhnlich heimeligwarme Luft. Die Zeit steht still. Odyssee 77 verwickelt einen in Anzug gekleideten Wächter in ein Fachgespräch über bei 1000 °C bröckelnden Sandstein und die darauffolgenden Zerstörungen. Ihr Blick verliert sich in Kindheitserinnerungen versinkend im Teelichtermeer, dass an einer Seite leuchtet.
Wieder aus der Frauenkirche in den kalten Tag tretend gilt es sich auf das eigentliche Vorhaben zu besinnen. Kurz wird erörtert ob es so spät — es ist beinahe 17 Uhr — noch sinnvoll ist zur Kundgebung zu gehen. Sicher ist sie schon vorbei. Sie reißen sich zusammen und schlendern am Fürstenzug vorbei, sich verschiedene Dresdenausflüge erzählend, Richtung Theaterplatz, um noch einige melancholische Fotos, am besten in Schwarzweiß, vom leergefegten Platz nach der Kundgebung zu machen.
An der Hauptbühne. Wider Erwarten finden Sie die Hauptbühne noch aktiv mit einer Rednerin und einer Menschenmenge davor. Freudig lassen sie sich darauf ein, kramen Ihre Kameras hervor und konzentrieren sich auf rechtwinklige Bildausschitte um sich möglichst intensive Eindrücke zu verschaffen. Sie beobachten die Menschen, ein paar Grüppchen rollen gerade ihre Transparente zusammen und schleifen sie sodann über den Platz vorantrottend hinter sich her. Das Publikum strahlt Festivalatmosphäre aus und sie fühlen sich sofort wohl. Das Gesagte dringt nur ganz fern an Ihr Gehör, geschweige denn bis zum Bewusstsein.
Nachdem ihre Fotowut gebändigt ist sind sie endlich bereit ihre Aufmerksamkeit voll und ganz der Kundgebung zu widmen. Blicken Sie aufmerksam und intensiv gebannt auf die Bühne. Tun sie dies eine ganze Minute lang, bis schließlich durch die eiseskalte Luft ein verlockender Duft an sie heranschwebt.
Glühwein und Musik. Ja. Glühwein wäre jetzt genau das richtige. Sie machen den Gefährten auf den Duft aufmerksam und sich emsig umblickend versuchen sie herauszufinden wo der Geruch seinen Quell hat. Am rechten Saum des Platzes machen sie ein paar kleinere Buden aus. Eine Bratwursterei hat auch das erwartete Glühweinwarmhaltefässchen auf dem Biertischtresen stehen. Dahinter eine sittlichalte Dresdnerin. Auf der Tafel steht über einem verwischten Geschmiere nur noch Tee.
Kann es sein dass ihnen der Glühwein ausgegangen ist? Das wäre fatal. Bang fragen sie das Muttchen ob es denn noch Glühwein gäbe. »Häh?«. Sie wiederholen die Frage und deuten auf den Glühweinbottich. Entrüstet schallt es ihnen entgegen: »Das ist Tee!«
Sie trotten zurück in die Menschenmenge und Odyssee 77 stellt ein Grüppchen das glücklich Glühwein schlürft zur Rede. Im Hintergrund kündigt Smudo eine Band an und Musik erschallt, die Ihnen obwohl sie nicht hiphopaffin sind recht gut gefällt, und die auch einen guten Schuß Schrammelgitarre aufweist. Das Gesagte und Gesungene klingt recht klug und nicht ohne Poesie und es erscheint ihnen dem Anlaß gemäß sehr passend. Das Festivalgefühl steigt weiter an.
Das Grüppchen zeigt weg von der Bühne weit über den riesigen und in der Ferne menschenleeren Pflasterplatz auf ein etwa 300 m entferntes Ständchen vor einem Restaurant, links neben dem Eingang zum Zwinger. Sie kehren der musikalischen Kundgebung den Rücken, doch das macht nichts, die Musik füllt ohnehin den ganzen Platz aus, und gehen Glühwein holen.
