flašar ::: man merkt sich ein leben lang sachen

»ich meine, es gibt für jeden nur ein Alter. Ich war und bin, werde immer achtundfünfzig sein. Du aber, pass auf, welches Alter du dir aussuchst.« Es ist wie Klebstoff der sich um einen verhärtet. Das hat er aus einem Buch oder Film, er weiß nicht mehr. »man merkt sich Sachen. Unglaublich. Man merkt sich ein Leben lang Sachen … Während er in seiner Zeitung las, dachte ich darüber nach, was er gesagt hatte. Doch je mehr ich darüber nachdachte, entglitt mir das Was und stattdessen war es das Wie, das mich gefangen nahm. Der verbrauchte Tonfall … so spricht man, dachte ich, wenn man sehr lange geschwiegen hat. Alle Wörter sind einem dann gleich und man kann kaum verstehen, was das eine vom anderen trennt.«

(Milena Michiko Flašar, Ich nannte ihn Krawatte)

Kommentar schreiben »

Fotorunde ::: Cosbeetle Jul 20

Kommentar schreiben »

flašar ::: innere Lautlandschaft

»Zwei Jahre lang hatte ich mich darin geübt, das Sprechen zu verlernen. Zugegeben, es war mir nicht gelungen. Die Sprache die ich gelernt hatte durchdrang mich, und sogar wenn ich schwieg, war mein Schweigen beredt. Ich sprach innere Monologe, sprach unentwegt in die Sprachlosigkeit hinein. Der Klang meiner Stimme jedoch hatte sich in mir verfremdet. … wanderte durch eine Landschaft in der jeder Laut im Moment seines Entstehens verhallte. Der letzte Satz den ich ausgesprochen hatte, war gewesen: ich kann nicht mehr … ein vibrierender Punkt. Danach war etwas zugeschnappt. Die Anstrengung die es kosten würde, dort weiterzusprechen, wo ich aufgehört hatte, stand gegen die Sinnlosigkeit in Worte zu fassen, was sich nicht ausdrücken ließ.

… Wieder seufzte er. Diesmal leiser. Wer so seufzt, dachte ich, ist nicht nur irgendwie müde. Fühlte es mehr, als dass ich es dachte.«

(Milena Michiko Flašar, Ich nannte ihn Krawatte)

Kommentar schreiben »

pratchett ::: grenzen der unwissenheit erweitern

»Mit dem durchschnittlichen Menschen hingegen ist es völlig anders; rund um die Uhr denkt er über die verschiedenen Dinge nach, auf allen mentalen Ebenen. … in seinem Bewusstsein wimmelt es von Überlegungen, die an Zunge und Lippen weitergegeben werden, in die Kategorie privat und persönlich fallen, oder sich auf die Kellergewölbe des Ichs beschränken. … einem Telepathen bietet sich der menschliche Geist als ein Tollhaus dar. Er ist ein Hauptbahnhof, in dem alle Lautsprecher gleichzeitig dröhnen … Passagiere versuchen sich gegenseitig zu übertönen … Konzentrat aller UKW-Frequenzen …«

»Sie schwiegen eine Zeitlang und grübelten. … für mich sieht die ganze Sache folgendermaßen aus. … Bevor ich ihm zuhörte, ähnelte ich allen anderen. … ich war verwirrt und unsicher in bezug auf einige bestimmte Einzelheiten des Lebens an sich. Aber jetzt – Knallwinkels Miene erhellte sich – bin ich zwar immer noch verwirrt und unsicher, doch auf einer höheren Ebene. Wenigstens weiß ich nun, dass ich von den wirklichen fundamentalen und wichtigen Geheimnissen des Universums nicht die geringste Ahnung habe. … du hast völlig recht. Simon hat die Grenzen der Unwissenheit erweitert. … die beiden Männer sonnten sich in dem herrlichen Gefühl weitaus weniger zu wissen als gewöhnliche Leute, die nur von gewöhnlichen Dingen nichts wussten. … (Zwei Dienstmädchen mit Besen kommen, die Zauberer gehen, noch immer diskutierend), über die unabsehbaren Konsequenzen der Unwissenheit die Simons Genie der Welt offenbart hatte.«

(Terry Pratchett, Das Erbe des Zauberers)

vgl. Zweig, Kellergewölbe des Bewusstseins

Kommentar schreiben »

