flašar ::: morsche Stille, erfüllt & leuchtend
»Wir trafen uns meistens am Abend. Er liebte die Dämmerung. Das Licht, sagte er, sei dann traurig und freudig zugleich. Es trauere um den Tag, der vergangen, es freue sich auf die Nacht, die angebrochen sei. …
… [er fängt an nicht mehr aus seinem Zimmer zu gehen, die Eltern abwechselnd besorgt, missmutig, verzweifelt, und je nachdem hatte ihr Klopfen einen grauen, schwarzen oder weißen Klang], es färbte die Stille die mich in sich eingesogen hatte und die der Stille eines dunklen Waldes glich. Man geht einen gewundenen Pfad entlang. Schwankende Baumkronen, die Sonne fällt schräg durch die Äste. In ihren Strahlen flirren Spinnweben, zarte Gebilde aus Traumfäden. Man denkt: wie still es hier ist. Und erkennt schon im nächsten Moment, dass man sich getäuscht hat. Die Stille des Waldes ist eine erfüllte Stille. Sie ist erfüllt von den Stimmen der Vögel, dem Knacken von morschen Holz. Die Käfer brummen. Ein müdes Blatt wirbelt herab. Wie ein Lied …
… ob ich noch schreibe? Undenkbar, es nicht zu tun. Gerade in der finstersten Nacht waren die Wörter leuchtende Kieselsteine. Das Licht des Mondes und der Sterne, sie hatten es eingefangen und strahlten es wieder aus. Ein Wort war darunter das besonders hell leuchtete. Das Wort von der Einfachheit. … ich möchte so schreiben, wie dieses Wort leuchtet. Über die einfachsten Dinge möchte ich schreiben. … bald bricht die Dämmerung herein. Der Tag rutscht mit der Sonne in die Nacht.«
(Milena Michiko Flašar, Ich nannte ihn Krawatte)