Wieder näher an der Bühne erzwingen zahlreiche Eindrücke — Massen an über der Bühne kreisenden Krähen, die den Platz umgebenden Prunkbauten und auf deren Dächern aufgereihten Figuresken die durch den kälteklirrenden Fernblick verklärt zur Musik zu tanzen scheinen, und die hüpfenden und streifenden Scheinwerfer und Lichtinstallationen — unweigerlich den wiederholten Griff zur Kamera. Bei der Kälte und dem Glühweinbecherchen in der behandschuhten Hand eine akrobatische Leistung auf die Sie stolz sein können.
Eine Rede. Nach dem Musikakt betritt ein älterer schlohweißhaariger Heer mit der Aura eines freundlichen Predigers** die Bühne, und hält eine perfekt nicht zu lange und sehr angenehme, bewegende, kleinere Rede, die Sie sich leider aufgrund von Kälte und Glühwein nicht gut genug merken können, obwohl sie es gerne täten. Einzelne Vokabeln dringen an Ihr Ohr und blockieren die Folgenden zu lange. Von den Verirrten ist die Rede, und davon dass man nicht zulassen darf, dass sie die Geschichte verdrehen. Gegen Ende setzt Kirchengeleut ein und eine Frau macht darauf aufmerksam, dass nun während einer Stunde auf der Bühne nichts stattfinden wird, damit drinnen die Messe nicht gestört wird. Danach tritt Herr Krumbiegel auf, und die Leute mögen bis dahin ein Teechen trinken und danach wieder kommen.
Schlendern Sie zurück zum Auto, machen noch kurz einen Abstecher in den Innenhof des Zwingers, blödeln ein bisschen mit Kamerakunst an einer Laterne herum und kommen wieder an der Frauenkirche vorbei. Vor der Abfahrt gilt es noch ein Kaffeechen zu sich zu nehmen und geschickt lenken Sie die Schritte des Gefährten »guck mal, wir können doch kurz durch dieses Passage gehen, da ist es bestimmt warm drinnen« dorthin wo Sie Ihre letzte Hoffnung den Dresdner Aran zu finden setzen.
Treffer. Ein Brot mit Obatztem und ein Latte Machiatto runden diesen wunderbaren Ausflug ab. Der Aran ist zwar nicht so genial kreuzgewölblich beheimatet wie in Regensburg, aber trotzdem ist die Atmosphäre in der Edelgeschäftpassage ganz angenehm. Setzen Sie sich zum Ziel alle Aranfilialen vergleichend aufzusuchen und seien Sie auf die in Dubai gespannt.
Fazit. So schlimm und anstrengend wie befürchtet, mit langatmigen Reden denen man nach einiger Zeit nicht mehr aufmerksam folgen kann, wars eigentlich gar nicht. Nein. Man könnte fast sagen, verantwortlich politische Präsenz zu zeigen ist überraschend kurzweilig und vergnüglich. Dank an Odyssee 77 für Idee und Durchführung dieses Ausflugs.
Nachspann. Kommen Sie nach Hause und fühlen Sie sich gut als edler Mensch. Begrüßen Sie voller Elan den kranken Herrn Walte, bis dieser Ihr aufgrund des herausragenden politischen Engagements gerade abhebendes Selbstwertgefühl mit der arglosen Frage »Sag mal, wo hast Du eigentlich das Erkältungsbad?« wieder auf den Boden der Realität zurückzieht. Es befand sich den ganzen Tag über in der Handtasche. Während Herr Walte leidend zu Hause schnieft und gerne das ihm angeratene Erkältungsbad zu sich nähme, schleppen Sie es kreuz und quer durch die Dresdner Innenstadt. Sie sind kein perfekter Mensch und werden es nie sein.
* Ja. Ich habe Murp gelesen und verinnerlicht.
** Recherchen haben ergeben, dass der Redner Holk Freytag war. Intendant des Dresdner Staatsschauspiels. Bis jetzt findet man den Wortlaut seiner Kurzrede leider nicht im Netz.