montaigne ::: proust plus

Montaigne selbst »so entdeckt zum Beispiel ein kundiger Leser in manchen Schriften noch ganz andere Vollkommenheiten als jene die der Verfasser hineingelegt oder auch nur bemerkt hat, und gewinnt auf solche Weise dessen Werk viel reichhaltigere Aspekte und Bedeutungen ab.

Durch diese Interpretationen und Neuinterpretationen entsteht im Laufe der Jahrhunderte eine lange Kette, und sie verbindet einen Schriftsteller mit allen seinen Lesern die häufig nicht nur das Original sondern auch einander lesen … diese Fähigkeit in der inneren Welt der Leser über lange geschichtliche Zeiträume hinweg weiterzuleben macht ein Werk wie die Essais zu einem echten Klassiker. In jedem Geist wird es auf andere Weise wiedergeboren und verbindet ihn mit anderen Geistern.«

(Sarah Bakewell, Wie soll ich leben? – oder das Leben Montaignes
in einer Frage und zwanzig Antworten)

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montaigne ::: in uns allen selbst lesen

»Pascals Bemerkung »Nicht bei Montaigne, sondern in mir selbst finde ich alles, was ich dort sehe« könnte als das Mantra der gesamten nachfolgenden Wirkungsgeschichte der Essais betrachtet werden. Die Zeiten ändern sich. Jeder neue Leser entdeckt in den Essais sich selbst und fügt damit dem bisherigen Bild neue Bedeutungsnuancen hinzu.« … Malebranche »Der Verstand kann an der Lektüre eines Schriftstellers kein Vergnügen empfinden wenn er nicht seine Meinungen unterschreibt, wenn er nicht wenigstens etwas von denselben mit seinen eigenen vermischt und so dieselben dunkel und unverständlich macht.« … Montaigne, »sah sich als durch und durch gewöhnlichen Menschen … bis auf seine Angewohnheit Dinge aufzuschreiben … genau darum geht es in den Essais: wenn sich niemand in ihnen wiedererkennt, wozu sollte man sie dann lesen?«

(Sarah Bakewell, Wie soll ich leben? – oder das Leben Montaignes
in einer Frage und zwanzig Antworten)

vgl. Proust, in sich selbst lesen

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montaigne–proust ::: Bann unvermittelter Erinnerung

»kurzum, er präsentierte sich als jemand der auf einer Wolke des glückseligen Vergessens durch die Welt schwebte … (dafür konnte er aber Erlebnisse und seine inneren Gefühle, zum Beispiel wie des Reitunfalls, sehr präzise wenn auch nicht in den Details wiedergeben) … der Psychologe Dugald Stewart meinte im 19. Jahrhundert Montaignes schlechtes Gedächtnis habe ihn für diese Art der Beobachtung geradezu prädestiniert. Montaigne war empfänglich für jenes unfreiwillige Sicherinnern, das später auch Proust in Bann schlug: für den unvermittelten Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart, ausgelöst durch einen längst vergessenen Geschmack oder Geruch. Solche Momente scheinen nur dann möglich wenn man tief in das Meer des Vergessens eintaucht, wenn man in der richtigen Stimmung ist und über Ruhe und Muße verfügt.«

(Sarah Bakewell, Wie soll ich leben? – oder das Leben Montaignes
in einer Frage und zwanzig Antworten)

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Fotorunde ::: Mühlpark & Palmengarten Okt 20

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montaigne ::: in sich selbst sehen

»… ich wende meinen Blick nach innen, und da halte ich ihn fest und lasse ihn verweilen. Jedermann schaut vor sich, ich schaue in mich hinein. Ich habe es nur mit mir selbst zu tun …«

(Sarah Bakewell, Wie soll ich leben? – oder das Leben Montaignes
in einer Frage und zwanzig Antworten)

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montaigne–florio ::: konstruktionszentren & ecken

Die ersten Ausgaben der Essais. »sie wechselten zwischen gegensätzlichen Standpunkten und flossen nicht dahin wie ein breiter, mäandernder Fluss der sich zu einem Delta verzweigt wie die späteren Essais; einige hielten sich sogar an das vorgegebene Thema«

»Montaigne selbst gibt zu dass die Titel seiner Kapitel in keinem klaren Zusammenhang zu deren Inhalt stünden: »oft bezeichnen sie ihn nur durch ein bestimmtes Merkmal.« Wenn kein logischer Zusammenhang ersichtlich sei, werde sich »in irgendeiner Ecke stets ein Wort finden.« In den Worten in der Ecke verstecken sich häufig seine interessantesten Themen. Montaigne bringt sie im Text genau da unter, wo sie den Fluss radikal unterbrechen, alles durcheinanderbringen und es dem Leser unmöglich machen der Argumentation zu folgen. … das einzig verbindende Element ist Montaigne selbst. … das Buch ist nicht nur monströs, es erhält seine Geschlossenheit einzig durch das, was bescheiden in den Hintergrund hätte treten sollen: das Subjekt Montaigne. Er ist das Gravitationszentrum der Essais …«

… sein erster Übersetzer in England, Florio, »mit weitschweifigen Widmungen die manchmal so verschnörkelt waren, dass sich selbst die Adressaten keinen Reim darauf machen konnten. … wie Montaigne konstruierte auch er immer kompliziertere Gedankengänge wie eine Spinne … während Montaigne sich immer weiter vorwärtsbewegt dreht Florio sich um sich selbst und verdichtet seine Sätze zu immer enger geführten barocken Windungen, bis sich ihr Sinn in einer komplizierten Syntax verflüchtigt. Der wirklich magische Funke entzündet sich nur dann wenn beide aufeinandertreffen: Montaigne und Florio.«