Fotorunde ::: zur Lauer

Kommentar schreiben »

igel ::: nur sich selbst begegnen

»wir sehen nie über unsere Gewissheiten hinaus, und was noch schlimmer ist, wir haben es aufgegeben, Begegnungen zu machen, wir tun nichts anderes, als uns selbst zu begegnen, ohne uns in diesen ständigen Spiegeln wiederzuerkennen. … und wenn die Leute an der Concierge vorbeigehen, sehen sie nur Leere, weil sie sich in ihr nicht widerspiegeln.«

(Muriel Barbery, die Eleganz des Igels)

vgl. Proust, in sich selbst lesen

Kommentar schreiben »

woolf ::: aus gequirltem unsinn leben lesen

»… und so weckt ein Roman in uns alle möglichen widerstreitenden und gegensätzlichen Empfindungen. Das Leben und das was nicht das Leben ist, geraten miteinander in Konflikt. … Da es aber zum Teil Leben ist, beurteilen wir es wie das Leben. James ist die Art Mann, die ich am meisten verabscheue, sagt man. Oder: was für ein gequirlter Unsinn. So etwas könnte ich nie selbst empfinden. Die gesamte Konstruktion wird bei der Rückbesinnung auf jeden beliebigen Roman offenbar, ist unendlich vielschichtig, da sie sich aus so vielen verschiedenen Urteilen, so vielen verschiedenen Empfindungen zusammensetzt.«

»Sie hatte Jane Austens Sätze zerstört und mir so keine Chance gegeben mich mit meinem untadeligen Geschmack, meinem untrüglichen Gespür zu brüsten … denn sobald ich die üblichen Gefühle an den üblichen Stellen über die Liebe, über den Tod entwickelte, riss mich dieses nervige Geschöpf fort, als läge der entscheidende Punkt ein paar Zeilen weiter. Und so machte sie es mir unmöglich meine wohlklingenden Sätze über elementare Gefühle, das Wesen der Menschheit, die Tiefe des menschlichen Herzens, und all die anderen Formulierungen abzuliefern, die uns in unserem Glauben stützen, dass wir, bei aller Schläue an der Oberfläche, darunter doch sehr ernsthaft, sehr tiefgründig und sehr menschlich sind. Sie gab mir im Gegenteil des Gefühl, dass wir, statt ernsthaft, tiefgründig und menschlich zu sein – und der Gedanke war weitaus weniger verlockend – bloß denkfaul und außerdem konventionell sind.«

(Virginia Woolf, ein Zimmer für sich allein)

vgl. le Guin, Wahrheit aus lauter Unsinn.

Kommentar schreiben »

Fotorunde ::: Schkeuditz

»Die Singammmer … diesen Hochsommertag vertont … ein kleiner Liedbach, kühlend, durch den Mittag plätschernd … gelbe Schmetterlinge in hellen Scharen auf der Straße …«

(Henry D. Thoreau, Tagebuch III)

… mehr Waldflutwiesen

Kommentar schreiben »

in the yellow ::: Duft-/Tast-/Apo- & botanischer Garten Jun 20

Kommentar schreiben »

thoreauvian ::: veräppeln

Erstes Auftauen der Äpfel. Ehedem sauer (zu seinem Bedauern hat er sie gekostet) sind sie nun voll reichhaltigem süßen Most, ihm vertrauter als Wein. Seiner Meinung nach wertvoller als importierte Ananas. … »es gibt diese kratzigen Holzäpfel, mit denen ich meinen Gefährten veräppelte, indem ich mein Gesicht nicht verzog, damit er zum Essen verleitet wurde. Nun füllen wir beide gierig unsere Taschen mit ihnen und werden geselliger durch ihren Wein«

(Henry D. Thoreau, Tagebuch II)

… Äppelflashback Wörlitz

Kommentar schreiben »

perec ::: treppenhaus

»das Treppenhaus ein baufälliger Ort von zweifelhafter Sauberkeit … durch das Treppenhaus huschen die flüchtigen Schatten all derer, die eines Tages da waren. … er versuchte die unmerklichen Einzelheiten, die im Verlauf dieser fünfundfünfzig Jahre das Leben dieses Hauses ausgemacht und die die Jahre eine nach der anderen ausgelöscht hatten, wieder lebendig werden zu lassen … die Treppen waren für ihn auf jedem Stock eine Erinnerung, eine Emotion, etwas Überholtes und nicht Fühlbares, etwas, das irgendwo in der flackernden Flamme seines Gedächtnisses zuckte: eine Gebärde, ein Duft, ein Geräusch, … ein Lärm, ein Schrei, ein Tohuwabohu, ein Rauschen und Knistern … ein klagendes Miauen hinter einer Tür, Klopfen an Wänden, … auch weiterhin nur eine unerträgliche Stille antwortete. … und rings umher die lange Heerschar seiner Figuren mit ihren Geschichten, ihrer Vergangenheit, ihren Legenden …«