(Sarah Bakewell, Wie soll ich leben? – oder das Leben Montaignes
in einer Frage und zwanzig Antworten)

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skogtober ::: Auwald & Wiese Okt ‘20

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le guin ::: ammar

… Ein Haustier der Kinder, ein Otter. »seine Augen waren dunkel, goldgefleckt, intelligent, neugierig, unschuldig. Ammar, flüsterte Shevek gefangen von diesem Blick über die Kluft zwischen den Lebewesen hinweg. Bruder.«

(Ursula K. le Guin, Freie Geister)

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le guin ::: schön und verweht, regennasser Wind

»… dass er es schlicht zu eilig gehabt habe; man könne eine ganze neue Welt nicht in ein paar Monaten begreifen. Die Rasenflächen und Wäldchen der Universität waren schön und verweht, leuchtend goldene Blätter, leuchtend goldene Blätter wurden vom regennassen Wind über den weichen grauen Himmel gepustet.« … Liest die Werke von jotischen Dichtern, »jetzt verstand er, was sie von Blumen und fliegenden Vögeln und den Farben der Wälder im Herbst schrieben. Dieses Verstehen bereitete ihm großes Vergnügen.«

»… jedes Mal wenn er ein Tier sah, fliegende Vögel, die herbstliche Pracht der Bäume, überkam ihn diese Traurigkeit und mengte sich in die Freude. Er dachte in diesen Momenten nicht bewusst an Takver, er dachte nicht daran dass sie nicht bei ihm war. Ihm war vielmehr als wäre sie da, obwohl er nicht an sie dachte. So als wären die Schönheit und Exotik der Tiere und Pflanzen von Urras mit einer Botschaft für ihn aufgeladen – von Takver …«

(Ursula K. le Guin, Freie Geister)

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Natur am Wegesrand ::: Jul to x 20

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fforde ::: neigung zu tangentialer freiheit

»es gibt keine einfache Möglichkeit um einwandfrei festzustellen ob und wieviel von dem was im Dreamspace passiert ist, real oder nur erfunden ist. … Dreamspace war ein großartiges Konzept, aber da der eigensinnige Verstand im Schlaf zu tangentialer Erfindung neigt, leider zum Scheitern verurteilt.«

»… Träume sind die einzige wahre Freiheit … der Ort an dem man wirklich man selbst sein kann: alles tun und alles sein kann. Der befreite Geist.« Frei? … und so wendet auch Charlie ein, nur wenn man die aktive Kontrolle besitzt.

(Jasper Fforde, Eiswelt)

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fforde ::: ungefähre realität

»… ich lachte laut auf. Nicht nur über die kühne Vorstellungskraft meines Geistes, sondern über die Klarheit. Wenn man so träumte, dann hatte ich bisher ein Phänomen verpasst, das beträchtliche Unterhaltung und Ablenkung bot.« die Energie die man dabei verbraucht »wenn ich das recht sah, dann war es die Sache wert. Das hier war eine neue, aufregende Realität.« … reimt sich zusammen wie die beiden Träume aus seinen jüngsten Erlebnissen entstanden waren und zusammenhängen. »die ungefähren Parameter besaß ich damit schon, und mein Verstand hatte den Rest dazugegeben und anschließend wie eine Mauer zu einem glatten Ganzen verputzt.«

(Jasper Fforde, Eiswelt)

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trisolar ::: in und aus dem schlaf

Luo Ji, Kälteschlaf, »… löste er sich selbst auf, und die schneeweiße Welt verengte sich zu einem silbernen Faden, der alles war, was in der grenzenlosen Dunkelheit von seinem Bewusstsein übrig blieb. Es war der Faden der Zeit, ein dünner, starrer Strang, der sich in beide Richtungen unendlich weit ausdehnte. Seine Seele hing an diesem Faden und glitt sanft mit konstanter Geschwindigkeit an ihm entlang, in eine ungewisse Zukunft.«

»Dunkelheit. Vor der Dunkelheit gab es nur das grenzenlose Nichts. Das Nichts war farblos und leer, Dunkelheit bedeutete immerhin Raum. Schon bald entstand Unruhe in der Dunkelheit des Raums, wie ein leichter Wind, eine Ahnung der vergehenden Zeit. Das Nichts war zeitlos, doch jetzt nahm die Zeit Gestalt an wie ein schmelzender Gletscher … kam das Licht, anfangs nur ein diffuses, helles Etwas, dann allmählich … gewann die Welt Konturen. Das wiedererwachte Bewusstsein hatte Mühe sie zu begreifen.«

(Liu Cixin, Drei Sonnen)

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Coseptember Quinque ::: Sep 20

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montaigne–zweig ::: tiefen ausloten festhalten

»Gleichzeitig jedoch bemühte er sich als Schriftsteller darum, die Tiefen zu ergründen. »Wann immer ich mich glücklich fühle, sinne ich hierüber nach, ich schöpfe nicht nur den Schaum dieser Empfindung ab, sondern lote sie aus.« Er war so fest entschlossen einem Phänomen auf den Grund zu gehen, das per definitionem als unauslotbar galt – dem Schlaf – dass er sich von einem leidgeprüften Diener wecken ließt in der Hoffnung, einen Blick in sein zurückweichendes Unbewusstes werfen zu können. Montaigne wollte wegdämmern, gleichzeitig aber die Wirklichkeit festhalten und beobachten. Beim Schreiben war beides zugleich möglich. Selbst wenn er sich in seinen rêveries verlor, traf er insgeheim Vorkehrungen, um sie jederzeit zurückrufen zu können. Sterben lernen hieß loslassen, leben lernen hieß festhalten.«

(Sarah Bakewell, Wie soll ich leben? – oder das Leben Montaignes
in einer Frage und zwanzig Antworten)

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