(Georges Perec, Das Leben Gebrauchsanweisung)

Kommentar schreiben »

hjemmehage ::: l’escalierlily

Kommentar schreiben »

woolf ::: immer in diesem Garten

»… Falls das Leben einen Sockel hat, auf dem es steht, falls es eine Schale ist, die man füllt und füllt und füllt – dann steht meine Schale ohne jeden Zweifel auf dieser Erinnerung. Sie handelt davon, halb schlafend, halb wach, im Kinderzimmer auf St. Ivey im Bett zu liegen.«

All die vielen Male, zu Bett gehen, einschlafen, Dinge die sich zu einer Erinnerung verdichten, weil sie immer wiederkehren. Keine Einzelerinnerung sondern eine Gesamtheit an Erinnerungen, und sie bleiben so viel dichter vorhanden, als diese anderen. Mehr Gefühl als Erinnerung, mehr Bewusstheit als Erinnerung.

»Sie handelt davon dazuliegen und dieses Schäumen zu hören und dieses Licht zu sehen, und zu fühlen, es ist fast unmöglich dass ich hier bin …« Intensität der Eindrücke. Die immer noch realer sein können, als der gegenwärtige Augenblick. Beschreibt wie sie in manchen Zeiten noch mehr an diesen Ort zurückkehren kann, vollständiger, als jetzt gerade. »… so als sei ich dort, zu beobachten scheine; wie die Dinge geschehen. … In gewissen günstigen Stimmungen steigen Erinnerungen … an die Oberfläche …. wäre es nicht möglich – frage ich mich oft –, dass Dinge, die wir mit großer Intensität empfunden haben, unabhängig von unserem Hirn existieren; tatsächlich immer noch existieren?« Denkt an ein Gerät dass es einmal geben könnte um an diese Dinge heranzukommen. »… ich sehe sie, die Vergangenheit, als eine Straße, die hinter mir liegt; ein langes Band aus Szenen, Gefühlen …«

»… als sie Witwe war, saß [sie] stundenlang zwischen ihren Blumen, und sie schien mehr mit Geistern zu sein als mit ihnen allen, träumte von der Vergangenheit, die, dachte Mrs Vallance, irgendwie so viel wirklicher ist als die Gegenwart … und sie dachte an den sternenhellen Garten und die Bäume … spürte, wie ihre Augen weicher und tiefer wurden wie beim Kommen von Tränen … dass wenn sie noch am Leben wären und sie immer mit ihnen in diesem Garten gewesen wäre (der ihr nun wie der Ort vorkam in dem sie ihre ganze Kindheit verbracht hatte, und er war immer sternenhell, und es war immer Sommer) …«

(Virginia Woolf, Vorfahren & Auszug aus Skizze der Vergangenheit in: der Leuchtturm )

Kommentar schreiben »

wallace ::: gedankenschreiben

»schrieb er … das auf, was von den gerade gedachten Gedanken noch übrig war.«

(Anselm Oelze, Wallace)

Kommentar schreiben »

Fotorunde ::: Bam-Berg/Stadt/Wald Jun 20

… mehr Bergstadtwald

Nachdem der frühste Tag geruhsam beginnen kann fällt mir mit einem Mal die Goerdelerbaustelle ein, und ich muss losspurten … Waldplatz ii gibt an dass erst in neun Minuten eine Bahn kommt, und in einer halben Stunde bereits der Zug, ich bin sehr verblüfft ärgerlich dass mir so etwas passieren kann, und beschließe weise die ganze Strecke zu laufen. Am Hotel über mir im Himmel ein kreisender Raubvogel, meine Erinnerung jubelt, Turmfalke, und er gibt sehr possierliche Töne von sich, wie wenn jemand mit zu wenig Puste in eine Trillerpfeife bläst! Nach etwas mehr als fünfzehn Minuten am Bahnsteig, erleichtert, die Welt ist noch bedeckt doch wird gleich überm Land tiefsonnenblau werden, voller unterschiedlichster Wolkenvölker, wattig, weit auftürmend, vereinzelt, Bänder, solche wie Rillenmuster im Sand die das zurückziehende Wasser zurückgelassen hat, feine Nebel, wo sind meine Wörter dafür hin, Cumulus, und Cyrus …

» Weiterlesen

Kommentar schreiben »